Viele haben das Homeoffice in der Corona-Krise dorthin verlegt, wo sie ihren Lebensmittelpunkt sowieso lieber hätten: aufs Land. Dort gibt es mehr Grün, frischere Luft, mehr Platz, weniger Menschen und damit weniger potenzielle Virusüberträger. Oft ist hier auch die Familie, mit der man ansonsten zu wenig Zeit verbringen kann.
Job oder Studium sind für viele der Hauptgrund, in der Stadt zu leben. Fällt er weg, weil Homeoffice von überall geht, ist man örtlich flexibel, kann also statt in der engen Stadtwohnung wieder im alten Kinderzimmer bei den Eltern oder im Ferienhaus arbeiten – vorausgesetzt, die Internetverbindung ist gut genug.
Nichts verpassen
Eine, die das gemacht hat, ist Julia Laister (Name geändert). Sie hat vor einigen Jahren ein Haus in der Steiermark geerbt, in das sie vor Corona hin und wieder an den Wochenenden gefahren ist. "Man ist ja sonst an die Arbeit gefesselt", sagt sie. Nun lebt sie seit mehreren Wochen im Wochenenddomizil. "Ich wundere mich selbst, wie sehr es mir taugt", sagt sie. Während der Ausgangssperren habe sie zudem nicht das Gefühl gehabt, in Wien etwas zu verpassen, weil Lokale oder Theater sowieso geschlossen waren.
Aktuell ist viel die Rede davon, dass das Image des Arbeitens im Homeoffice sich nach Corona stark verändern wird. Arbeitgeber machen Pläne, nach Corona Büroflächen einzusparen, weil mehr Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten wollen oder dazu verpflichtet werden. Einzelne Beispiele dafür gab es schon vor der Krise: der Programmierer, der auf dem Land wohnt, aber von zu Hause aus für eine Firma in der Stadt arbeitet, oder das junge Online-Start-up, das beschlossen hat, zurück in die Heimat zu ziehen.
Bella ciao
Auch in Italien gibt es ähnliche Überlegungen, die vor allem mit der Angst vor dem Virus zu tun haben. Architekten, Stadtplaner, Soziologen und Anthropologen fordern von der italienischen Politik nun, das Leben auf dem Land attraktiver zu machen sowie die Menschen zu ermutigen, die Städte zu verlassen und in Dörfer ziehen. Auf diese Weise sollen künftige Pandemien verhindert werden.
Der Architekt Massimiliano Fuksas prognostiziert bereits, dass die Zahl der Menschen, die nach Corona aufs Land ziehen, sprunghaft ansteigen wird. In Italien gibt es tausende Dörfer mit weniger als 5000 Einwohnern. Mehr als 2300 dieser Orte sind laut dem Architekten Stefano Boeri so gut wie verlassen.
Gemeinsam denken
Überdenken auch die Österreicherinnen und Österreicher derzeit ihren Wohnort? "Es wird bestimmt ein paar mehr Menschen geben, die nun aufs Land ziehen wollen", sagt Roland Gruber vom Architekturbüro Nonconform. Er hofft und glaubt jedoch, dass sich ein Zusammenspiel von Stadt- und Landleben durchsetzen wird: "Wir müssen das zusammendenken und dürfen das nicht immer gegeneinander ausspielen", sagt er und glaubt, dass es viele geben wird, die sowohl in der Stadt als auch auf dem Land leben.
Durch die Klimadebatte gibt es etwa in Bayern immer mehr Gemeinden, auch kleinere Dörfer, die Co-Working-Plätze einrichten, berichtet Gruber. "Man arbeitet dann nicht daheim im Pyjama, muss aber auch nicht im Stau stehen, es ist ein Mittelweg – direkt im eigenen Wohnort", sagt er und prognostiziert für die Zukunft Zwischenlösungen wie einen Tag Homeoffice, zwei Tage Co-Working, zwei Tage im Unternehmen. Auch Julia Laister kann sich vorstellen, nach Corona ein paar Tage pro Woche oder wochenweise abwechselnd von der Steiermark aus zu arbeiten.
Mehr Regionalität
Neben dem Aufschwung für ländliche Regionen durch die Zuzügler und weniger Pendlerverkehr könnten lokale Strukturen an sich gewinnen. Denn die Krise hat dafür gesorgt, dass Regionalität, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, wieder eine größere Rolle spielt. Gruber nennt ein Beispiel: "Man kauft dann nicht am Heimweg vom Büro in der Stadt ein, sondern im Geschäft um die Ecke."
Und was heißt das für die Städte? Für viele Menschen gibt es wohl weit mehr Gründe dafür, in der Stadt zu leben, als nur den Arbeitsplatz. Doch wer weiß, vielleicht leben in Zukunft nur mehr jene in der Stadt, die auch wirklich gerade an keinem anderen Ort lieber wären. (Bernadette Redl, 16.5.2020)