Mit einfachen Schuldzuweisungen kommt man in der Europäischen Union nicht weit. Das hat schon in vergangenen Krisen noch nie zu etwas Gutem geführt.

Ob Beten hilft, ist ungewiss, selbst wenn der Papst höchstpersönlich zur Tat schritt, um im Vorfeld des jüngsten EU-Gipfeltreffens für die "brüderliche Einheit" im "Geist der Gründerväter" zu bitten. Unter den Staats- und Regierungschefs sind auch ein paar Schwestern dabei, wobei Kanzlerin Angela Merkel zumindest die Finanzstärkste von allen ist.

Am besten hält man sich beim gemeinsamen Krisenmanagement in der Exitstrategie zur Pandemie wohl an jene drei Grundregeln, die der frühere Präsident der Kommission, Jean-Claude Juncker, schon vor zwei Wochen im STANDARD festgehalten hat:

Erstens: Man muss "sich vor voreiligen Schlüssen hüten und der Realität ins Auge sehen". Zweitens: Man darf "nicht blind, fast ideologisch stupide an Lösungen herangehen". Und drittens: Man muss "alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, auch solche, die man früher einmal ausgeschlossen hat".

Die meisten EU-Länder haben begonnen, ihre Corona-Maßnahmen anzupassen, Fehler zu korrigieren, auszuhelfen.
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Das bedeutet konkret: Finanzielle Hilfe muss rasch kommen. Und sie muss vor allem gezielt und solidarisch bei jenen Ländern und Regionen eingesetzt werden, die es am dringendsten brauchen. Eine Erkenntnis ist unbestreitbar: Kein Mitgliedsland kann etwas dafür, dass es vom Coronavirus getroffen wurde. Es sind inzwischen auch alle betroffen. Daher sind Schuldzuweisungen an Staaten zwecklos.

Gravierende Fehler

Das läuft freilich nicht auf einen allgemeinen Relativismus in dem Sinn hinaus, dass es egal wäre, was Regierungen zur Bewältigung der Krise im eigenen Land und über die Grenzen hinweg getan haben und in Zukunft tun. Im Gegenteil.

Auch wenn die Datenlage zu Infizierten, Toten, Geheilten und Getesteten nach wie vor unsicher ist, vieles am Virus unbekannt, zeichnet sich doch ab, wo man relativ gut über die erste Infektionswelle drübergekommen ist und warum; und wo gravierende Fehler gemacht wurden. Beispiel Belgien: 6500 Tote bei elf Millionen Einwohnern ist katastrophal. Dabei hat die Regierung früh harte Maßnahmen gesetzt. Aber die Gefahr in Altenheimen wurde unterschätzt. Ähnliches wird aus Spanien und Frankreich gemeldet, wo Präsident Emmanuel Macron leichtsinnigerweise noch Mitte März auf Regionalwahlen bestand.

Im Vergleich glimpflicher lief es in Dänemark, das so wie Österreich und Norwegen die Infektionswelle erfolgreich brechen konnte. An Parteiideologie kann es nicht liegen, die Regierungen sind völlig unterschiedlich, links bis rechts. Was lässt sich ableiten? Die EU-Partner können nun bei der Krisenbewältigung sehr viel voneinander lernen. Und sie tun das auch.

Die meisten haben längst begonnen, ihre Maßnahmen anzupassen, Fehler zu korrigieren, auszuhelfen – auch Schweden. Erste Länder beginnen sogar, vorsichtig ihre rigiden Grenzkontrollen zu lockern. Und wie sich nun beim EU-Gipfel trotz aller Streits zeigt, sind nun solidarische Hilfsfonds auf EU-Basis – nicht zwischenstaatlich – denkbar geworden, was man bisher für unmöglich gehalten hätte.

Frau Merkel hat – vorerst nur verbal – eine riesige Bresche geschlagen, indem sie das EU-Budget zugunsten des Wiederaufbaus umzugestalten bereit ist. Dem werden andere folgen. Es mag auf den ersten Blick absurd klingen, aber das Coronavirus könnte viele politische Wunden in Europa heilen und die Integration voranbringen. (Thomas Mayer, 23.4.2020)