Migranten campen im Bahnhof von Tuzla.

Foto: APA/AFP/Barukcic

Auf den neuen weißen, riesengroßen Zelten steht "Festhallenvermietung AG 8500 Frauenfeld". Die Zelte kommen also aus der Schweiz. Drinnen stehen in Reih und Glied Stockbetten. Vor dem neuen Migrationszentrum in Lipa, etwa 30 Kilometer vor der bosnischen Stadt Bihać, sind Sanitärbereiche eingerichtet, die allen Covid-19-Standards entsprechen. Die Migranten können sich hier desinfizieren. Und es gibt medizinische Versorgung.

Diese Woche wurde das Camp, das mit Geldern der EU und der US-Entwicklungshilfeagentur USAID gebaut wurde, eröffnet, und einige Leute wurden bereits hierhergebracht. In den nächsten Tagen wollen die bosnischen Behörden dafür sorgen, dass möglichst viele Migranten, die bisher nicht in einem der großen Zentren leben, nach Lipa geführt werden.

Ausgangssperren für Migranten

Für Migranten gelten seit vergangenem Wochenende strenge Ausgangssperren – sie dürfen die Lager nicht mehr verlassen. In Bihać, an der Grenze zu Kroatien, die seit ein paar Jahren durch die Migrationskrise schwer belastet ist, sind aber nach wie vor viele Afghanen und Pakistaner auf der Straße, weil es in den alten Camps zu wenig Platz gibt. Migrationsexperten rechnen aber damit, dass höchstens 1.000 Leute in Lipa bleiben werden, denn das Lager befindet sich nicht auf der Route nach Kroatien.

Die meisten der zehntausenden Migranten, die in den vergangenen Jahren hierher in den Kanton Una-Sana gekommen waren, versuchten, auf illegale Weise durch die Wälder nach Kroatien zu gelangen. Von dort aus wollten sie weiter nach Italien, um dort unterzutauchen. Doch Italien ist nun nicht mehr attraktiv – weil es selbst auf dem Schwarzmarkt keine Jobs mehr gibt.

Bisher kaum Rückführungen

Viele dieser jungen Männer, die sich in Bosnien befinden, haben gleichzeitig keine Chance, irgendwo Asyl zu bekommen, weil sie Wirtschaftsmigranten aus Pakistan sind. Die Orientierungslosigkeit dieser Leute, für die in ihrer Heimat viel Geld gesammelt wurde, damit sie nach Europa reisen, ist in der Covid-19-Krise besonders stark zu spüren. In jüngster Zeit kam es in zwei Aufnahmezentren zu Schlägereien. Der bosnische Sicherheitsminister Fahrudin Radončić kündigte auch deshalb nun diese Woche an, dass tausende Migranten abgeschoben werden sollen. Bisher hat es Bosnien-Herzegowina kaum fertiggebracht, Rückführungen – etwa nach Pakistan – zu organisieren. Nun will Radončić einen Schwerpunkt darauf legen.

Die meisten der Wirtschaftsmigranten hätten keine Reisepässe, meinte Radončić. "Das ist ein großes Sicherheitsproblem, das das Leben unserer Bürger ruiniert." Im Kanton Una-Sana gab es immer wieder Beschwerden der lokalen Bevölkerung, weil es zu Einbrüchen und Diebstählen gekommen war. Es gibt aber auch viele Bosnier, die den Migranten helfen und ihnen Kleidung und Essen zur Verfügung stellen. Die meisten Migranten werden auch gar nicht straffällig. In Sarajevo versuchen sie etwa durch den Verkauf von Taschentüchern ein paar Cents zu verdienen.

40.000 bis 50.000 Arbeitslose mehr in Bosnien-Herzegowina

Die Fremdenpolizei soll nun damit beginnen, die Migranten zu befragen, ob sie freiwillig zurückgeflogen werden wollen, verfügte Radončić. Personen, die künftig eine Identitätsfeststellung verweigern würden, könnten ins Gefängnis gehen, kündigte der Minister an und verwies darauf, dass das Migrationsproblem seit fünf Jahren nicht gelöst worden sei.

"Alle diese Migranten kommen aus Ländern, die reicher als Bosnien und Herzegowina sind, und sie müssen abgeschoben werden", meinte Radončić. Die EU werde Geld für Rückführungen zur Verfügung stellen. "Wir sind nicht unmenschlich, aber jetzt werden wir 40.000 bis 50.000 Arbeitslose mehr haben", verwies der Minister auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Gesundheitskrise für die Bosnier. Es könne deshalb nicht sein, dass "Bosnien und Herzegowina ein Parkplatz für Europa ist", so Radončić.

Entscheidung des Verfassungsgerichts

Die Inspektoren des Amtes für Fremdenwesen hatten indes Probleme, weil Migranten in den Aufnahmezentren nicht kooperieren wollten, berichteten bosnische Medien. Nun sollen Gespräche mit den Botschaften jener Staaten aufgenommen werden, aus denen die meisten Migranten kommen: Pakistan, Algerien, Marokko und Afghanistan. Ausgenommen sind syrische Staatsbürger, die vor Krieg und Gewalt geflüchtet sind. Sie werden nicht zurückgeführt, sondern bekommen auch in Bosnien-Herzegowina Asyl.

Das bosnische Verfassungsgericht hat indessen die weitreichenden Ausgangssperren, die im Landesteil Föderation gelten, als rechtswidrig zurückgewiesen. Die Behörden wurden aufgefordert, die Verordnungen so zu verändern, dass diese wieder der Verfassung entsprechen. Dabei geht es vor allem darum, dass unter 18-Jährige und über 65-Jährige die Wohnungen und Häuser seit Wochen nicht verlassen dürfen. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts gilt allerdings nicht für die Ausgangsbeschränkungen für Migranten.

Dritte Flüchtlingseinrichtung in Griechenland unter Quarantäne

Auch in anderen Balkanstaaten wie in Griechenland herrschen strikte Ausgangsbeschränkungen für Geflüchtete – diese gelten bis 10. Mai. In einer Jugendherberge, 170 Kilometer südlich von Athen, in der hunderte Migranten untergebracht sind, wurden indes 150 Personen positiv getestet. Die Einrichtung wurde – wie zuvor bereits zwei andere Flüchtlingscamps – unter Quarantäne gestellt.

Kommenden Samstag sollen zudem 1.500 Flüchtlinge aus dem Lager Moria auf Lesbos aufs Festland gebracht werden. Auf den Ostägäischen Inseln gibt es bislang keine Covid-19-Fälle, und die Migranten sind dort sicherer vor einer Ansteckung als auf dem Festland. Aber das Lager Moria ist heillos überfüllt, und viele Menschen müssen in selbstgebauten Zelten wohnen. Die österreichische Regierung schickt deshalb 180 Container, die in Moria dringend gebraucht werden. Auf Chios kam es indes nach einer Falschmeldung, dass eine Person im Lager Vial an Covid-19 gestorben sei, zu gewaltsamen Ausschreitungen. Die Polizei reagierte mit einem Tränengas-Einsatz.

Bisher sieben infizierte österreichische Soldaten

Auch die Soldaten der internationalen Missionen auf dem Balkan, nämlich Eufor/Althea und Kfor im Kosovo, sind von Sars-CoV-2 betroffen. Beim österreichischen Kontingent der Eufor gibt es bislang sechs infizierte Personen, die aber alle bereits nach Österreich geflogen wurden. Beim österreichischen Kontingent musste eine Person wegen einer Covid-19-Positivtestung nach Österreich gebracht werden, so das österreichische Verteidigungsministerium zum STANDARD.

Bei allen österreichischen Kontingenten im Ausland wurden die Sicherheitsmaßnahmen in Bezug auf Covid-19 erhöht – wie das Tragen von Masken und das Einhalten der Sicherheitsabstände. Auch Angehörige von Risikogruppen wurden nach Österreich gebracht. (Adelheid Wölfl, 24.4.2020)