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Der Abtransport von Toten aus Spaniens Altersheimen ist vielerorts zur Routine geworden. Angehörige können oft nicht einmal Abschied nehmen.

Foto: Reuters / Juan Medina

"Die vergangenen Wochen waren nicht leicht", erklärt José Manuel Martín, Angestellter im Altersheim Domus Vi im Madrider Viertel Usera. Seit 18 Jahren arbeitet er hier. Erst als Pflegehelfer und jetzt als eine Mischung aus Portier, Verwaltungsmitarbeiter und Mitarbeiter für alles. Aber so etwas hat er noch nicht erlebt. 40 der 130 Bewohner verstarben in wenigen Wochen – mit Covid-19-Befund.

Dann muss Martín arbeiten. Er begleitet die Notärzte auf die Zimmer der Verstorbenen, damit sie den Totenschein ausstellen, und verständigt die Familien. Die Angehörigen dürfen – so die Sicherheitsbestimmungen – nicht von ihren Toten Abschied nehmen. Eine Totenwache gibt es nicht. Maximal drei Personen dürfen aus sicherer Entfernung mit ansehen, wie der Sarg in die Grube gelassen oder ins Krematorium gebracht wird. "Am Höhepunkt der Krise waren die Bestattungsinstitute so überfordert, dass die Leichname oft bis zu drei Tage im Zimmer lagen, bevor sie abgeholt wurden", berichtet Martín mit gedrückter Stimme.

"Schlechte Führung"

Laut staatlichem Fernsehen TVE verstarben seit Anfang März knapp 14.000 Seniorinnen und Senioren in den rund 4.200 privaten und 1.400 öffentlichen Altersheimen Spaniens. Das sind 68 Prozent aller Corona-Toten. Madrid ist die am stärksten betroffene Region.

Im Falle des privaten Domus-Vi-Heimes macht Gewerkschaftsmitarbeiter Martín "schlechte Führung" für die Katastrophe verantwortlich. Nach wie vor funktioniere die Isolierung von Covid-19-Fällen nur bedingt. Eigentlich sollten sie alle in eine eigene Abteilung verlegt werden. Doch es gebe Fälle in allen Stockwerken.

Martín sagt, am Anfang habe es an Schutzkleidung und Masken gefehlt. Die Folge: Rund ein Viertel der Belegschaft war mit Verdacht auf Covid-19 krankgeschrieben. "Wer arbeitet, wird nicht getestet. Tests gibt es nur für die, die nach einer Krankschreibung zurückkommen", sagt Martín. Viele der Masken und die wenigen Schutzanzüge, die mittlerweile im Einsatz sind, stammten aus Spenden, von Privatleuten und von der Feuerwehr.

Zu langes Zaudern

Andere Heime hat es noch schlimmer getroffen. "Bei uns starben 96 von 263 Bewohnern, 75 Prozent der Belegschaft waren oder sind krankgeschrieben", berichtet Isabel Lozar. Die Pflegehelferin im Vitalia-Altersheim vor den Toren Madrids berichtet ebenfalls von Materialmangel. Und anstatt die Altersheime zu schließen, seien die Bewohner, die noch fit sind, bis zur Verhängung der Ausgangssperre am 14. März spazieren oder einkaufen gegangen. Das Heim war für Besucher offen.

Juani Peñafiel, Sprecherin der Gewerkschaft CCOO, befürchtet, dass die Zahl der Toten in den Madrider Altersheimen weit höher ist als die in den offiziellen Angaben. Dass überhaupt spanienweite Statistiken bekannt wurden, liegt nicht am Gesundheitsministerium, sondern an der Cadena Ser. Der meistgehörte Radiosender trug Ende März erstmals alle Daten zusammen. Die Katastrophe wurde so öffentlich, seither gibt es offizielle Zahlen.

Für Peñafiel hat die besonders schwere Lage in Madrid mit der Privatisierungspolitik der konservativen Regionalregierung zu tun. "Das Personal auf den Stationen wurde im letzten Jahrzehnt halbiert", sagt die CCOO-Sprecherin. Während in Madrid auf jeden der 6.000 Bewohner in den 25 öffentlichen Heimen fast ein Bediensteter kommt, sind es für die 46.000 Bewohner der 475 privaten Einrichtungen gerade einmal 14.000 Beschäftigte. (Reiner Wandler aus Madrid, 24.4.2020)