Die beiden Angeklagten vor dem Koblenzer Gericht.

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Koblenz – Im weltweit ersten Prozess um Mord und Folter durch den syrischen Staat haben die beiden Angeklagten zum Auftakt am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Koblenz geschwiegen. Der Anwalt des Hauptangeklagten Anwar R. kündigte an, "in Kürze" eine schriftliche Erklärung abgeben zu wollen. Der Verhandlungstag wurde nach der Verlesung der Anklage beendet, die Beweisaufnahme soll am Freitag beginnen.

Die Anklage erhob schwere Vorwürfe gegen den 57-jährigen R. und den wegen Beihilfe angeklagten Eyad A., die dem syrischen Geheimdienst von Machthaber Bashar al-Assad angehört haben. Der deutsche Generalbundesanwalt legt dem Hauptverdächtigen R. unter anderem 58-fachen Mord und Folter zur Last. Der syrische Geheimdienst sei seit März 2011 "zunehmend brutaler" gegenüber Demonstranten geworden, sagte Oberstaatsanwalt Jasper Klinge.

Folter, Mord und Vergewaltigung

R. war nach Überzeugung der Anklage der militärische Vorgesetzte des berüchtigten Al-Khatib-Gefängnisses in Damaskus. Unter seiner Befehlsgewalt sollen zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4.000 Häftlinge während ihrer Inhaftierung mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein. In jeweils einem Fall soll es zu einer Vergewaltigung und einer schweren sexuellen Nötigung gekommen sein.

Die Misshandlungen sollen dazu gedient haben, Geständnisse zu erzwingen und Informationen zu erlangen. Mindestens 58 Menschen sollen durch die Misshandlungen ums Leben gekommen sein. Die Haftbedingungen seien "insgesamt menschenunwürdig" gewesen, sagte Klinge in der Anklageverlesung. Haftzellen sollen so stark überfüllt gewesen sein, dass ein Hinsetzen oder Hinlegen unmöglich war.

Der 43-jährige A. soll Mitarbeiter einer Unterabteilung gewesen sein und den Transport von 30 festgenommenen Demonstranten begleitet haben, die bereits auf der Fahrt zum Gefängnis geschlagen worden sein sollen. Nach Überzeugung der Anklage wusste A. bei der Festnahme der Menschen von der systematischen Folter in dem Gefängnis.

Opfer haben die Angeklagten in Deutschland wieder erkannt

Ins Rollen kam der Prozess, nachdem nach Deutschland geflüchtete Opfer ihre mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt hatten. Bis Mitte August sind in dem Verfahren 24 Verhandlungstage angesetzt. "Dieser Prozess ist nicht nur für uns wichtig, sondern auch für die Opfer, die noch im Gefängnis sitzen und für die, die nicht mehr am Leben sind", sagte Nebenkläger Wassim Mukdad am Rande des Prozesses.

Die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bezeichnete den Prozess als "historisch" und sprach von einem "Signal der Hoffnung und Gerechtigkeit". Der Generalbundesanwalt setze weltweit Maßstäbe. "Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht macht dies möglich", erklärte Lambrecht.

Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte Abteilungsleiterin Julia Duchrow, das "historische Verfahren" sei "ein Meilenstein im Kampf gegen die Straflosigkeit von schwersten Menschenrechtsverletzungen in Syrien". Das Berliner Zentrum für Folteropfer forderte mehr Hilfe für die Opfer der syrischen Sicherheitskräfte. Sie bräuchten dringend Hilfe, um ihre schweren Traumatisierungen aufzuarbeiten, erklärte die Einrichtung. (APA, 23.4.2020)