Elly Tanaka mit einem Axolotl, der so gut wie alle Organe regenerieren kann.

IMP

Die Corona-Krise hat auch am Vienna Bio-Center für eine Zwangspause gesorgt. Am größten Standort für biomedizinische Forschung in Österreich herrscht nach wie vor Minimalbetrieb, doch langsam erwacht die Forschungstätigkeit wieder: Labortiere und Zelllinien wurden auch während des Shutdowns betreut, seit 14. April gibt es immerhin einen Schichtbetrieb mit strengen Hygieneregeln, reduzierter Personenanzahl im Institut und anderen Maßnahmen.

Etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen auch wieder hunderte Axolotl, die in Aquarien im Forschungsinstitut für molekulare Pathologie (IMP) am Vienna Bio-Center leben. Diese einzigartige Amphibienart, die übrigens bereits seit dem 19. Jahrhundert als Labortier im Einsatz ist, wie eine neue wissenschaftshistorische Studie zeigt, hat Elly Tanaka vor gut drei Jahren ans IMP mitgebracht. Die aus den USA stammende Wissenschafterin, die bis 2006 an der TU Dresden forschte, ist eine der weltweit führenden Expertinnen für Regenerationsbiologie – nicht zuletzt dank ihrer Axolotl-Forschungen.

Regenerationsweltmeister

Das Nachwachsen von Gliedmaßen oder ganzen Organen lässt sich an den aus Mexiko stammenden Schwanzlurchen besonders gut studieren, gelten diese doch als die Regenerationsweltmeister unter den Wirbeltieren: Sie können so gut wie alles ersetzen, was ihnen entfernt wurde. Tanaka, die in Harvard Biochemie studierte und 1993 an der University of California in San Francisco promovierte, hat mit immer neuen Methoden etliche dieser Regenerationsmechanismen auf zellulärer und molekularbiologischer Ebene entschlüsseln können.

Axolotl verlassen im Laufe ihres langen Lebens (bis zu 20 Jahre) nie das Larvenstadium.
Foto: IMP / Hannes Kadletz

Im Moment sind aber auch die Axolotl-Experimente von Tanaka und ihrer Forschergruppe, die rund 20 Forscherinnen und Forscher umfasst, wegen der Corona-Krise stark reduziert. Der tägliche Wissenschaftsbetrieb geht für sie selbst aber fast nahtlos online weiter: "Ich bin im Grunde mit all den Besprechungen und Planungen genauso beschäftigt wie zuvor – nur eben nicht am Institut, sondern zu Hause", sagt Tanaka. Ihre Sorge gilt dabei vor allem den jüngeren Kollegen: "Für sie bedeutet die aktuelle Situation besonders viel Unsicherheit, weil sie eine befristete Anstellung haben, jetzt aber viel Zeit verlieren und Experimente nicht fortführen können oder sogar abbrechen mussten."

Tanaka leitet eine von 16 Gruppen am IMP, das als eine der besten Adressen für molekularbiologische Grundlagenforschung in Europa gilt. Entsprechend hoch ist am IMP auch die Zahl der vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanzierten Projekte, die als Gradmesser für wissenschaftliche Exzellenz gelten. Wie quasi selbstverständlich hat auch Tanaka gleich nach ihrer Übersiedlung aus Dresden 2017 einen Advanced Grant des ERC eingeworben.

Woman in Science Award 2020

Kürzlich hat die Forscherin noch eine andere prestigeträchtige Auszeichnung erhalten: den mit 10.000 Euro dotierten Women in Science Award 2020 der großen unabhängigen Fachgesellschaften Febs (Federation of European Biochemical Societies) und Embo (European Molecular Biology Organization).

Dass es einen solchen Preis für Wissenschafterinnen gibt, hat wohl auch ein wenig damit zu tun, dass es in diesem hochkompetitiven Forschungsfeld Frauen lange sehr schwer hatten, in der Hierarchie bis ganz an die Spitze zu kommen. "Seit ich in den USA promoviert habe und professionelle Forscherin wurde, hat sich aber auch in dem Bereich viel verändert", sagt Tanaka. Zum einen seien die jüngeren Forscherinnen, die bei ihr im Labor arbeiten, sehr viel selbstbewusster, als sie selbst und ihre damaligen Kolleginnen es in den 1990er-Jahren gewesen seien, so Tanaka: "Zum anderen können heute auch Frauen mit Familie Spitzenforschung betreiben, was damals fast undenkbar war."

Veränderungen auch am IMP

Dieser Wandel zeigt sich auch am IMP, das 1985 vom Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim in Wien gegründet worden war und an dem Forscherinnen in Spitzenpositionen zumindest in den ersten Jahrzehnten eine absolute Rarität waren. "Mittlerweile werden neben meiner eigenen noch drei der 14 Forschergruppen am IMP von Frauen geleitet, die alle exzellente Wissenschafterinnen sind", sagt Tanaka.

Eine wichtige Rolle bei diesen Veränderungen am IMP und anderen Spitzenforschungsinstituten spielten ihrer Meinung nach auch gezielte frauenfördernde Maßnahmen: "Es ist nach wie vor wichtig, gezielt Spitzenforscherinnen für Vorträge einzuladen oder darauf zu beharren, dass auf Konferenzpodien selbstverständlich auch Frauen vertreten sein müssen." Genau solche Maßnahmen hätten in den letzten Jahren wesentlich zum Bewusstseinswandel beigetragen und etliche junge Top-Forscherinnen ermutigt, in der Wissenschaft zu bleiben.

Als etablierte Forscherin ist Tanaka mittlerweile in einer Position, die es mit sich bringt, dass sie selbst eher selten im Labor steht, sondern eher im Büro arbeitet – oder eben jetzt im Homeoffice – und die Forschung in ihrem Labor managt sowie Anträge und Publikationen schreibt. Kürzlich erst habe sie aber wieder selbst ein kleines Experiment durchgeführt und sei von den neuesten technischen Möglichkeiten sofort wieder angetan gewesen.

Von der Zelle zum Genom

Fortschritte bei Sequenziertechnologien, aber auch in der Mikroskopie haben dazu geführt, dass Tanaka mit ihrem Team nicht mehr nur auf der Ebene der Zellen erforscht, wie die Axolotl im Gegensatz zu den meisten anderen Tieren ihre Gliedmaßen nahezu perfekt regenerieren können. Mittlerweile lässt sich auf Ebene des Genoms in den Zellen analysieren, welche Gene an der Regeneration beteiligt sind und welche Rolle die Genomregulation beim Nachwachsen von Zellgewebe spielt.

Praktische Anwendungen dieser Erkenntnisse gibt es mittlerweile auch: So konnte Tanaka mit ihrem Team ein dreidimensionales Gewebe aus Stammzellen herstellen, das zum Screening von Medikamenten verwendet wird. Auf diese Weise sollen Wirkstoffe überprüft werden, die Defekte in pigmentierten Netzhaut-Epithelzellen bekämpfen könnten, die eine fortschreitende Erblindung verursachen.

Ob die wundersame Selbstheilung der Axolotl mithilfe der an diesen gewonnenen Erkenntnisse auch einmal beim Menschen möglich sein wird, steht in den Sternen und wird, wenn überhaupt, wohl erst in sehr ferner Zukunft möglich sein. Die durch die Corona-Krise verlorene Zeit für Axolotl-Experimente ist da schon eingerechnet. (Klaus Taschwer, 28.4.2020)