Freund oder Feind? Im Überwachungskapitalismus des 21. Jahrhunderts versprechen informationsverarbeitende Maschinen den höchsten Profit.

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Der Titel eines Romans von Ian McEwan aus dem Jahr 2019 ist so doppeldeutig wie ironisch: Machines Like Me. Maschinen sind wie wir– und sie mögen uns. Ist die Zuneigung auch eine Drohung? Und von welchen Maschinen sprechen wir eigentlich? Von Bots oder von Robotern, die uns im Krieg vergiften oder im Alter pflegen?

Von der Aufrüstung der Biotechnologie oder von Intelligenzverbunden, die wir Wälder oder Pilzkolonien nennen? Sind die Automaten unserem Empfinden bereits so nahe, dass sie auch frei sein wollen und demnächst den Aufstand der Maschinen proben – oder sind wir Quantified Selves umgekehrt nicht viel mehr als Anhängsel von Netzwerkmaschinen, die zum Beispiel dafür sorgen, dass Begegnungen mit einem potenziellen Virusüberträger unwahrscheinlich werden?

Transhumanismus

Der Unterschied zwischen Menschen und Robotern wird jedenfalls schon bald verschwinden, prophezeien Informatiker wie Rodney Allen Brooks, die freilich auch ein handfestes Interesse an der Propagierung dieses Forschungsinteresses haben. Transhumanistisch gesinnte Menschen rüsten ihre Körper auf, während das Daten-Ich immer mehr "Fleisch" bekommt und Forschungszweige wie Affective Computing an der Simulierung und Interpretation der Affekte arbeiten.

Die Differenz zwischen Natur und Technik löst sich im Zugriff auf Baupläne genauso auf wie die humanistische Hoffnung, dass unbewusste Wünsche, Ängste und Vorlieben nicht zum Gegenstand algorithmischer Steuerungen werden.

Zugleich offenbart sich im Beisein der Maschinen ein Abgrund, der die Kategorie des Unheimlichen aktualisiert. Googles DeepDream-Software lässt beispielsweise Bilder auf eine Weise mutieren, als ob man am Schirm psychedelischen Animationen von Wesen unbekannter Herkunft begegnete.

Maschinenliebe

Applikationen wie DeepDream weisen auf eine lange Geschichte der Maschinenobsession hin. Sie reichen von der Aufregung angesichts des vorgeblichen Schachroboters, des sogenannten Schachtürken, von Wolfgang von Kempelen 1769 über die Verlautbarung der drei "Bewusstseinszustände" eines Thermostaten namens heiß, kalt und richtig des Mathematikers John McCarthy in den 1950er-Jahren und Andy Warhols Empfehlung, sich selbst zur Maschine zu machen, bis hin zur missionarischen Unsterblichkeitsforschung des Cyborgentwicklers Ray Kurzweil.

Die Maschinenliebe ist mindestens so alt wie die Maschinenstürmerei und die Angst vor den Maschinen, die manchen Unterprivilegierten und Unterdrückten das Leben schwerer statt leichter machen.

Usergenerierte Daten und Algorithmen

Heute werden jedenfalls Menschen und Daten ausgebeutet. Im Überwachungskapitalismus des 21. Jahrhunderts versprechen informationsverarbeitende Maschinen den höchsten Profit. Usergenerierte Daten liefern den Rohstoff für ein Regime, das auf Training und Lerneffekte von Algorithmen setzt. Wer mehr Daten prozessieren kann als der Konkurrent, ist dabei im Vorteil – als Staat, als Geheimdienst, als Unternehmen, als Politiker.

In der Black-Box-Society werden daher immer mehr soziale und politische Funktionen an jene Sozialmaschinen delegiert, die man KI-Systeme nennt. Die diskriminierenden und normierenden Voraussetzungen der Programmierung dieser datenhungrigen Software bleiben in der Regel undurchschaut, während der Output immer mehr an Interpretation und Steuerung möglich macht.

Man denke etwa an das chinesische Sozialkreditsystem oder an die hinter unserem Rücken mögliche Weiterverarbeitung von Corona-App-Daten und andere Mustererkennungsdienste. Das wachsende Vertrauen in die KI ermöglicht aber nicht nur geheimes Wissen und Kontrolle im großen Stil, sondern schafft gleichzeitig Sicherheitslücken und erhöht die Störanfälligkeit komplexer Systeme.

Zudem sind Clouds und Netze weder immaterielle noch politikneutrale Instrumente zur Implementierung smarter Citys und anderer solutionismusgläubiger Fortschrittsideologien, sondern interessengesteuert, energiegefräßig und klimaschädlich.

In Konflikte verstrickt

Ungeachtet der Spannung zwischen künstlicher Intelligenz und technodeterministischer neuer Dummheit steht jedenfalls fest: Informationsbasierte und ästhetische Experimente kommen einander heute sehr nahe. Forschungen dazu finden sich in musikalischen KI-Softwares, humanoiden "Cobot"-Anwendungen oder in digitalen Bildfindungen, die das Uneindeutige, sich Wandelnde zum Stilprinzip machen.

Der Stand dieser Produktivkräfte fordert Bilder und Selbstbilder der Künste heraus. Zudem müssen sich kritische Ästhetiken aber auch mit dem politischen Status der Maschinen auseinandersetzen.

Denn Maschinen sind niemals neutral, weil sie immer schon in Gebrauch und somit in Konflikte verstrickt sind. Sie können bei der Unterdrückung oder Vernichtung von Menschen helfen, Wahnvorstellungen und Trugbilder bestärken oder Verbündete in Rebellionen oder Protestbewegungen sein.

"This machine kills fascists." Ein Sticker mit dieser Botschaft fand sich in den 1940er-Jahren auf der Gitarre von Woodie Guthrie. Jahrzehnte später tauchte der Spruch auf schwarzen T-Shirts auf. Er bezog sich aber nicht auf eine Gitarre, sondern auf den T-Shirt-Aufdruck mit der grafischen Darstellung eines Synthesizers. Im Jahr 2019 schließlich erfuhr der Zusammenhang von Popkultur, Technik und Politik einen neuen Dreh. Zola Jesus nannte ihre Kollegin Grimes "die Stimme der faschistischen Privilegierten aus dem Silicon Valley".

Claire Boucher alias Grimes ist mit dem Paypal-, Tesla- und SpaceX-Gründer und Milliardär Elon Musk liiert und hatte zuvor in einem Interview ihre Zukunftsvision der Popkultur verkündet. Livekonzerte würden bald obsolet sein, künstliche Intelligenzen würden die neuen Herausforderungen von Wissenschaft und Kunst beherrschen und schon bald viel bessere Kunst als die der Menschen in die Welt setzen.

KI in Wissenschaft und Kunst

Während intelligente Playlists lernen, nicht nur unseren Geschmack, sondern auch unsere Launen und Stimmungen zu deuten und uns in mancher Hinsicht schon jetzt besser kennen als wir uns selbst, haben musizierende Forscher wie David Cope schon vor Jahren Programme entwickelt, die in the style of Bach, Mozart oder wem auch immer Kompositionen errechnen, die auch von Klassikexpertinnen nicht mehr von ihren Vorbildern unterschieden werden können.

Im Frühjahr 2020 hätte Beethovens zehnte Symphonie, die bislang nur in Fragmenten vorhanden war, als ein von einer KI zu Ende geschriebenes Werk in Bonn uraufgeführt werden sollen. Auch in der Popkultur halten viele große Stücke auf den "creativity code". Das neue Ideal von Holly Herndon und anderen Frontfiguren der algorithmischen Offensive ist die Verschwesterung von Chor und KI, Körper und Kilobytes.

Ein Beispiel ist Godmother, ein Stück aus Holly Herndons Album Proto von 2019. Darin turnt eine KI namens Spawn gemeinsam mit der beinverknotenden Beatschmiedin JLin herum. Herndon nennt das statt "independent music" "interdependent music". Von der Unabhängigkeit zur wechselseitigen Abhängigkeit.

Aufwertung der algorithmischen Umsorgung

Die Tragweite des Einsatzes von KIs ist noch gar nicht abzusehen. KIs könnten Anwendungen in ungeahnter Weise spezifizieren und personalisieren. Playlists könnten individuelle Befindlichkeiten, Stimmungen, Uhrzeiten Wetterlagen usw. berücksichtigen und maßgeschneiderte Sounddesigns liefern, denen allerdings jede Verbindlichkeit abginge.

Der Aufwertung der algorithmischen Umsorgung der Konsumenten könnte die Abwertung der soziokulturellen Verortung von Sound entsprechen. Ob solche KI-Apps künftig von Inderinnen in prekären Verhältnissen programmiert werden und wem die Aktiendividenden dafür zukommen, würde wohl von Laien kaum zu klären sein und auch nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen.

Stattdessen könnte die vorgebliche identitätspolitische Leerstelle einer neuen Maschinenästhetik die Ideologie der künstlerischen Autonomie neu beleben.

Wir sind längst schon andere geworden

Der Begriff der Autonomie galt lange als die Errungenschaft der modernen Kunst, die sich von früheren Abhängigkeiten von Kirche oder Hof befreit hatte. Selbstverständlich ist Selbstbestimmung besser als Fremdbestimmung.

Aber der Glaube an die Autonomie wurde selbst zum Fetisch, der in Substraten wie der Indiemusik fortlebte. Er ist schon deshalb ein fiktionales Ideal, weil wir nicht einmal über uns selbst bestimmen. Menschen brauchen Resonanz, wie das Soziologen nennen: Etwas muss zurückkommen.

Die Interdependenz verweist auf eine ökologische Einsicht, die die unhintergehbare Verstricktheit von Mensch und Maschine benennt. Menschen nutzen Maschinen, die auf Menschen einwirken und diese verändern. Wir sind schon längst andere geworden, seitdem wir erfahren haben, wie Maschinen klingen, Bilder machen oder uns zum Beispiel dazu bringen, über Roboterethik oder sogenannte Todesalgorithmen in selbstfahrenden Autos nachzudenken.

Und wir werden wieder andere, wenn wir uns damit beschäftigen, was Maschinen vermögen, wenn sie uns – wie etwa in den jenseits von Dystopie und Utopie angesiedelten computeranimierten Filmen Geomance (2017) oder AIDOL (2019) von Lawrence Lek – eine Welt ohne Menschen, aber voller Empfindungen anbieten.

Intelligenz der Oktopusse

Der Künstler und Autor James Bridle kommt in seinem meditativen Kurzfilm Se ti sabir (2019) zu einem ähnlichen Schluss. Angesichts fließender Gewässer räsoniert eine Stimme aus dem Off, dass ein zukunftsträchtiger Begriff von Intelligenz nicht auf einzelne Akteur*innen angewandt werden sollte, sondern auf Netzwerke.

Die Intelligenz der Oktopusse ist für Bridle genauso eine andere, fremdartige und faszinierende Intelligenz wie die KI. Beide können zu einer höheren, geteilten Intelligenz eines Netzwerks beitragen. Bridle versteht die KIs nicht als drohenden Ersatz für menschliche oder natürliche Intelligenz, sondern ähnlich wie Herndon in musikalischem Sinn als zusätzliche Stimmen.

Diese sollen in einen voneinander lernenden und voneinander abhängigen Intelligenzverbund eingegliedert werden und nicht wie im konkurrenzverseuchten Posthumanismus-Diskurs das Auslaufmodell Mensch ersetzen.

Die neuen Stimmen, so die jenseits der Maschinenstürmerei oder der ihr entgegengesetzten KI-Vergötterung angesiedelte Hoffnung, sollen dabei helfen, einen "Chor des Lebens zu verstehen und darein einzustimmen". (Thomas Edlinger, 24.4.2020)