Nicht nur die Schmetterlingsbestände lösen sich immer mehr in Luft auf.
Illustration: Gabriele Rada

In den vergangenen Jahren sorgte eine Reihe von Studien für Aufsehen, die einen dramatischen Rückgang der weltweiten Insektenpopulationen zeigten. Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt eine Studie aus Naturschutzgebieten im Raum Krefeld: Diese konstatierte einen Rückgang der Biomasse fliegender Insekten von mehr als 75 Prozent im Verlauf eines Vierteljahrhunderts.

Allerdings zeichnen die einzelnen Studien ein kompliziertes und teilweise auch widersprüchliches Bild, was die Entwicklung der Insektenbestände im Gesamten betrifft. Deutsche Forscher haben nun im Fachjournal "Science" eine Meta-Analyse von 166 Langzeitstudien aus verschiedenen Weltregionen veröffentlicht, wie das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) berichtet. Forscher des iDiv haben zusammen mit Kollegen der Universitäten Leipzig und Halle-Wittenberg versucht, einen Gesamttrend herauszufiltern, damit man nicht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht.

Rückgang hält an

Das wichtigste Ergebnis: Im globalen Durchschnitt gehen die Bestände landlebender Insekten – etwa Schmetterlinge, Heuschrecken oder Ameisen – um 0,92 Prozent pro Jahr zurück. In Teilen der USA sowie in Europa, insbesondere in Deutschland, ist der Rückgang am stärksten. Studienerstautor Roel van Klink vom iDiv dazu: "0,92 Prozent klingt vielleicht nicht nach viel, aber es bedeutet 24 Prozent weniger Insekten über 30 Jahre und sogar eine Halbierung über 75 Jahre. Der Rückzug der Insekten findet leise statt – in nur einem Jahr bemerken wir das nicht."

Die ökologischen Folgen eines solchen Rückgangs waren nicht das Kernthema der Analyse. Eine aktuelle Studie aus der Schweiz wirft aber ein kleines Schlaglicht darauf, wie sich Insektenschwund sofort auf die Nahrungskette auswirkt: Forscher der Universitäten Basel und Gent veröffentlichten in der Fachzeitschrift "Insects" ihre Studie, in der sie von einem dramatischen Rückgang der Zahl an Radnetzspinnen in der Schweiz berichten. Arten wie die Kreuzspinne würden immer seltener, weil sie nicht mehr genügend Insekten in ihren Netzen fangen.

Der Ausreißer

Der Trend nach unten gilt laut iDiV nicht nur für auffällige Fluginsekten, sondern auch für Arten, die versteckt im Boden leben. Eine Gruppe allerdings schert aus dem Trend aus: Süßwasserinsekten. Die Bestände von Arten, die ihr Leben zeitweise im Wasser verbringen – etwa Libellen, Wasserläufer oder Köcherfliegen – steigen im Schnitt um 1,08 Prozent pro Jahr. Das entspräche einer Steigerung um 38 Prozent über einen Zeitraum von 30 Jahren.

Wasserbewohnern wie hier dem Gemeinen Wasserläufer geht es inzwischen wieder besser.
Foto: Oliver Thier

Diese gegenläufigen Trends sind aber nicht unbedingt ein Widerspruch. In beiden Fällen sehen die Forscher die Zerstörung natürlicher Lebenräume als entscheidenden Faktor. Verstädterung und landwirtschaftliche Monokulturen – sogenannte Agrarwüsten – lassen immer weniger Platz für die Natur. Die Süßwasserlebensräume hingegen haben ihr Purgatorium schon hinter sich: Gewässersanierungen haben die Situation gegenüber der vergifteten Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich verbessert. Die dortigen Insektenpopulationen konnten und können sich also wieder erholen.

Studienkoautor Jonathan Chase sieht darin einen Hoffnungsschimmer: "Die Zahlen zeigen, dass wir die negativen Trends umkehren können. In den letzten 50 Jahren wurde weltweit viel getan, um verschmutze Flüsse und Seen wieder zu säubern. Dadurch haben sich möglicherweise viele Populationen von Süßwasserinsekten erholt. Das stimmt zuversichtlich, dass wir die Trends auch bei Populationen umkehren können, die momentan zurückgehen." (red, 24. 4. 2020)