Vietnam setzt im Kampf gegen Corona auf Aufklärung. Dabei kommt neben modernen Videos auch altbekannte Propaganda zum Einsatz.

Foto: EPA / Lung Thai Linh

Hanoi – Was andere Staaten mühsam versuchen, ist Vietnam nicht nur ein-, sondern schon zweimal geglückt: die Übertragung des neuen Coronavirus im eigenen Land quasi zu stoppen. Zwei neue Fälle werden seit 15. April im dichtbesiedelten südostasiatischen Land gemeldet, insgesamt waren es bisher nur 268. Tote hat das Land bisher gar nicht zu verzeichnen – trotz der geografischen Nähe zu China. Und nicht nur das: Auch der wirtschaftliche Schaden für die 95 Millionen Vietnamesinnen und Vietnamesen wird sich laut Prognosen in Grenzen halten – derzeit wird dem eigentlich so exportorientierten Land noch immer Wachstum prognostiziert.

Vietnam, so muss man es sagen, steht glänzend da, dieser Tage wurden erstmals Maßnahmen gelockert: Inlandsflüge finden seit Donnerstag statt, Versammlungen von bis zu 20 Menschen sind wieder erlaubt, und auch Busse und Züge fahren Arbeiterinnen und Arbeiter wieder durchs Land. Geschafft hat es das Land mit einem anderen Rezept als viele der weiteren erfolgreichen Staaten in Asien: Für "Tests, Tests, Tests" wie in Südkorea ist der Staat nicht wohlhabend genug – man setzt auf sie nur in Maßen. Stattdessen liegt der Erfolg wohl in einer sehr schnellen Reaktion der Regierung und gesundem Misstrauen gegenüber China. Er liegt aber auch in zahlreichen Maßnahmen begründet, wie sie in westlichen Demokratien nur schwer zu kopieren wären.

Wer hackt, weiß mehr

Aber zunächst zur offensichtlichen Frage: Wenn Vietnam wenig testet – wie kann dann gesagt werden, dass die autoritäre Regierung nicht einfach die Zahlen frisiert? Dafür, dass es nicht so ist, gibt es zwei Anhaltspunkte: zum einen ist es die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten der US-Seuchenbehörde CDC. Sie haben der vietnamesischen Regierung bei den Tests geholfen und teilen in US-Medien auf Nachfrage mit: Nein, dafür, dass es nicht öffentlich bekannte Testergebnisse gebe, spreche nichts. Und wenn es bei den insgesamt doch recht zahlreichen Tests keine einzige positive Probe gebe, dann sei das durchaus aussagekräftig. Der zweite Punkt: Auch wenn vereinzelte Fälle unter den Tisch gekehrt würden – einen großen Ausbruch könnte auch Vietnams Regierung kaum verheimlichen. Er fiele auf.

Was also ist dann das Geheimnis des Erfolgs? Vermutlich ist da zunächst die – auch historisch bedingte – Rivalität mit China zu nennen. Die Regierung in Hanoi hat schon früh Zahlen, die von der Regierung in Peking genannt wurden, misstraut – wohl auch aufbauend auf Erfahrungen mit der Sars-Krise Anfang der 2000er-Jahre, die Vietnam ebenfalls als erster Staat überwunden hatte. Das Misstrauen reichte laut einem Bericht der "LA Times", die sich auf die US-Firma Cyber Eye bezieht, bis zum Punkt, an dem sich vietnamesische Hacker in ein System der Gesundheitsbehörde von Wuhan einschalteten.

"Wie der Kampf gegen den Feind"

Was Hanoi dabei herausfand, bestätigte offenkundig die Ansicht der Regierung: Schon am 16. Jänner, vier Tage bevor China offiziell die Übertragbarkeit des Virus von Mensch zu Mensch bestätigte, ließ Hanoi Vorbereitungen für einen Ausbruch treffen, wenig später wurden Spitäler vorbereitet, Schulen stellten Mitte Jänner den Unterricht ein, er ist bis heute nicht wiederaufgenommen. Die Grenzen zu China wurden weitgehend geschlossen. Mitte Februar stellte Vietnam als erstes Land außerhalb Chinas zudem eine Gemeinde von 10.000 Menschen für drei Wochen unter Zwangsquarantäne, weil einige Arbeiter aus Wuhan dort Krankheitssymptome zeigten – eine Maßnahme, die in Europa zu diesem Zeitpunkt noch als undurchsetzbar firmiert hätte, weil sie nicht im Einklang mit den demokratischen Freiheitsrechten steht.

Vietnams Corona-Song mit optionalen englischen Untertiteln.
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Am 11. Februar begann zudem eine große Aufklärungskampagne an die Bevölkerung: Ein Song über das Händewaschen ging wegen seiner gefälligen Aufmachung über die Grenzen hinaus viral. Das ließ übrigens auch später nicht nach, Ende März wurden sogar Corona-Briefmarken gedruckt. Immer wieder werden damit auch der Nationalismus und die Erinnerung an die kriegerische Geschichte bedient: "Der Kampf gegen Corona ist wie der Kampf gegen den Feind", heißt ein wichtiger Slogan. Dass beides aus Sicht Hanois von außen kommt, hilft der Propagandakampagne.

Der Erfolg schien zunächst durchschlagend. Von Mitte Februar bis zum 6. März wurde nach 16 anfangs positiven Tests 22 Tage lang kein weiterer Fall mehr entdeckt. Doch dann kam die zweite Welle, und mit ihr auch der schwerer zu kopierende Teil der vietnamesischen Maßnahmen. Schuld war womöglich die Mode. Am 2. März landete am Flughafen von Hanoi eine 27-jährige Influencerin, die in London und Paris Fashionshows besucht hatte. Sie sollte "Patientin 17" werden. Wie sie mit einem ausgebrochenen Krankheitsnest in Hanoi in Verbindung steht, ist allerdings nicht ganz sicher. Ein zweites wurde vermutlich zeitgleich von einem britischen Piloten in Ho-Chi-Minh-Stadt entfacht.

Personal wird einfach abkommandiert

Der Staat reagierte diesmal noch schneller und profitiert auch vom ständigen Alarmzustand, in dem die Regierung ihre Bevölkerung hält. Dies sowohl mit freiwilligen als auch mit drakonischen Maßnahmen. Mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei, des Militärs, der Krankeneinrichtungen und von Freiwilligenorganisationen strömten allein im zweiten Fall aus, um alle Kontakte des Piloten zu identifizieren, auch unter Zuhilfenahme von Zwangsmaßnahmen.

Ähnlich wie Japan setzt man in Vietnam statt auf die teuren Tests auf die aggressive Eingrenzung von sogenannten Krankheitsclustern. Vietnams straff organisierter, undemokratischer Einparteienstaat ist hier im Vorteil: Er konnte schnell jenes Personal dafür abkommandieren, das in westlichen Ländern oft fehlt. Schon seit 10. März ist zudem eine Tracking-App im Einsatz, sie muss allerdings nicht verwendet werden. Durchaus verpflichtend war aber anderes: Seit 22. März ist Ausländerinnen und Ausländern die Einreise verboten, Einheimische müssen 14 Tage in eine strikt überwachte Quarantäne. Auch das erlaubt es jenen Teams, die Kontakte nachverfolgen, sich auf wenige Fälle zu konzentrieren.

Und schließlich ging Vietnam auf Nummer sicher: Als am ersten April die Zahl der Fälle bereits sank und in anderen Ländern über die Aussetzung von Maßnahmen diskutiert wurde, verfügte Vietnams Regierung den Lockdown, der erst jetzt wieder gelockert wird. Und Premier Nguyễn Xuân Phúc mahnte trotz der Erfolge zur Vorsicht: "Viele Teile der Welt sind noch infiziert, das Risiko ist nicht vorbei", sagte er bei der Lockerung der Maßnahmen. In Hanoi sieht man den Erfolg dennoch als Anlass für vorsichtige Versuche politischer PR: Zum einen sieht man sich als Vorbild für andere weniger wohlhabende Staaten. Mehrere hunderttausend Masken hat das Land in den vergangenen Wochen zudem an andere, aus Sicht Hanois Bedürftige, gespendet: an die USA und mehrere Länder in Europa. (Manuel Escher, 24.4.2020)