Peter Rosei hat praktisch alle Weltgegenden und Kontinente bereist. Die Aufhebung der Reisefreiheit könnte mentaliter Schaden stiften.

Foto: Regine Hendrich

Wer öfters eine Reise tut, hat nicht nur viel zu erzählen. Er sollte, um sich die Frische des Blicks zu erhalten, manchmal wieder vergessen können. Autor Peter Rosei (73) gehört zu den begabtesten, bestimmt aber zu den mitteilsamsten Reisenden, die jemals einen österreichischen Pass besaßen. Als Rosei 1981 in Istanbul am Ufer des Bosporus stand, fand er sich durch das Geschaukel der Wellen dazu hingerissen, sein Notizbuch, randvoll mit Reiseeindrücken, kurzerhand ins Wasser zu werfen. "Im Wasser faltete sich das Buch auf und zeigte sein weißes Fleisch."

Des Hintersinns solcher Sätze wegen gehören die Reiseaufzeichnungen von "Die große Straße" (2019) zu den großen, authentischen Dokumenten heimischen Fernwehs. Wird unsere Neugier durch die Einschränkungen, die die Pandemie den Staatsbürgern abverlangt, Schaden nehmen?

Rosei, Vollender des heimischen Bürokratieromans (mit "Bei schwebendem Verfahren", 1973), relativiert: "Unsere Bewegungsfreiheit war schon vor Corona durch die Ökologiedebatte in Frage gestellt." Der aktuell im Burgenland ausharrende Dichter räumt ein, dass ihm urlaubsartige Anwandlungen völlig fremd seien.

Im Zweifelsfalle Walser

"Viele meiner Reisen begannen als ,Dienstaufenthalte‘ an Universitäten", erzählt Rosei. Man müsse solche Aufenhalte als Gelegenheiten begreifen, um Nachforschungen anzustellen. "Neugier ist die größte Produktivkraft. Aber sie hat mich niemals dazu verleitet, Pyramiden oder Riesenschlangen anzugaffen! Unempathisches Herumfahren durch die Weltgeschichte bringt gar nichts. Da halte ich es im Zweifelsfalle eher mit Robert Walser: Man sieht ja auch so schon genug!"

Der Lockdown hat viele Menschen zum ersten Mal mit ihrer Befähigung zur Häuslichkeit konfrontiert. Rosei kann dem grundsätzlich nichts Negatives abgewinnen: "Ich halte bloß nichts vom Absturz in die Idylle. Wenn man nur noch Rosen gießt, während die Frau Mama mit dem Guglhupf aus der Küche strebt!" Hinter jedem Neo-Biedermeier stehe schließlich ein Metternich parat. Den Aufruf zum Urlaub in der Heimat könne er ein Stück weit nachvollziehen. Nur das "Team- Austria-Gefasel" sei ihm zuwider. "In unserer Gesellschaft gibt es genug Gruppen, die einander mit ihren Wünschen antagonistisch gegenüberstehen. Eine solche Gesellschaft lässt sich nicht auf Zuruf in eine Volksgemeinschaft umwandeln!"

Die Unterschiede zur Heimattümelei der Ersten Republik liegen für den gelernten Juristen Rosei auf der Hand: "Damals wurde eine Hartwährungspolitik verfolgt, die das Arbeitslosenelend verschärft hat. Heute betreibt man ,deficit spending‘." Die Äußerungen des Nationalbankgouverneurs zu Beginn der Corona-Krise liegen Rosei heute noch im Magen: "Der predigte Sozialdarwinismus reinsten Wassers. Wir befinden uns aber auch mit unserer kleinen Binnenwirtschaft in keinem Labor, in dem man einfach Bakterienstämme ausrottet."

Sekundäre Natur

Der Nationalstaat hat als Instanz des Krisenmanagements ein vermeintlich strahlendes Comeback gefeiert. Wird aber unsere ohnehin schwache Befähigung zur Weltläufigkeit die Phase der verordneten Immobilität unbeschadet überstehen? Rosei winkt ab: "Die Idee der Authentizität erfährt durch jede Universum-Folge eine Art von Zurückstufung. Ist eine echte Rose schöner als ihre Schwester im Fernsehen?"

Wir würden längst vor den Kulissen einer sekundären Natur leben. "Weltläufigkeit verlagert sich in die Digitalität. Mein Schlüsselerlebnis waren die einfachen Hütten in Thailand und auf Fischi. Der einzige Einrichtungsgegenstand dort ist ein Fernseher, auf dem ,Fidschi 1‘ läuft. Gezeigt werden Folgen von ,Kommissar Rex'!"

Peter Rosei befürchtet im Gefolge der Pandemie "unerträgliche Mengen von Leid" in den Schwellenländern. "Und die Mauern rund um die Urlaubsressorts werden noch höher gezogen werden. Damit der sommersprossige, verfettete Europäer wirklich nur noch den einheimischen Dienstleister zu Gesicht bekommt." (Ronald Pohl, 25.4.2020)