Während versierte Hobbyköche zur Großform auflaufen, fangen andere hübsch bescheiden an. Pikante Strudel sind einfach, preiswert und verschaffen trotzdem große Befriedigung.

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Das hat es noch in keiner Krise dieses Ausmaßes gegeben: Rund um uns bricht die Welt zusammen, aber kulinarisch leben wir weiter in einem Schlaraffenland. Wenn etwas nicht zu bekommen ist – Stichwort Germ –, dann ist die Knappheit fast immer künstlich herbeigeführt.

Denn die sprichwörtlichen gebratenen Hühner, die einem im Schlaraffenland ins Maul fliegen, tun dies derzeit im öffentlichen Raum nur sehr beschränkt: Wir essen zu Hause. Das zwangsverordnete Biedermeiern wird ergo notgedrungen von vielen genützt, um zu kochen und zu backen. Und wer will und kann – oder auch können will –, macht aus der Not eine Tugend und kocht und bäckt ehrgeizig.

Bevor hier aber der Jubel ausbricht, zwei Einschränkungen: Inmitten des Schlaraffenlands leben nicht wenige Menschen, ja ganze Familien in Angst, dass das Geld – das Arbeitslosengeld, das Kurzarbeitsgehalt, die staatliche Soforthilfe, das Ersparte – nicht reicht. Sie müssen auch bei Lebensmitteln auf die Kosten schauen.

Einschränkung Nummer zwei: Vielleicht wird es nicht alles, was gerade auf österreichischen Feldern heranwächst, auf unsere Teller schaffen. Werden wir in zukünftigen Jahren hin und wieder daran denken, wer unseren Spargel sticht?

Weg, trübe Gedanken, was kochen wir heute? Die selbstgestellte Aufgabe war: für möglichst viele kulinarisch attraktiv, relativ einfach und relativ preiswert – bei den beiden letzteren Kategorien mit Ausbaumöglichkeiten.

Zum Beispiel: Für einen Sauerkrautstrudel kann man den Teig kaufen – aber auch selbst machen. Und man kann eine Braunschweiger oder aber auch eine Trüffelwurst ins Sauerkraut hineinschneiden. Das war jetzt kein Seitenhieb gegen die Braunschweiger! Gerade in diesen Zeiten suchen wir gerne Geborgenheit in Kindheitsgeschmäckern. Also, nur zu!

Das Thema ist der Strudel. Der "saure", wie es umgangssprachlich bei uns heißt, also der pikante. Die süßen Varianten haben Ösi-Köche und -Köchinnen und – um unseren Herrn Bundeskanzler nicht zu zitieren – die in diesem Land lebenden Menschen sowieso im Blut.

Knusprig verpackter Inhalt

Der Strudel ist ein dankbarer Geselle: Seine Bandbreite reicht von fein bis gschert, von fleischig bis vegetarisch. Die hoffentlich knusprige Teighülle vermag sogar Gemüsemuffeln den gesunden Inhalt zu versüßen. Er ist ein Gericht aus einem Guss – ein Salat als Beilage genügt. Wenn Ihnen das zu anspruchslos ist, dann können Sie sich im Bereich Beilagenstrudel austoben.

Ein großes Betätigungsfeld für Ambitionierte ist natürlich der Teig. Realistischerweise nehmen wir jedoch einmal an, dass die meisten ins Kühl- oder ins Tiefkühlregal greifen werden. Dort gibt es sowohl Strudel- als auch Blätterteig. Ob sie Ersteren dann mit Butter oder mit Olivenöl bestreichen, bevor Sie die Fülle daraufpacken, hängt vom Gericht und vom individuellen Geschmack ab.

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Ein großes Betätigungsfeld für Ambitionierte ist natürlich der Teig.
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Wenn man die Strudelei historisch betrachtet, wird man vor allem auf gekochte Strudel aus dem klassischen Strudelteig stoßen. Nicht umsonst gibt es in der österreichischen Küche eine alte Strudel-als-Suppeneinlage-Tradition.

Im Sacher Kochbuch etwa kommt der Lungenstrudel, den man in fast allen alten Kochbüchern findet, in beiden Varianten vor: In der einen wird der fertiggefüllte, eher dünn gehaltene Strudel in Fünf-Zentimenter-Abschnitten mit einem bemehlten Kochlöffelstiel eingedrückt, um danach dort durchgeschnitten zu werden. Die Schnittflächen werden zusammengedrückt, und die so produzierten kleinen Päckchen lässt man in siedendem Wasser garziehen.

Bei der zweiten Variante handelt es sich schon um einen gebackenen Strudel. In alten Rezepten wird der Strudel aber zumeist nicht der Länge nach aufs Blech gelegt, sondern gerollt – ja, genau, Börek in Schneckenform lässt grüßen.

Im von Peter Kubelka herausgegebenen Zenker-Kochbuch wird der gerollte Strudel, falls er als "selbstständiges Gericht" zubereitet wird, in eine mit Butter ausgestrichene Rein gesetzt, mit "fetter Brühe" übergossen und zugedeckt gedämpft. Typisch für diese Art ist auch, dass das Lungenhaschee dünn über den ganzen Teig aufgetragen und "über sich selbst gerollt wird". Eine Schnecke in der Schnecke. Der F.-G.-Zenker-Klassiker, diese Information bin ich Ihnen noch schuldig, heißt Nicht mehr als sechs Schüsseln! und ist eine originalgetreue Transkription des 1820 erstmals erschienenen Kochbuchs für die mittleren Stände.

Lungenstrudel, Milzroulade – die Absicht, auch die Innereien eines Tiers zu verwerten, liegt auf der Hand. Sonst besteht die historische Strudelfülle oft aus Grieß, Topfen oder Rahm, Erdäpfeln, Grammeln und Fleischresten. Die doch beträchtlich jüngere Katharina Prato (geb. 1818) hat in ihrer Süddeutschen Küche auch schon ein Fleischstrudelrezept im Repertoire, das sich nicht wesentlich von unserem unterscheidet. Sie nimmt die Überbleibsel eines Kalbsbratens, und dagegen ist gar nichts zu einzuwenden.

Der Strudel ist ein dankbarer Geselle: Seine Bandbreite reicht von fein bis gschert, von fleischig bis vegetarisch.
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Nummer eins: Lammstrudel

Aber noch viel interessanter wird das Ganze eindeutig mit Lamm. Lammstrudel, unser heutiger Strudel Nummer eins. Begonnen hat es vor Jahren mit der klassischen Verwertung dessen, was von einer gebratenen Lammkeule übrig bleibt. Später wurde dann schon einmal extra eine mit Knoblauch gespickte Lammschulter zum Zweck der Strudelverwurstung gebraten. Das Fleisch wird ausgelöst, nicht sehr ordentlich geputzt und durch den Fleischwolf gedreht.

Danach kommen Sauerrahm, je nach Menge ein Ei oder mehr, Zitronenschale, Salz, Pfeffer und Petersilie – oder andere Kräuter nach Belieben – dazu. Mit den Mengenangaben ist es so eine Sache, die gehen Pi mal Daumen. Sie wissen ja vorher auch nicht genau, wie viel Fleisch sie zur Verfügung haben werden. Die Farce soll jedenfalls nicht davonrinnen, aber auch nicht zu trocken sein.

Wer es weniger fleischig will, wird ein paar Löfferl Bröseln oder eine vorher in Milch eingeweichte, durch den Wolf gedrehte Semmel dazutun. Wenn Sie kein Lamm, sondern Kalb und beim Abschmecken das Gefühl haben, dass Ihnen der Mond auf die Zunge scheint – fad! –, mischen Sie Sardellen oder Sardellenpasta dazu. Aber aufpassen, fischeln soll es nicht. Geröstete Champignons passen auch gut in die Kalbsfarce. Diesen Strudel machen wir übrigens ausschließlich mit Blätterteig.

Spinatstrudel

Strudel Nummer zwei, der Spinatstrudel, der gschmackige Bruder des oft recht verschlafenen Pseudobalkanspeisehallengerichts. Nehmen Sie Blattspinat, aber wenn’s leicht geht, nicht den anämischen vorgewaschenen "Babyspinat" (wie kommt das Baby in den Spinat?). Al dente, sehr gut abgetropft und kleingehackt, angeschwitzte Zwieberln und Knoblauch (eventuell Peperoncino) sowie großzügig schwarze gehackte Oliven und Feta dazu. Salz, Pfeffer, Parmesan und ein Ei, um das Ganze ein bisschen zusammenzuhalten.

Bereits anno Schnee haben meine damalige Koautorin Christa Fuchs und ich geschrieben: "Aber uns sind Strudel, deren Inhalt etwas zerfällt, weit lieber als jene, deren Farce durch irgendeinen suspekten Kleister zusammengehalten wird." Der Satz gilt noch immer.

Forelle

Wir eilen weiter zum Forellenstrudel, aus geräucherter Forelle in diesem Fall. Da Sie pro Person schon eine Forellenhälfte rechnen müssen, ist das kein typisches Billiggericht. Ist aber übrigens auch eine sehr nette Vorspeise, von einem kleinen Blattsalat begleitet, mit Balsamico und, wenn Sie’s kriegen können, einem mit einer Zitrusfrucht – besonders aufregend: Bergamotte! – aromatisierten Olivenöl.

Und die Fülle ist besonders einfach: Forellen sauber von allen Gräten befreien, klein hacken, mit Sauerrahm, Crème fraîche oder Obers vermischen, geriebene Zitronenschale, Salz, weißer Pfeffer dazu – abschmecken, fertig.

Blunzen und Erdäpfel

Damit wäre sozusagen das elegante Strudelkapitel geschlossen, jetzt kommen wir zur deftigeren Abteilung. In ihr, will mir scheinen, kam man sich besonders frei bewegen, je nach Vorlieben. Also, die Grundprodukte unseres Blunzenstrudels sind erstens, erraten, Blutwurst und zweitens Kartoffeln. Wie blunzig und wie erdäpfelig die Fülle sein soll, bestimmen Sie aber selbst.

Also, die von ihrer Haut befreite Blutwurst anrösten – auf diese Art werden Sie auch etwas von deren Fett los. Eventuell mit Piment und Majoran nachwürzen. Zwiebel und Knoblauch anschwitzen. Dazu kommen die gestückelten, gekochten mehligen Erdäpfel, so viel Sie eben wollen.

Sauerkraut und Knoblauchwurst

Und Nummer fünf ist der schon eingangs erwähnte Krautstrudel, Sauerkrautstrudel. Bereiten Sie Ihr Kraut wie üblich zu, mit Zwiebeln, Lorbeerblatt, Weißwein, schauen Sie aber, dass es erstens nicht zu weich und zweitens nicht zu sauer ist. Abtropfen lassen wird nicht reichen: Gut ausdrücken!

Das Sauerkraut hacken, da hinein kommt die geschnittene Wurst, die schon nach etwas schmecken darf: Ideal ist etwa Knoblauchwurst. Und das war’s dann auch schon. Aber dass Sie niemand daran hindern wird, Nummer vier und fünf zu variieren, also Kraut, Blunzen und zur Bindung ein paar Erdäpfel in eine Strudelhülle zu füllen, das liegt wohl auch auf der Hand.

Wie gesagt, kinderleicht – so leicht, dass man es mit Kindern kochen kann, auch ein wichtiger Punkt in diesen Zeiten. Genau in diesem Zusammenhang ist der prinzipiell für den Strudel richtige Satz "Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt" aber wohl eher gefährlich. Also, mit Pizza oder Spaghetti oder Schnitzerl zu füllen würde ich jetzt nicht unbedingt empfehlen. Aber sonst geht fast alles. (Gudrun Harrer, 25.4.2020)