Kein Wifi-Kurs, kein Klassenzimmer des BFI: die Kommandozentrale des Krisenstabs.

Foto: Florian Pressl

Dienstag, es ist knapp nach 21 Uhr, als das Handy läutet. Eine freundliche, ein wenig ermattete Stimme ist dran: "Hallo, entschuldigen Sie bitte den späten Rückruf, aber Sie wissen ja …" Florian Pressl arbeitet seit mehr als neun Wochen sechs Tage die Woche, von morgens um acht Uhr bis weit nach Mitternacht.

Dabei wollte er es nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer beim Haus der Barmherzigkeit, der größten privaten Pflegeeinrichtung Österreichs, eigentlich ruhig angehen. Erst eine Fastenkur im Kloster Pernegg, dann wieder mehr Zeit mit der Familie.

Doch zwei Tage nach Kurende, am 25. Februar, werden in Innsbruck die ersten Covid-19-Fälle registriert. Aus dem Gesundheitsministerium kommt ein Anruf. Der Krisenstab muss erweitert werden. "Bitte unterstütz uns in der Einsatzleitung!" Seitdem ist für Pressl nix mehr mit Quality-Time.

Formiert wurde der Stab, als Frankreich am 15. Februar den ersten Covid-19-Toten in Europa meldete. Mittlerweile zählt das Expertenteam im Gesundheitsministerium rund 100 Leute – Juristen, Epidemiologen, Mediziner, Mathematiker, Kommunikationsprofis. Der Großteil arbeitet im Homeoffice, einige sind in Büros verteilt, nur ein Kern von sieben Leuten sitzt dauerhaft in einem 200 m2 großen, schlauchartigen Raum im zweiten Stock des Gesundheitsministeriums in der Wiener Radetzkystraße.

"Später", sagt Einsatzleiter Florian Pressl, "werden wir reflektieren, was besser hätte laufen können. Jetzt fehlt die Zeit."
Foto: privat

Normalerweise finden hier Sitzungen statt, jetzt wurden Tische zwecks Physical Distance auseinandergerückt, Computer und Telefone aufgestellt. An einer Pinnwand hängen die letzten Neuigkeiten, dazu eine Checkliste: Welche Verordnung ist bereits fertig, woran wird noch gearbeitet? Auf einer anderen Tafel picken Post-its – wer kümmert sich um was, wer muss informiert werden.

Mit einer spektakulären Hightech-Kommandozentrale hat das eher wenig zu tun, räumt Einsatzleiter Pressl ein: "Aber das ist ja auch nicht Hollywood. Es geht nicht darum, rote Knöpfe zu drücken, sondern in erster Linie um Wissensmanagement. Nur wenn möglichst alle auf dem gleichen Stand sind, egal in welchem Bundesland und bei welcher Behörde, kann man koordiniert vorgehen."

Anfangs schlägt das Coronavirus Sars-CoV-2 überraschend zu. Als Ende Februar die erste Covid-19-Infektion im Wiener Spital Rudolfstiftung gemeldet wird, hat Clemens-Martin Auer, Sonderbeauftragter des Gesundheitsministeriums, nur einen Gedanken: "Scheiße!" – Eine Infektionskette in einem Krankenhaus gilt im Krisenstab als Worst Case. Kann das nicht verhindert werden, droht eine Überlastung der Intensivstationen. Allzu präsent sind die Bilder aus Italien.

Die Mitarbeiter greifen zu den Telefonen, Auer kontaktiert Michael Binder, den Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbundes. "Jedes Spital hat einen Krisenplan – aber der muss auch aktiviert werden." Dass Österreich so klein ist, erweist sich als größter Vorteil, sagt Auer: "Jeder kennt jeden. Dadurch lässt sich vieles auf dem kurzen Dienstweg über Ressort- und Ministeriumsgrenzen hinweg unkompliziert lösen, so gewinnen wir Zeit."

"In Österreich kennt jeder jeden. Das
ist jetzt ein Vorteil, weil es Wege abkürzt," sagt Sonder beauftragter Clemens Auer.
Foto: privat

Zweimal pro Tag treffen sich die Leiter der sieben Stabsstellen, darunter Maßnahmenplanung, Kommunikation, IT und Ressourcenmanagement. Wer aus den Teams dabei sein muss, wird per Videokonferenz zugeschaltet. Jeder Bereich rapportiert auf einer zweiseitigen Powerpoint-Folie ein Lagebild: Wie sehen die Fallzahlen aus? Gibt es irgendwo einen Infektionsherd? Welche Testkapazitäten sind vorhanden, wo wird bereits intensiv getestet? Gibt es Engpässe bei der Schutzausrüstung? Wie sieht es mit den Schnittstellen zu Laboren aus? Welche Infos wurden auf der Corona-Website als FAQs aktualisiert, was fehlt noch?

Verdammt unangenehmer Gegner

Pressl vergleicht den Krisenstab mit einer Meldesammelstelle: Alle einkommenden Infos zu Krankenzahlen, Spitals- und Testkapazitäten, neuen Covid-19-Studien, Rechtsfragen oder auch zu Schutzmaskenbedarf werden gesichtet, gefiltert, überprüft und mit Experten im Gesundheitssystem, Juristen, Epidemiologen, aber auch den Sozialversicherungsverbänden, Landesstellen, anderen Ministerien und dem externen Beraterstab der Corona-Taskforce gegengecheckt. Und schließlich so aufbereitet, dass Entscheidungen getroffen, Erlässe geschrieben und Verordnungen als klare Botschaften verkündet werden können. Im besten Fall.

Das längst nicht ausreichend erforschte Coronavirus ist ein verdammt unangenehmer Gegner, der Krisenstab muss permanent reagieren. Pressl schildert den Job so: "Als würde man bei 130 km/h auf einen Zug aufspringen – und kaum hat man Halt gefunden, ändert er die Fahrtrichtung."

Die Krise bestimmt das Tempo

Nicht alles klappt reibungslos. Etwa als knapp vor Ostern der sogenannte "Ostererlass" verkündet wird: "Treffen in geschlossenen Räumen, an denen mehr als fünf Personen teilnehmen, die nicht im selben Haushalt leben, sind untersagt." Ein Beisammensein von fünf Personen sei plötzlich gestattet? Die Verwirrung ist groß.

Margit Draxl, Kommunikationsleiterin im Krisenstab: "Es geht im Moment nicht nur um Infos, sondern auch um Empathie."
Foto: privat

"In der Krise passieren auch Fehler", sagt Margit Draxl, Pressesprecherin von Rudi Anschober und derzeit zusätzlich Leiterin der Krisenstabsstelle 5, Kommunikation. "Aber aufgrund der Geschwindigkeit leider unvermeidbar." Wenn Spitzenjuristen im Eiltempo und teils über Nacht Erlässe schreiben müssen (eine hat mittlerweile eine Schlafcouch in ihrem Büro im Ministerium aufgestellt), dann kann selbst bei genauer Prüfung etwas durchrutschen, missverständlich formuliert sein. Sonderbeauftragter Auer muss den Ostererlass im ZiB 2-Interview betreten revidieren und dessen Reparatur ankündigen.

"Die Turbo-Gesetzgebung ist etwas, was man in so einer Situation leider in Kauf nehmen muss", seufzt Meinhild Hausreither, renommierte Rechtsexpertin im Gesundheitsministerium, die den Krisenstab als Einsatzleiterin federführend eingerichtet hat. Bis heute wurden fünf Covid-19-Gesetzespakete beschlossen, Nummer sechs ist in Vorbereitung. 43 Verordnungen wurden vom Gesundheitsminister erlassen beziehungsweise novelliert.

"Wir bearbeiten unter Hochdruck ein 70 Jahre altes Gesetz, manche Bestimmungen des Epidemiegesetzes von 1950 gehen noch auf die Stammfassung von 1913 zurück. Im Moment ist zu wenig Zeit, alles in der gewohnten Gründlichkeit abzuarbeiten oder durch lange Begutachtungsverfahren zu schicken." Es sei durchaus wünschenswert, wenn Verfassungs- und Verwaltungsjuristen aus der Wissenschaft die Prozesse begleiten und notfalls korrigieren.

Neben den Verfassungsjuristen gibt es ein weiteres Korrektiv: die Bevölkerung. Ingrid Kiefer ist für die Corona-Hotline der Ages (Österr. Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) verantwortlich. 24 Stunden täglich können Bürger anrufen. Zu Beginn der Krise ließ sich das mit den 120 Callcenter-Agenten der Ages noch stemmen, plötzlich aber waren es 100.000 Anrufe an einem Wochenende.

100.000 Anrufe bei der Corona-Hotline an nur einem Wochenende: "Das war hart am Limit", sagt Leiterin Ingrid Kiefer.
Foto: privat

"Während der Ebola-Epidemie haben den ganzen Sommer über gerade mal 500 Leute angerufen," sagt Kiefer. "Was jetzt los ist, ist ein Wahnsinn." Mittlerweile wird die Hotline zusätzlich von 30 Mitarbeitern des Innenministeriums und 45 Gardemusikern des Bundesheers unterstützt, alle auf die Schnelle eingeschult.

Die Antworten auf die Fragen werden im Krisenstab ständig aktualisiert, auch weil sich der Fokus der Fragen ändert. Ging es anfänglich um Reisen ("Toskana – hinfahren, ja oder nein?"), später um Sicherheit ("Wenn ich was in China bestellt habe, ist das Paket dann gefährlich?"), zwischenzeitlich schiere Wut ("Diese Ausgangssperren sind eine Sauerei!"), herrschte dann wieder Verunsicherung: Wenn in der Verordnung steht, dass der Mund-Nasen-Schutz "eng anliegend" sein muss – ist dann ein Plexiglasvisier kein ausreichender Schutz? "Wenn wir keine Antwort haben, dann nehme ich das Thema mit in den Krisenstab, wo die Verordnung präzisiert wird", sagt Kiefer.

Wird es langsam ruhiger im Krisenstab? Die Befragten schütteln den Kopf. Die Probleme ändern sich, weniger werden sie nicht. Risikogruppen müssen definiert, mehr Tests bestellt, die Auswirkungen der zunehmenden Öffnung genau beobachtet, neue medizinische Erkenntnisse an alle relevanten Stellen verteilt werden. "Kein Tag ohne uferlose Arbeit," sagt Meinhild Hausreither. "Die Krise bestimmt das Tempo."

Fragt man die Mitarbeiter des Krisenstabs, was für sie der signifikanteste Moment in den letzten zwei Monaten war, dann sagen alle: der 4. April. Da standen auf den Monitoren wie an jedem Tag zwei Zahlen – die der Menschen, die in den vergangenen 24 Stunden in Österreich an Covid-19 erkrankt, und die derer, die genesen waren. Und zum allerersten Mal war die Zahl der Genesenen größer. Endlich war es Gewissheit: "Unsere Arbeit hat Sinn, die Maßnahmen sind erfolgreich." Kurzes Aufatmen. Und weiter. (Nana Siebert, 25.4.2020)