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Der Prozess in Koblenz findet gemäß den Corona-bedingten baulichen Maßnahmen und Zuseherbeschränkungen statt.

Foto: Thomas Lohnes/Pool via REUTERS

Vor dem Oberlandesgericht Koblenz hat – unter Einhaltung der Corona-bedingten Restriktionen – am Donnerstag der Prozess gegen zwei frühere Angehörige des syrischen Geheimdienstes begonnen: Anwar R. wird vorgeworfen, für die Ermordung von 58 Menschen und für die Folterung, inklusive sexueller Gewalt, von mindestens 4000 Menschen verantwortlich zu sein. Der Beihilfe zur Folter in dreißig Fällen angeklagt ist Eyad A.. Beide sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Dass der Prozess stattfindet, ist dem in Deutschland (und auch in Österreich) geltenden Weltrechtsprinzip geschuldet, nach dem Völkerrechtsstraftaten verfolgt werden können, auch wenn sie nicht auf dem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden haben und keinen eigenen Staatsbürger involvieren.

Lebenslange Haft droht

Es geht im Verfahren um die individuelle Schuld der Angeklagten: bei R. um Täterschaft, weil er als Leiter der Ermittlungen der "Abteilung 251", des Untersuchungsgefängnisses in Damaskus, die "Tatherrschaft" über die dort verübten Verbrechen innehatte. Auf die ihm vorgeworfenen Verbrechen steht lebenslange Haft. Bei A. ist es Beihilfe, ihm drohen bis zu fünfzehn Jahre.

Dennoch ist es nicht nur ein Prozess gegen zwei Assad-Funktionäre. Zum ersten Mal weltweit wird ein unabhängiges Gericht Beweise und Zeugenaussagen bewerten, die schwerste Verbrechen des Assad-Regimes nach dem Ausbruch des Aufstands im Jahr 2011 offenlegen: Von der journalistischen, anekdotischen Domäne oder jener von "privaten" Juristen ist damit die Frage nach den syrischen Regimeverbrechen erstmals auch in der Hand der Rechtsprechung gelangt. Zu den Quellen gehören ebenso die 2013 aus Syrien herausgeschmuggelten Bilder des Militärfotografen "Caesar", auf denen die Leichen von tausenden Folteropfern zu sehen sind.

Den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag zu befassen ist deshalb unmöglich, weil Russland und China dagegen ihr Veto einlegen würden. Daran scheitert auch die Einrichtung eines Sondertribunals.

Jahrelange Vorbereitungen

Die Angeklagten wurden im Februar 2019 verhaftet, sie werden von mehreren Zeugen und Zeuginnen – sieben davon treten beim Prozess als Nebenkläger auf – als Täter identifiziert. Dem Prozess gingen jahrelange Vorbereitungen des Europäischen Zentrums für Verfassung und Menschenrechte (ECCHR) und syrischer Organisationen voraus.

Der Hauptangeklagte Anwar R. hat eine heute seltsam anmutende Geschichte: Er war im Herbst 2012 vom Regime abgesprungen und offiziell zur Opposition übergelaufen. Dort wurden Personen wie er als ranghöhere Überläufer eher hofiert als verdächtigt – R. nahm 2014 als Oppositioneller sogar an den UN-geführten Friedensgesprächen in Genf teil. Auch dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) stand er zur Verfügung. Manchen Syrern galt er als Spitzel, anderen als Opportunist. Weil er sich selbst vom Regime in Deutschland bedroht fühlte, wandte er sich an die Justiz – offenbar fühlte er sich nach seinem Seitenwechsel völlig sicher.

Terror als Regimetaktik

Der Spiegel-Journalist Christoph Reuter hatte Anwar R. 2013 getroffen, bevor dieser 2014 nach Deutschland kam. Er berichtet, dass laut R. das Regime 2011 "massenhaft Zivilisten" verhaften und umbringen ließ, auch wenn sie nichts mit der Opposition oder Demonstrationen zu tun hatten. Mit Terror die Bevölkerung einzuschüchtern war bereits in einer frühen Phase Teil der Regimetaktik zur Bekämpfung des an Fahrt aufnehmenden Aufstands. Später kam der Bombenterror dazu, auch mit – militärisch völlig sinnlosen – chemischen Waffen.

R.s Flucht nach Deutschland fiel jedoch in eine Zeit, in der der "Islamische Staat" im Nahen Osten und der IS-Terrorismus auch in Europa auf dem Vormarsch war. In diesen Jahren verschoben sich wohl die westlichen geheimdienstlichen Prioritäten. Dass zumindest in dieser Zeit auch westliche Geheimdienste Kontakte zum syrischen hatten, ist ein offenes Geheimnis.

Geheimdienstchef Mamluk

Demnach hat der syrische Geheimdienstchef Ali Mamluk selbst Gespräche in Rom geführt. Im August 2018 reiste eine US-Geheimdienstdelegation nach Damaskus, um Mamluk zu treffen. Damals zierten sich eher die Syrer und stellten für eine Kooperation Forderungen. Gegen Mamluk gibt es einen von Frankreich erwirkten internationalen Haftbefehl, ebenfalls unter dem Titel des Weltrechtsprinzips. (ANALYSE: Gudrun Harrer, 25.4.2020)