Nun werden die Schulen also doch noch vor dem Sommer wieder aufgesperrt: Nach den jüngsten Plänen will die österreichische Regierung die Schüler ab dem 4. Mai stufenweise und mit zahlreichen Vorsichtsmaßnahmen wieder in die Klassenzimmer zurückkehren lassen.

Doch wie riskant ist es, die Kinder vom Heimunterricht in der elterlichen Wohnung wieder in die Schulen zu entlassen? Werden die Kleinen nun zu den Hauptüberträgern oder gar zu sogenannten Superspreadern des Coronavirus, die auf diese Weise ihre Eltern gefährden? Ein Bericht in der Zeitung "Die Presse" legte kürzlich diese Schlussfolgerungen nahe.

Internationale wissenschaftliche Studien, aber auch heimische Experten liefern dafür freilich wenig Evidenz: "Nach allem, was wir bisher wissen, dürften Kinder beim Infektionsgeschehen von Covid-19 – im Gegensatz etwa zur Grippe – nur eine verhältnismäßig geringe Rolle spielen", sagt Volker Strenger, Virologe an der klinischen Abteilung für pädiatrische Pulmonologie und Allergologie der Medizinischen Universität Graz.

Der Spezialist für Viruserkrankungen bei Kindern hat auch einen am Donnerstag ausgeschickten offenen Brief der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde mitunterzeichnet, der entschieden und explizit jene Presseberichte zurückweist, wonach Kinder und Jugendliche hauptverantwortlich für die Verbreitung von Sars-CoV-2 sein könnten.

Kaum infizierte Kinder

Eine der Studien, auf die sich Strenger beruft, stammt aus Island, wo man Kindergärten und Schulen mit Einschränkungen geöffnet ließ und zugleich einen besonders großen und repräsentativen Teil der Bevölkerung auf Covid-19-Infektionen untersuchte (bis jetzt mehr als 13 Prozent der Gesamtbevölkerung). Das Ergebnis, publiziert im "New England Journal of Medicine": Bei den Kindern unter zehn Jahren war kein einziges infiziert, die Infektionsrate der zehn- bis 19-jährigen war etwa dreimal niedriger als die der 40- bis 49-Jährigen, wie die Forscher um Kári Stefánsson berichten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Untersuchung aus China, für die 745 Kinder (bis 14 Jahre) und 3174 Erwachsene getestet wurden, die alle nachweislich Kontakt mit infizierten Personen innerhalb oder außerhalb der Familie hatten. Nur zehn Kinder (1,3 Prozent), aber 111 Erwachsene (3,5 Prozent) hatten sich angesteckt. Das ist die 2,7-fache Rate bei den Erwachsenen und ein statistisch signifikanter Unterschied, wie chinesische Forscher im Fachblatt "Nature" schreiben.

Dem entsprechen auch die Daten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC über die Verteilung bei den bekannten Infektionsfällen: Nur ein Prozent der Infizierten ist unter zehn Jahre alt, vier Prozent entfallen auf die zehn- bis 19-Jährigen.

Gesichert ist auch, dass Kinder ein wesentlich geringeres Risiko als Erwachsene haben, bei einer Infektion schwere Symptome zu entwickeln und ernsthaft zu erkranken. Aber könnte sie nicht gerade das zu unerkannten Überträgern, gar zu sogenannten Superspreadern werden lassen? Hier ist die Datenlage zugegebenermaßen etwas dünner.

Anti- statt Superspreader

Strenger verweist in dem Zusammenhang aber etwa auf eine Untersuchung mit einem neunjährigen französischen Kind, die in der Fachzeitschrift "Clinical Infectious Diseases" veröffentlicht wurde. Dieses Kind war nachweislich mit dem Coronavirus infiziert und nahm während dieser Zeit an drei Skikursen teil. Insgesamt kam es während der Infektion mit 172 Personen in Kontakt, inklusive seiner Geschwister. Doch der vermeintliche Superspreader erwies sich als regelrechter Antispreader: Sämtliche Tests der 172 Kontaktpersonen fielen negativ aus.

Das kann ein glücklicher Einzelfall sein. Dem widerspricht freilich auch die grundsätzliche Einschätzung der WHO schon aus dem März, wonach Kinder bei der Corona-Pandemie anders als bei der Grippe wohl keine wichtigen Viren(über)träger seien.

Geschlossene Schulen bringen wenig

Inwieweit geschlossene Schulen zur Verringerung der Covid-19-Todesfälle beitragen, wurde kürzlich in einer Metastudie (also eine Auswertung aller bekannten Studien zum Thema) im Fachblatt "The Lancet" eruiert. Laut diesen Berechnungen senkt diese Maßnahme die Zahl der Todesfälle nur um zwei bis vier Prozent – und gehört damit zu den nur gering wirkenden Einschränkungen.

Virologe Strenger begrüßt jedenfalls das baldige Aufsperren der Schulen sowie die beschlossenen Begleitmaßnahmen, die in ähnlicher Form von der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde vorgeschlagen worden waren. Wichtig sei es selbstverständlich, dass Kinder, die Symptome zeigen, nicht in die Schule geschickt werden, um das etwaige Infektionsrisiko zu minimieren. Das gelte auch für alle anderen Begleitmaßnahmen.

Abschließend verweist Strenger noch auf ein ganz pragmatisches Argument für die Öffnungen im Mai: "Irgendwann müssen die Schulen ja wieder aufsperren. Spätestens im September würden wir wieder vor den gleichen Fragen stehen, ohne dass sich etwas Wesentliches geändert hat." (Klaus Taschwer, 24.4.2020)