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Pressekonferenz nach EU-Gipfel: Ursula von der Leyen und Charles Michel sprechen im Pressesaal mit Journalisten per Videokonferenz.

Foto: Olivier Hoslet/Pool via REUTERS

In der Stunde der größten Wirtschaftskrise in Europa setzt Ursula von der Leyen auf die Magie der großen Zahlen. "Wir reden hier nicht von Milliarden, wir reden von Billionen", antwortete die Kommissionschefin Donnerstagabend nach dem EU-Gipfel in Brüssel einer Journalistin.

Die wollte wissen, wie viel mehr Geld genau die Staats- und Regierungschefs zur Erhöhung des EU-Budgetrahmens geben wollen, um einem drohenden Wirtschaftseinbruch von bis zu zehn oder gar 15 Prozent der gesamten Wertschöpfung zu begegnen, wie EZB-Chefin Christine Lagarde warnte.

Schon beim regulären EU-Budget waren sie in Vor-Corona-Zeit zerstritten, wegen einer relativ geringen Differenz von etwa 50 Milliarden Euro bei den nationalen Einzahlungen, verteilt auf sieben Jahre von 2021 bis 2027. Nun soll es einen gemeinsamen "Wiederaufbaufonds" geben, der aus Mitteln des EU-Budgets das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten in Europa anstoßen soll.

Denn bei Eurobonds, gemeinsamen Anleihen mit Garantie für Schuldenübernahme, fand man keine Annäherung. Die "Corona-Bonds", von Italiens Premier Giuseppe Conte – wie auch von Spanien und Frankreich – gefordert, sind vom Tisch. Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland sagten dazu strikt Nein.

Alle garantieren

Der Charme des Umwegs: Alle müssten für das Budget garantieren. Aber Verbindlichkeiten der Kommission sind in nationalen Budgets nicht als Schulden verbucht. Budgetkommissar Johannes Hahn soll so rasch wie möglich mit von der Leyen ein konkretes Konzept auf den Tisch legen.

Am 6. Mai wird es den nächsten EU-Gipfel geben. Die alles entscheidende Frage dabei ist, wie groß dieser Aufbaufonds dimensioniert sein soll. Für "zwei oder drei Jahre" könnte die bestehende Obergrenze des EU-Budgetrahmens von 1,2 auf zwei Prozent der Bruttonationaleinkommen (BNE) aller EU-Staaten angehoben werden, sagte die Präsidentin. Das klingt nach Verdoppelung, mehr als 300 Milliarden Euro pro Jahr.

Da die Kommission über Superbonität verfügt, könnte der Fonds dann über die Finanzmärkte jene Kreditmilliarden aufstellen, die in Projekte in notleidenden Euroländern gesteckt werden. Ähnlich hatte man das 2010 mit dem Eurorettungsfonds (ESM) gemacht. Der französische Präsident Emmanuel Macron nannte "fünf bis zehn Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung" als Dimension, sprich: bis zu 1,5 Billionen Euro.

Frage nach Projekten

Starttermin wäre Anfang 2021. Ob Geld aus dem Fonds als "loans" oder "grants", also als rückzahlbare Kredite oder als Zuschüsse ausgeschüttet wird, ist völlig offen. Das wird nicht zuletzt davon abhängen, für welche Projekte es verwendet werden soll, etwa für den Tourismus, der besonders schwer getroffen ist, oder für Umwelt- und Digitalprojekte, und vor allem im Bereich der Gesundheit.

Der Streit wurde vertagt. Conte und Macron wollen reine Zuschüsse, Kanzler Sebastian Kurz und Kanzlerin Angela Merkel reden von Krediten. Beschlossen wurde ein Soforthilfeprogramm im Volumen von 540 Milliarden, Kredite für Kurzarbeitsprogramme, Klein- und Mittelbetriebe. 240 Milliarden kommen aus dem ESM. Laut von der Leyen wurden im Paket mit nationalen Stützzahlungen 3,3 Billionen an Corona-Hilfen mobilisiert. So beeindruckend die Zahlen, so nüchtern fiel am Freitag die Reaktion der Märkte aus. Deutsche Wirtschaftsforscher kritisieren, dass der Wiederaufbaufonds viel zu lange dauern, Hilfe zu spät kommen werde.

Chance für Tourismus

Raschere Ergebnisse zeichnen sich hingegen bei der Wiederherstellung der Reisefreiheit zwischen einzelnen EU-Staaten ab, insbesondere im Tourismus, der wegen Grenzsperren seit der Corona-Krise zum Erliegen kam. Der kroatische Premierminister und EU-Ratsvorsitzende Andrej Plenkovic berichtete von positiven Gesprächen mit seinen Amtskollegen aus Slowenien, Ungarn, Tschechien, Deutschland und Österreich, also auch mit Kanzler Kurz. Man wolle noch vor dem Sommer versuchen, den Zugang zu kroatischen Urlaubsgebieten zu ermöglichen. Die tschechische Regierung hat Auslandsreisen bereits erlaubt.

Die Regierung in Wien bemüht sich indes um Erleichterungen mit Tschechien und Deutschland. Mit allen Staaten, die ihre Infektionen auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie Österreich halten, werde Reisefreiheit angestrebt, heißt es. Mit jenen, die die Corona-Verbreitung weniger gut im Griff haben, werde man sehr diszipliniert umgehen müssen.

Das betrifft jedenfalls Italien, möglicherweise auch die Schweiz, aber auch Slowenien – und indirekt Kroatien. Da könne man derzeit die Faktenlage schwer beurteilen. Sollte der Flugverkehr wieder geöffnet werden, werde man logischerweise mit Ländern wie Dänemark oder Norwegen kein Problem haben, mit Schweden aber schon. (Thomas Mayer aus Brüssel, Michael Völker, 24.4.2020)