In den Diskussionen über das Soziahilfenetz fristet die Notstandshilfe oft das Dasein eines Stiefkinds. Sie wird wenig beachtet, während ihre Geschwister, das Arbeitslosengeld und die Mindestsicherung, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Unter der türkis-blauen Koalition wäre sie fast abgeschafft worden.

In der aktuellen Corona-Krise erweist sich die Notstandshilfe allerdings als Glücksfall für die Politik. Sie sorgt dafür, dass Regierung und Parlament nicht allzu groß im Sozialsystem herumdoktern müssen, um einige der Verwerfungen durch die Krise am Arbeitsmarkt abzumildern. Ohne Notstandshilfe würden über die kommenden Monate Zehntausende Menschen in die Mindestsicherung fallen – mit nachteiligeren Regelungen aus Sicht der Betroffenen.

Aktuell dagegen hat ein kleiner Kniff ausgereicht: Die Notstandshilfe soll kommende Woche aufgestockt werden – und zwar auf Höhe des Arbeitslosengeldes. Ein entsprechender Beschluss im Sozialausschuss des Nationalrats ist bereits von ÖVP und Grünen fixiert worden, kommende Woche fällt dann die Entscheidung im Parlamentsplenum. Die Regelung soll für alle gelten, die zwischen 1. Mai und 30. September in die Notstandshilfe rutschen.

Der Zweck der Bestimmung ist klar: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in Österreich ist im internationalen Vergleich kurz. Wer noch nicht lang beschäftigt ist, hat Anspruch auf etwa viereinhalb Monate. Bei Menschen, die mindestens drei Jahre gearbeitet haben, erhöht sich die Bezugsdauer auf knapp sieben Monate. Bei Langzeitbeschäftigten über 50 sind es sogar bis zu zwölf Monate Arbeitslosengeld.

Ein Arbeitsloser bekommt 55 Prozent seines letzten Nettolohns. Wobei Zuschläge dazukommen: rund 30 Euro pro Kind und Monat. Wer sehr wenig verdient hat, wird auf den sogenannten Ausgleichszulagenrichtsatz aufgestockt. Derzeit sind das etwa 1000 Euro im Monat.

Aktuell verschicken ÖGB und gewerkschaftsnaher Thinktank Momentum Illustrationen, die zeigen sollen, dass Österreichs Arbeitslosenunterstützung im internationalen Vergleich eher mickrig sei. Im Ranking, das zu sehen ist, liegt Österreich hinter den meisten EU-Ländern, wegen der erwähnten 55-Prozent-Ersatzrate.

Theoretisch bis zur Pension

Allerdings ist das verzerrend. Eine Kennzahl reicht nie, um die Generosität eines Sozialsystems beurteilen zu können. Hier kommt die Notstandshilfe ins Spiel. Sie greift, wenn das Arbeitslosengeld ausgeschöpft ist, und kann unbegrenzt, also bis zur Pensionierung, bezogen werden. Dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss man natürlich. Ein solches System bieten nur wenige Länder: Das sorgt laut Industriestaatenorganisation OECD dafür, dass Österreich einer der Staaten mit der höchsten Hilfe für Menschen ist, die sehr lange keinen Job finden.

Wie lange werden die Turbulenzen am Jobmarkt andauern?
Foto: APA

Wo liegt der Clou bei der Notstandshilfe? Sie bringt weniger Geld als das Arbeitslosengeld, 92 bis 95 Prozent dessen. Nach einem halben Jahr gibt es zudem Höchst-bezugsgrenzen von 1000 bis 1200 Euro im Monat.

Allerdings gibt es hier keine Einrechnung vom Einkommen sonstiger Haushaltsangehöriger. Ganz im Gegensatz zur Mindestsicherung, die sich oft stark vermindert, wenn die Partnerin oder ein erwachsenes Kind im Haushalt dazuverdient. Bei der Notstandshilfe gibt es zudem keine Pflicht, das Vermögen aufzubrauchen. Diesen Zwang gibt es bei der Mindestsicherung mit einigen Ausnahmen wohl. Und: Wer Sozialhilfe bezieht, erwirbt keine Zeiten in der Pensionsversicherung, was sich im Alter auswirkt.

Alles in allem führt das dazu, dass die Aufstockung der Notstandshilfe de facto ein höheres und längeres Arbeitslosengeld für Betroffene bringt. Dass die Notstandshilfe hier eine große Rolle spielt, ist auch dem Zufall geschuldet. Theoretisch hätte auch das Arbeitslosengeld verlängert werden können, damit niemand in die Notstandshilfe abrutscht. Nur hätte das aktuell überlastete AMS eine solche IT-Umstellung dem Vernehmen nach länger nicht hinbekommen.

Debatten gibt es bereits über die Dauer der Lösung: Dass die SPÖ nicht mitgestimmt hat, liegt daran, dass sich die Sozialdemokraten gewünscht hätten, die Aufstockung über Ende September hinaus zu verlängern. Dem Vernehmen nach wollten auch die Grünen eine Lösung bis Jahresende – das war aber der mögliche Kompromiss mit der ÖVP.

In Deutschland gibt es die Notstandshilfe nicht mehr, auf das Arbeitslosengeld folgt die Sozialhilfe mit den erwähnten weitgehenderen Eingriffen. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat sich nach zähen Verhandlungen darauf geeinigt, das Arbeitslosengeld bis Ende Dezember 2020 zu verlängern, damit kein massenhaftes Abgleiten in die Sozialhilfe stattfindet.

Sollte die Arbeitslosigkeit dauerhaft höher bleiben, wären Langzeitbetroffene in Österreich jedenfalls klar im Vorteil.

Strenge Regeln fallen

Noch ein Unterschied zwischen Notstandshilfe und Arbeitslosengeld wird übrigens bis Ende September 2020 in Österreich beseitigt: Bezieher der Notstandshilfe sind bisher verpflichtet, jeden nach Kollektivvertrag entlohnten Job anzunehmen, egal, was sie vorher gearbeitet haben. Beim Arbeitslosengeld dagegen gibt es je nach Vorbeschäftigung diverse Einschränkungen.

Auch das wurde jetzt angeglichen. Solange sich die Situation am Jobmarkt nicht bessert und sowieso kaum Stellen verfügbar sind, wird sich das in der Praxis freilich nicht auswirken. (András Szigetvari, 25.4.2020)