Wir alle haben uns den Frühling 2020 anders vorgestellt, als physisch distanziert zu Hause herumzusitzen. Langeweile muss aber nicht aufkommen: Neue Sachbücher aus dem Bereich Umwelt und Ökologie eignen sich bestens für geistige Workouts in den eigenen vier Wänden.

Kurt Kotrschal, "Sind wir Menschen noch zu retten? Gefahren und Chancen unserer Natur. Ein Plädoyer für die liberale Demokratie". € 20,– / 186 Seiten. Residenz-Verlag, Wien/Salzburg 2020

Die vielen Gesichter unserer Spezies

Was die Menschheit daran hindert, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen, und wie es dennoch gelingen könnte – um diese großen Fragen kreist das jüngste Buch des Biologen und Verhaltensforschers Kurt Kotrschal. Bekannt unter anderem für seine Forschung zu Wölfen und Vögeln, beschäftigt sich Kotrschal diesmal mit dem evolutionären Erbe des Menschen. In vier Aufsätzen beleuchtet er, wie wir unsere natürlichen Anlagen nützen können, um die großen globalen Probleme anzupacken – dazu zählen Klimakrise und Artensterben ebenso wie die aktuelle Pandemie.

Warum der Blick auf die evolutionären Wurzeln wichtig ist, begründet Kotrschal so: "Was in Zukunft möglich sein wird, hängt von den in der Vergangenheit entstanden Strukturen und Funktionen ab. Aus den einfachen Regeln, wie Evolution funktioniert, kann man daher zumindest in groben Zügen vorhersagen, was werden kann und was nicht."

Die titelgebende Frage "Sind wir Menschen noch zu retten?" bejaht Kotrschal insofern, als sich das evolutionäre Erbe des Menschen auch dadurch charakterisiert, dass er das "potenziell klügste, kooperativste, netteste und altruistischste aller Lebewesen" ist. Der Verhaltensforscher verschweigt aber auch nicht die Schattenseiten unserer Spezies, die uns mitunter zu Mord und Totschlag verleiten. Dass Altruismus siegen wird, ist für Kotrschal keineswegs ausgemacht. Damit wir den Planeten auch für künftige Generationen lebenswert hinterlassen, bedarf es für Kotrschal der liberalen Demokratie. Scheint sie doch als "die einzige Chance, individuelle Egoismen zum Wohl der Menschheit umzuleiten".

Kurt Kotrschal, "Sind wir Menschen noch zu retten? Gefahren und Chancen unserer Natur. Ein Plädoyer für die liberale Demokratie". € 20,– / 186 Seiten. Residenz-Verlag, Wien/Salzburg 2020

Kyle Harper, "Fatum: Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches". € 32,90 / 567 Seiten. C. H. Beck, München 2020

Klima, Viren und das Ende Roms

Mit Büchern über den Untergang des Römischen Reiches lassen sich ganze Regale füllen. Der Verfall dieses gewaltigen Imperiums, das sich zu seiner Hochblüte über drei Kontinente erstreckte und eine bis dahin beispiellose Strategie aus militärischer Expansion, politischer Integration und wirtschaftlicher Vernetzung verfolgte, hat bis heute nichts an seiner Faszination eingebüßt.

Der US-amerikanische Altertumswissenschafter Kyle Harper beleuchtet dieses historische Drama in seinem Buch Fatum aus einer ökologisch-evolutionären Perspektive. Seine These: Eine glückliche Phase stabilen Klimas trug entscheidend zum Aufstieg Roms bei, die darauffolgende globale Abkühlung und der mörderische Siegeszug neuer Infektionskrankheiten besiegelten dessen Untergang. Im Zentrum dieser_Geschichte stehen weniger Kaiser, Senatoren, Feldherren und Sklaven als deren heimliche Gegenspieler: Bakterien, Viren, Sonnenzyklen und Vulkane.

Die Annahme, dass Klimawandel und Seuchen die Römer in die Knie gezwungen haben, ist nicht neu. Harper untermauert sie aber eindrucksvoll mit aktuellen Forschungsergebnissen aus Klimawissenschaft und Genetik. Er geht dabei akribisch dem Verhältnis zwischen der römischen Zivilisation und ihrer Umwelt auf den_Grund und kommt zu dem Schluss: Die Geschicke des Imperiums wurden in hohem Maße von außen gelenkt – von den Kräften der Natur.

Zum Verhängnis wurden Rom neben klimatischen Veränderungen auch jene Errungenschaften, die seinen Erfolg ausmachten: Globale Verbindungen und Bevölkerungswachstum schufen die idealen Bedingungen für die ersten Pandemien der Welt. Die Parallelen zu heute sind augenfällig.

Kyle Harper, "Fatum: Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches". € 32,90 / 567 Seiten. C. H. Beck, München 2020

Madlen Ziege, "Kein Schweigen im Walde. Wie Tiere und Pflanzen miteinander kommunizieren". € 22,70 / 237 Seiten. Piper, München 2020

Tierisches Twitter im Wald

Die vielfältigen Kanäle, über die sich Tiere und Pflanzen im Wald verständigen, beleuchtet die Verhaltensbiologin Madlen Ziege in ihrem Buchdebüt. Dabei erfahren auch Waldliebhaber einiges Neues, etwa dass Fledermäuse Selbstgespräche führen und welche intimen Informationen Dachse einander preisgeben.

So wie bei Kaninchen und Affen sind Kot und Urin ein wichtiges Kommunikationsmittel von Dachsen. Sie können davon Alter, Geschlecht und Informationen zu Gesundheit und Paarungsbereitschaft ablesen. Laut Ziege nehmen Latrinen eine ähnliche Funktion ein wie soziale Medien.

Weiters wird in der speziesübergrei fenden Zusammenstellung deutlich, dass Menschen längst nicht die einzigen Aufschneider des Planeten sind. Auch Fische, Vögel oder Schnecken beherrschen das Geschäft prächtig, wobei die Motivation jener von Menschen frappierend ähnelt: Jedes Mittel der Übertreibung ist recht, wenn es sexuelle Anlockung verspricht.

Madlen Ziege, "Kein Schweigen im Walde. Wie Tiere und Pflanzen miteinander kommunizieren". € 22,70 / 237 Seiten. Piper, München 2020

Nick Haddad, "The Last Butterflies: A Scientist's Quest To Save A Rare And Vanishing Creature". € 26,99 / 250 Seiten. Princeton University Press, Princeton 2019

Die letzten ihrer Art

Der US-Ökologe Nick Haddad hat seine Forscherkarriere einem außergewöhnlichen Studienobjekt gewidmet: Seit Jahrzehnten ist er auf der Suche nach den seltensten Schmetterlingsarten, erforscht ihre Lebensweise und wie man sie schützen kann. In "The Last Butterflies" werden sechs dieser Spezies vorgestellt und die Ursachen für ihre Zurückdrängung beleuchtet.

Schmetterlinge gehören zu den am besten untersuchten Insekten. Seit Jahrhunderten werden sie gesammelt und studiert. Haddads Feldforschungen liefern wichtige Beiträge, um die Ursachen des weltweiten Insektensterbens besser zu verstehen und eröffnen Handlungsmöglichkeiten, wie der Diversitätsverlust aufzuhalten ist.

Obwohl Haddad bei vielen seiner Forschungsobjekten die Angst begleitet, es könnten die letzten ihrer Art sein, bemüht er sich in seinem Buch auch um einen hoffnungsvollen Ton: Wir befinden uns zwar mitten im sechsten großen Massenaussterben, doch es ist möglich, dieses wenn schon nicht aufzuhalten, so doch zu bremsen.

Nick Haddad, "The Last Butterflies: A Scientist's Quest To Save A Rare And Vanishing Creature". € 26,99 / 250 Seiten. Princeton University Press, Princeton 2019

David Beerling, "Making Eden: How Plants Transformed A Barren Planet". € 22 / 257 Seiten. Oxford University Press, Oxford 2019

Die ersten Pflanzen des Planeten

Angesichts der zunehmenden Zurückdrängung nicht nur der Fauna, sondern auch der Flora durch den Menschen, hat sich der britische Botaniker David Beerling in seinem Buch "Making Eden" der Aufgabe verschrieben, nachzuzeichnen, wie sich die Pflanzenwelt unseres Planeten überhaupt entwickelt hat.

Überraschenderweise ist dieser Prozess bislang weniger erforscht als man meinen möchte, berichtet Beerling. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der Siegeszug der Pflanzen die Grundlage für die Entwicklung von Tieren auf der Erde war. Durch zahlreiche archäologische Funde und botanische Studien ist es heute in groben Zügen möglich, jenen Prozess nachzuverfolgen, wie aus einem schroffen Felsplaneten jenes lebenswerte, üppig bewachsene Habitat geworden ist, in dem sich auch unsere Spezies entwickeln konnte.

David Beerling, "Making Eden: How Plants Transformed A Barren Planet". € 22 / 257 Seiten. Oxford University Press, Oxford 2019

(Tanja Traxler, David Rennert, 26.4.2020)