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Das bisher letzte von der offiziellen Agentur KCNA veröffentlichte Foto Kim Jong-uns zeigt diesen Anfang April im Kreise seiner Soldaten.

Foto: Reuters / KCNA

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Ein Satellitenbild zeigt Kim Jong-uns Zug in Wonsan.

Foto: AP / Maxar Technologies

Kann ein Zug etwas über einen Menschen aussagen? US- und südkoreanische Geheimdienste glauben: ja. Sie sähen Satellitenbilder des Privatzuges von Kim Jong-un, die über das Wochenende veröffentlicht wurden, als Indiz an, dass der nordkoreanische Machthaber entgegen anderslautenden Gerüchten noch am Leben sei, sagten sie am Sonntag. Der Privatzug sei in der nur für den "Obersten Führer" reservierten Station in der Stadt Wonsan eingefahren, teilten sie mit. Kim verbringe dort womöglich eine Auszeit in Sorge vor dem Coronavirus – oder er erhole sich.

Letztgültige Sicherheit hat es zu diesem Zeitpunkt über das Schicksal des nordkoreanischen KP-Chefs aber noch nicht gegeben. Dass er sich seit Wochen nicht mehr öffentlich gezeigt hatte, sorgte auch in Washington und Seoul für einige Beunruhigung – die sich noch verstärkte, als chinesische und japanische Medien am Samstag über den angeblichen Hirntod des vermutlich 36-Jährigen berichteten. Was genau eine Delegation chinesischer Ärzte, die Nordkorea am Wochenende laut der Agentur Reuters besucht hatte, dort wollte, war vorerst ebenfalls noch unklar. Quellen aus Peking hatten zuvor ja berichtet, sie sollten Kim nach einer fehlgeschlagenen Herzoperation behandeln.

Pfeifende Atemgeräusche

Doch so oder anders: Der Gesundheitszustand Kims lässt nach allem, was bekannt ist, schon seit geraumer Zeit zu wünschen. Sein auch öffentlich zur Schau getragenes Faible für Zigaretten ist evident, bekannt ist laut Berichten geflohener Ex-Funktionäre auch, dass Kim dem Alkohol nicht abgeneigt ist. Zudem hat sich sein Gewicht seit der Machtübernahme 2011 um rund 30 Kilo erhöht, schätzen laut Medien südkoreanische Geheimdienste. Es wird auf rund 150 Kilogramm berechnet

Auch Kims Atemfrequenz wurde beim Gipfel mit seinem südkoreanischen Amtskollegen Moon Jae-in im Frühjahr 2018 gemessen. Danach protokollierte man, Kim sei entweder extrem nervös gewesen, oder er leide an massivem Bluthochdruck. Auch die US-Delegation meldete nach dem letzten Treffen Kims mit US-Präsident Donald Trump an der innerkoreanischen Grenze Besorgniserregendes: Man habe bei Kim "pfeifende Atemgeräusche" wahrgenommen. Der Diktator gerate nach wenigen Schritten außer Atem. "Washington Post"-Redakteurin Anna Fifield fasst in ihrem glänzend recherchierten Buch "The Great Successor" zusammen, Kim habe auf die US-Vertreter "wie ein Herzinfarktpatient im Wartestadium" gewirkt.

Die Dynastie wankt

Dass man sich also auch vor den jüngsten Meldungen bereits über ein mögliches Ableben des Machthabers Gedanken machte, liegt auf der Hand. Einfach sind die Planungen dafür aber gewiss nicht. Sicherheit ist schwer zu erlangen, weil die nordkoreanischen Gesetze keine Vorgaben für den Todesfall ihres Führers machen. Vielmehr bleibt dieser auch nach dem Tod formell im Amt, bis ein Nachfolger gefunden ist – oder darüber hinaus: Staatsgründer Kim Il-sung trägt auch knapp 26 Jahre nach seinem Tod noch immer den Titel des "ewigen Präsidenten", womit er de jure weiterhin Staatschef des Landes ist.

Bisher hat sich Nordkorea mit der dynastischen Nachfolge an der Staatsspitze beholfen und damit die Anforderungen des Kim’schen Familienkults erfüllt. Diesmal aber geht das nicht so einfach: Zwar gibt es mindestens zwei Kinder Kim Jong-uns, doch sind diese beide noch im Volksschulalter.

  • Meistgenannte Kandidatin ist daher Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong. Die vermutlich 31-Jährige gilt als gut vernetzt und hat sich in den vergangenen Jahren als wichtigste Propagandistin ihres Bruders einen Namen gemacht. Auf ihre Vorschläge geht es unter anderem zurück, dass der "Große Führer" sich häufiger bei der Eröffnung von Krankenhäusern und Vergnügungseinrichtungen und in der Umgebung von Kindern ablichten ließ. Kim Yo-Jong gilt auch als Verbindungsperson zu den USA: Nach dem Gipfel in Hanoi schenkte sie den Delegationsmitgliedern USB-Sticks mit den besten gemeinsamen Fotos (die ohne Zweifel wegen der Spionagegefahr nie in US-Regierungscomputern landeten). Weil es sonst wenig aus Hanoi zu vermelden gab, landete das angebliche Lieblingskind Kim Jong-ils ("Sie ist kein Einfaltspinsel so wie ihre Brüder") auf dem Abstellgleis – erst seit Anfang April taucht sie in der Propaganda wieder häufig auf. Zum Hindernis könnte ihr vor allem der Sexismus in Nordkoreas Nomenklatur werden – eine Führerin ist für viele unvorstellbar.

  • Zudem gibt es einen älteren Bruder. Kim Jong-chol ist aber vor allem dafür bekannt, sich mit seiner Entourage in Konzerte des Musikers Eric Clapton zu schummeln. Selbst spielt er in einer Pjöngjanger Rockband Gitarre – sein politischer Einfluss gilt als gering.

  • Bliebe die Partei. Sollte die Entscheidung auf deren wichtigsten Kopf, Parlamentspräsident Choe Ryong-hae fallen, könnte dieser sich von Politikbausteinen der Kims (starkes Militär, Atomwaffen) lösen und sich China andienen. Aber: Ein Führer, der nicht Kim heißt, scheint kaum möglich.

Auf wen die Wahl gefallen ist, würde man bei der Beisetzung sehen, schrieb Nordkorea-Experte Fyodor Tertitskiy 2019 im Portal NK News. Pjöngjang folge der kommunistischen Tradition – der Nachfolger werde also auch der Chef des Begräbniskomitees sein. (Manuel Escher, 26.4.2020)