Im Gastkommentar plädiert Thomas Henzinger, Präsident des Institute of Science and Technology Austria, in Wissenschaft als System des Erkenntnisgewinns zu vertrauen.

Schon wieder ein Kommentar eines Wissenschafters? Ist nicht alles schon gesagt? In der Tat, es wird derzeit viel von Wissenschaftern gesagt. Versprechen von Medikamenten und Impfstoffen, aber auch Mahnungen zur Geduld. Mathematische Vorhersagen basierend auf epidemiologischen Gleichungen, auf komplexen Computersimulationen, auf statistischen Ländervergleichen, und all das auf der Basis von unvollständigen Daten – mit teilweise drastisch unterschiedlichen Resultaten und Empfehlungen. Handy-Apps, die von manchen als Teil der Lösung gepriesen und von anderen als unsicher kritisiert werden. Warnungen vor Infektionsraten und vor Kollateralschäden. Das Vertrauen in Wissenschaft und Technologie sei so groß wie nie zuvor, heißt es. Vielleicht auch, weil jeder den Wissenschafter finden kann, der das untermauert, was man ohnehin zu wissen meint?

Grund für Vertrauen

Doch das ist der falsche Grund, der Wissenschaft zu vertrauen. Der richtige Grund ist, dass wir uns dank unseres Wissens in einer deutlich besseren Situation befinden als in ähnlichen Krisen vor 600, 300, aber auch noch 100 Jahren. Wir kennen die prinzipiellen Ursachen der derzeitigen Seuche, wir verstehen die ihr zugrunde liegenden molekularen Mechanismen, wir haben sogar Bilder und den genetischen Code des Virus.

Es gibt richtige und falsche Gründe, um der Wissenschaft zu vertrauen.
Foto: EPA

Es ist genau dieses Wissen, das uns nicht nur Hoffnung, sondern die Sicherheit gibt, dass wir die Krankheit besiegen werden. Die Menschen im Mittelalter und noch vor 100 Jahren hatten diese Sicherheit nicht – sie wussten nichts von Krankheitserregern, oder zumindest wussten sie nicht, wie diese funktionieren. Unser Wissen ist durch Jahrzehnte moderner Grundlagenforschung entstanden. Und diese Grundlagenforschung geht weiter, jeden Tag, an vielen Institutionen in der ganzen Welt, ständig neue Erkenntnisse liefernd. Erkenntnisse, die uns auch bei anders gearteten Krisen zugute kommen werden. Wissen – im Gegensatz zur Wirtschaft – wächst nur, verringert sich nie. Neues Wissen war, ist und bleibt die sicherste, vielversprechendste Investition in die Zukunft.

Tatsachen, nicht Meinung

Hier ergibt sich aber auch ein gewisses Dilemma: Die Methodik, auf der der immense Wert der Wissenschaft beruht, ist mühsam und langwierig. Die moderne Wissenschaft hat ein ausgeklügeltes Verfahren entwickelt, das auf Evidenz und Peer-Review beruht. Dieses führt von einer Vielfalt an Ideen und Theorien zu breitem Konsens und dient genau dazu, gesichertes Wissen zu vermehren. Diese Methodik steht schnellen, gutgemeinten Vorschlägen oft im Weg. Sie ist dennoch unabdingbar, denn es ist die wissenschaftliche Methode, die Tatsache von Meinung trennt. Lasst uns der Wissenschaft als System des Erkenntnisgewinns – und nicht als Meinungsvielfalt diverser Experten – vertrauen, auch wenn das inmitten einer akuten Situation oft schwierig ist. Denn das globale System Wissenschaft ist jene Errungenschaft der Menschheit, mit der wir diese und zukünftige Krisen überwinden werden. (Thomas Henzinger, 26.4.2020)