Nerds R Us: Das immens einflussreiche Debütalbum der Feelies wird zappelige 40 Jahre alt.

Foto: flu / Stiff Records

Das hölzerne Klappern von Kastagnetten zählt weder im Punk noch im New Wave zu den auffälligen Klängen. Für irgendeine Folklore-Combo zwischen El Paso und Feuerland, okay, aber für eine Band vor den Toren New Yorks klang das ziemlich ungewöhnlich. Zumal der Kalender "1980" zeigte. Damals wüteten Postpunk und New Wave. Blondie verwies mit Call Me als neuer Nummer eins der US-Billboard-Charts Pink Floyd und Queen auf die Plätze, auch das sie ablösende Funkytown von Lipps Inc. verdeutlichte eine Zeitenwende.

Die Kastagnetten waren neben der Marimba eine von mehreren Merkwürdigkeiten der Band The Feelies. Diese nannte sich nach einem Begriff des Autors Aldous Huxley. Der erdachte in seinem Klassiker Brave New World eine zukünftige Form des Kinos, die alle Sinne umfassen sollte, und gab ihr den Namen Feelies.

Vor 40 Jahren erschien ihr Debüt Crazy Rhythms. Das Werk dieser Gruppe aus New Jersey gilt als einer der Geburtshelfer dessen, was heute schwammig als Alternative Rock gehandelt wird. Die Musik stand unter dem Einfluss von Punk als Haltung, gleichzeitig war sie traditionsbewusst und offen. Der Krautrock von Neu! war Einfluss, The Velvet Underground, Jonathan Richmans Modern Lovers oder die frühen Solowerke des Brian Eno. Die Feelies verknüpften die Arbeit des Steve Reich mit der Ästhetik von Neil Young oder die der Stooges mit Philip Glass, der als Produzent von Crazy Rhythms im Gespräch war. Punkmusik sahen die vier bereits als überholt an.

Wäsche von Mutti

Anders als glamouröse Stars und die übertriebene Negativinszenierung des Punk standen die Feelies so auf der Bühne, wie sie morgens aus dem Haus gingen. Das sah in ihrem Fall aus, als würde ihnen Mutti noch das Gewand zum Tage richten: 08/15-Hemden, Pullunder, Brillen von der Krankenkasse, alle brav frisiert.

Das war als Understatement so unkonventionell wie jenes der Talking Heads und ebnete den Weg für den Normalo-Popstar, der sein Gewand von der Stange kauft wie du und ich. Dabei waren die bis heute aktiven Feelies nie Stars im eigentlichen Sinn.

Vilosophe

Crazy Rhythms erschien Ende April auf dem britischen Label Stiff Records. Ein kommerzieller Erfolg war es nicht, andererseits verkauft es sich niederschwellig seit 40 Jahren bis heute und gilt als einflussreicher Slow Burner.

Von C 86 bis Pavement

Bands wie R.E.M. schwärmten von den Feelies, Yo La Tengo, Sonic Youth, Pavement und etliche andere Gitarren-Bands nannten sie als Einflussgeber, die Band Weezer widmete ihnen gar das Cover ihres Debütalbums als Hommage. Und als Mitte der 1980er-Jahre der in Großbritannien prosperierende Gitarren-Pop vom New Music Express zur "Generation C-86" erklärt wurde, stand die große Mehrheit all der darunter firmierenden Bands unter den Einfluss der Feelies – ob sie es wussten oder nicht.

criccroccro

Gegründet 1976, bestanden die Feelies 1980 aus Bill Million, Glenn Mercer, Keith DeNunzio und Anton "Andy" Fier. Ihre Musik verstanden sie als saubere und rhythmuslastige Reaktion auf Punk: Der Titel war Programm, ebenso jener des Openers: The Boy With The Perpetual Nervousness, der Junge mit der immer währenden Nervosität. Ein zappeliges Stück Rockmusik auf vibrierenden Rhythmen und mit ziemlichem Zahn gespielt. Blätter wie die Village Voice lagen den vieren zu Füßen; die tourten mit Lou Reed oder R.E.M. – doch Eile spielt in der Welt der Feelies bis heute keine Rolle.

Bessere Feierabend-Combo

Zwar tauchten Songs von Crazy Rhythms und manchen Folgealben sogar in Hollywood-Filmen auf, doch es dauerte sechs Jahre, bis die Band nachlegte. Das behält sie bis heute so bei. Nur sechs Longplayer sind in 40 Jahren entstanden, die Gruppe lebt als bessere Feierabend-Combo immer noch in New Jersey, spielt wenige ausgesuchte Gigs im Jahr.

The Feelies - Topic

Berühmt wurde jener am 4. Juli 2008 mit Sonic Youth im New Yorker Battery Park. Ansonsten gilt: nur keine Wellen. Ihre Musik wurde im Laufe der Zeit traditioneller, als Nerds gelten sie immer noch. Als Brotberuf sind gerüchteweise Lehrer und Bibliothekar im Umlauf. Was sie zu Beginn ihrer Karriere seltsam erscheinen ließ, ist längst Standard im Alternative-Bereich. Doch nur wenige können dort auf so einen Einfluss, auf so eine Langlebigkeit verweisen.

Ein schlechtes Album müssen die Feelies erst machen. Bis dahin werden sie beständig von neuen Generationen neu entdeckt. In diesem Sinne. (Karl Fluch, 26.4.2020)