"Mit hoher Sicherheit müssen wir im Sommerhalbjahr besonders in den niederschlagsärmeren Gegenden auch mit vermehrten Dürre- und Trockenheitsperioden aufgrund stärkerer Verdunstung der Böden rechnen", sagt Meteorologe Marc Olefs.

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STANDARD: Berechnungen zeigen, dass sich die Luftverschmutzung über China in den letzten Monaten deutlich reduziert hat, eine indirekte Auswirkung des Coronavirus. Rechnen Sie in Europa mit ähnlichen Phänomenen?

Marc Olefs: Von einem ähnlichen, wenn auch nicht ganz so markanten Effekt ist in Abhängigkeit der weiteren Entwicklung vermutlich auch in Europa auszugehen. Es handelt sich dabei aber um einen kurzfristigen "Einmaleffekt", nach der Krise sind die Emissionen wieder da, das heißt, das Klimaproblem verschwindet dadurch nicht einfach.

STANDARD: Macht es Sinn, zwischen Wetter und Klima zu unterscheiden?

Olefs: Das macht nicht nur Sinn, sondern ist auch notwendig: Das, was wir tagtäglich spüren, wenn wir rausgehen, das ist Wetter. Es gibt saisonale Temperaturschwankungen, zum Beispiel von einem Winter zum nächsten, die liegen bei bis zu zehn Grad. Verglichen damit beträgt die langfristige menschengemachte Klimaerwärmung nur 0,3 Grad pro Jahrzehnt. Deswegen ist für viele das Klima beziehungsweise die Klimaveränderung nur dann direkt spürbar, wenn sie sich mit natürlichen Schwankungen wie Hitzewellen im Sommer überlagert, die es aber schon immer gegeben hat.

STANDARD: Der Winter 2019/20 war der wärmste seit Beginnn der Aufzeichnungen in Europa. Ist das eine Folge des Klimawandels?

Olefs: Der Winter war die Folge einer natürlichen Schwankung, die durch die menschengemachte Klimaerwärmung verschärft wird, ähnlich wie bei sommerlichen Hitzewellen: Im Winter 2019/20 dominierten wechselhafte Westwetterlagen, die vom Atlantik milde Luft nach Österreich brachten, und Hochdrucklagen mit sonnigem, mildem Wetter im Bergland und teils zähem Nebel im Flachland. Kalte Wetterlagen mit Nord- oder Ostströmung gab es dagegen nur selten. Der Winter 2019/20 bestätigt den Trend zu immer milderen Wintern in den letzten Jahrzehnten.

STANDARD: In Österreich gibt es seit Ende des 18. Jahrhunderts einen signifikanten Temperaturanstieg von zwei Grad. Wie viel davon ist menschengemacht durch Treibhausemissionen? Was ist natürliche Schwankung?

Olefs: Aufgrund der massiven und laufend steigenden globalen Emissionen von klimarelevanten Treibhausgasen ist der Mensch mittlerweile zu dem dominanten Klimaantrieb geworden, und der menschengemachte Anteil am Klimawandel steigt laufend. Seit 1950 beziehungsweise 1980 bis heute beträgt er mindestens 50 beziehungsweise circa 80 Prozent.

STANDARD: Viele von uns haben noch Erinnerungen an die Schneeberge unserer Kindheit – ist das Verklärung?

Olefs: Wir spüren heute bereits Effekte der Klimaerwärmung, vor allem in tiefen und mittleren Lagen. Wenn man sich die Entwicklung seit den 1950er-Jahren ansieht, sehen wir tatsächlich eine langfristige Abnahme der Schneedecke. Besonders kalte Winter wird es aufgrund der starken natürlichen jahreszeitlichen Schwankungen auch in Zukunft immer wieder geben, aber eben aufgrund der fortschreitenden Erwärmung immer seltener und nicht mehr ganz so kalt, da auch die kältesten Winter immer wärmer werden.

STANDARD: Müssen oder dürfen wir in Österreich langfristig mit mehr Niederschlag im Winter rechnen?

Olefs: Die Klimamodelle zeigen tatsächlich, dass wir bei ungebremsten Treibhausgasemissionen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine Zunahme des Winterniederschlags von rund 20 Prozent erwarten. Aber das gilt erst für das Ende des Jahrhunderts, also für die Periode 2070 bis 2100. Für einzelne Schneefallereignisse in hohen Lagen kann man sich dadurch vielleicht auch mehr Schnee erwarten, über einen ganzen Winter gesehen aber nicht.

STANDARD: Welche Parameter bestimmen die Vorhersagen?

Olefs: Die Wissenschaft macht für die Zukunft keine exakten Vorhersagen, sondern Klimaprojektionen, das heißt, wir spielen verschiedene Szenarien durch, weil wir sehr viele Unsicherheiten in der Zukunft berücksichtigen müssen. Zum Beispiel die Entwicklung der Bevölkerung und der Technologie. Neben diesen Unsicherheiten spielen zwei Dinge eine wichtige Rolle: Zeitraum und Parameter. Was den Zeitraum angeht, dominieren gerade in den Alpen und im Winter für Zeiträume von bis zu circa 30 Jahren die natürlichen Schwankungen gegenüber dem menschengemachten Klimawandel. Über längere Zeiträume ist ganz klar der Mensch derzeit der dominante Treiber des Klimas und wird es noch lange bleiben.

STANDARD: Bringt der menschengemachte Klimawandel in Österreich eine Zunahme an extremen Wetterereignissen? Womit müssen wir rechnen?

Olefs: Für alle direkt temperaturabhängigen Ereignisse wie zum Beispiel Hitzewellen oder die Anzahl von Borkenkäfer-Generationen pro Jahr, die potenziell den Wald massiv schädigen können, erwarten wir mit sehr hoher Sicherheit eine langfristig fortschreitende Zunahme mit deutlichen Gesundheitsfolgen und Problemen im Bereich der Forstwirtschaft. Mit hoher Sicherheit müssen wir im Sommerhalbjahr besonders in den niederschlagsärmeren Gegenden auch mit vermehrten Dürre- und Trockenheitsperioden aufgrund stärkerer Verdunstung der Böden rechnen.

STANDARD: Welche Rolle spielt dabei der Jetstream? Er wird angeblich langsamer, wodurch sich die Wetterlagen länger halten.

Olefs: Der polare Jetstream ist ein Starkwindband, das die nördliche Halbkugel in mehr als acht Kilometer Höhe umschließt, und bestimmt mit seiner Lage und Form unseren Witterungscharakter und das Temperaturniveau. Wenn der Jet zum Besispiel im Sommer nördlich von uns liegt, dann kann das die Grundlage für Hitzewellen und Trockenheit sein, die durch den menschengemachten Klimawandel nochmals verschärft werden. Die spannende und derzeit in der Klimaforschung heißdiskutierte Frage ist, inwieweit die Erderwärmung das Verhalten des Jets selbst beeinflusst. Eine Theorie besagt zum Beispiel, dass der Jetstream schwächer geworden ist, weil der Temperaturunterschied zwischen der Arktis und den mittleren Breiten schrumpft, da sich die Arktis schneller erwärmt als die mittleren Breiten. Wenn der Jetstream langsamer wird, tendiert er dazu, stärkere Mäander zu schlagen, er schlingert wie die Kurven eines Flusses in einem natürlichen Flussbett. Dadurch blockiert sich der ganze Jetstream, was dazu führt, dass Wetterlagen hängen bleiben können.

STANDARD: Was kann Österreich tun, um die menschengemachte Klimakrise zu reduzieren?

Olefs: Der Klimawandel ist bereits da. Österreich sollte alles dafür tun, die Emissionen an klimawirksamen Treibhausgasen, allen voran CO2, rasch und drastisch zu reduzieren, auch wenn Österreich derzeit nur 0,2 Prozent zu den globalen CO2-Emissionen beiträgt. Das ist aus zwei Gründen wichtig: Erstens können nur wir diesen Anteil reduzieren, zweitens werden dadurch andere Staaten viel eher zu ähnlichen Maßnahmen motiviert (Zuschauereffekt).

STANDARD: Was kann jede und jeder Einzelne tun? Der Autor Jonathan Safran Foer weist in seinem aktuellen Buch "Wir sind das Klima!" zum Beispiel auf den signifikanten Zusammenhang von Massentierhaltung und Treibhausemmissionen hin. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie zwingen uns derzeit zu einer kompletten Umstellung unseres Lebensstils.

Olefs: Die eigene Lebensweise in Richtung eines klimafreundlicheren und nachhaltigeren Lebensstils zu ändern ist im Einzelnen ein kleiner, in Summe aber ein nicht unwesentlicher Beitrag. Der Fleischkonsum, aber auch Flüge spielen da natürlich eine große Rolle. (Tanja Paar, 27.4.2020)