"Wir Menschen sind so konstruiert, dass wir positive Gefühle und Emotionen brauchen", sagt die Expertin.

Foto: istockphoto/anyaberkut

"Corona wird auch im kollektiven Gedächtnis Spuren hinterlassen", sagt Psychologin Beate Wimmer-Puchinger.

Foto: Inge Prader

Das Coronavirus wird uns trotz Lockerung der Maßnahmen noch lange beschäftigen. Die Psychologin Beate Wimmer-Puchinger plädiert dennoch dafür, den Menschen jetzt Hoffnung zu geben, weil sonst gesellschaftliche Probleme drohen.

STANDARD: Wie lange Corona unser Leben beeinträchtigen wird, weiß keiner. Wie geht es den Menschen damit?

Wimmer-Puchinger: Wir können in der Hoffnungslosigkeit nicht lange existieren und sind so konstruiert, dass wir positive Gefühle und Emotionen brauchen – sie sind unsere Energiespender. Und wir brauchen Optionen. Wenn keine da sind, fällt man in ein Loch. Ich glaube, dass es jetzt wichtig ist, keine Enttäuschungen zu provozieren. Wenn uns im Fernsehen erklärt wird, dass die zweite Corona-Welle noch viel fürchterlicher wird als die erste, halte ich das für unklug. Natürlich müssen wir uns darauf einstellen, dass das Virus wiederkommt. Aber man muss in der Kommunikation sehr vorsichtig damit sein, was jetzt gerade zumutbar ist. Wenn man den Menschen jede Hoffnung nimmt, dann wird das ein gesellschaftliches Problem werden. Die Leute geben einfach auf, wenn sie nach einer langen Durststrecke in der Wüste herausfinden, dass es jetzt noch immer ewig kein Wasser gibt.

STANDARD: Ein Problem ist auch das Gefühl der Machtlosigkeit.

Wimmer-Puchinger: Das Virus ist unsichtbar und rätselhaft, das macht es so schwierig. Wir müssen jenen vertrauen, die es besser wissen. Wir sind abhängig und fühlen uns hilflos. Viele haben jetzt das erste Mal im Leben keine Kontrolle. Das Einzige, was man tun kann, ist, dass man auf sich aufpasst. Wichtig ist das Gefühl, gut informiert zu sein und sein eigenes Leben steuern zu können.

STANDARD: Aber genau das ist doch jetzt nicht immer möglich.

Wimmer-Puchinger: Ich empfehle, sich auf positive Erlebnisse zu konzentrieren, und seien sie noch so klein. Mit Kindern spielen, rausgehen, sich bewegen: Daraus schöpft man Energie. Das ersetzt natürlich nicht das monatliche Einkommen, das vielen nach dem Verlust ihres Jobs jetzt fehlt. Aber es wirkt sich positiv auf den allgemeinen Gesundheitszustand aus.

STANDARD: Erst der Lockdown, jetzt werden die Beschränkungen gelockert. Was macht die Veränderung mit uns?

Wimmer-Puchinger: Im Lockdown waren wir alle in einer psychischen Schockstarre. Und es gab eine Welle der Solidarität. Jetzt müssen wir diese Solidarität in die neue Phase mit hinübernehmen, damit wir nicht umkippen in eine Gesellschaft, die auseinanderbröselt. Es gibt bei vielen eine sehr große Verunsicherung: Wie geht es weiter, kriege ich wieder einen Job, gehe ich wieder ganztags arbeiten, schaffe ich es, meine kleine Firma wieder hochzuziehen? Auf diese Menschen müssen wir jetzt schauen.

STANDARD: Wie kann man diese Menschen psychologisch unterstützen?

Wimmer-Puchinger: Wir haben als Psychologinnen und Psychologen keinen Zauberstab. Aber wir können auf die Menschen eingehen und Ängste ernst nehmen. Wir können stärken, Hoffnung geben und Alternativen aufzeigen. Wenn jemand den Job verliert, wird das sehr häufig so verarbeitet, als wäre man gescheitert. Viele Menschen genieren sich dafür, fühlen sich wertlos und verlieren ihr Selbstbewusstsein. Psychologische Therapie ist in diesen Situationen essenziell und darf kein Luxusgut sein. Psychische Hygiene ist so wichtig wie das Händewaschen und das Tragen von Masken. Wir wissen aus der Forschung, dass eine positive Grundstimmung und Gefühle von Glück entscheidend dafür sind, wie Menschen Situationen meistern. Sie stärken sogar die Abwehrkräfte.

STANDARD: Wie ist die Situation für Psychologen und Psychologinnen?

Wimmer-Puchinger: Wir bemerken einen sehr großen Bedarf an psychologischer Beratung. Der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen hat gleich zu Beginn der Krise eine Helpline für psychologische Erste Hilfe installiert. Wir verzeichnen bei den Anrufen Zuwächse in dreistelligen Bereichen. Menschen, die sich bei uns melden, erzählen von Schlafstörungen, familiären Krisen, Ängsten, Existenzängsten. Das Coronavirus wird viele psychische Wunden hinterlassen.

STANDARD: Auch langfristig?

Wimmer-Puchinger: Es gibt noch so gut wie keine gute Forschung dazu, wir haben aber Erkenntnisse aus anderen Epidemien, etwa Studien zur Vogelgrippe. Dort hat sich gezeigt, dass vor allem die Menschen in pflegenden Berufen später an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden können. Corona wird aber auch im kollektiven Gedächtnis Spuren hinterlassen. Es wird in der Erinnerung eine Zeit vor und eine nach Corona geben.

STANDARD: Wie merkt man, dass man psychologische Hilfe braucht?

Wimmer-Puchinger: Wenn die Sorgen überhandnehmen, wenn es Tunnelgedanken gibt, wenn man das Gefühl hat, es zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Oft treten auch Symptome wie Schlafstörungen, Panikreaktionen, Gereiztheit, innere Unruhe und starke Kopfschmerzen auf. Dann sollte man sich Hilfe holen. (Franziska Zoidl, 29.4.2020)