Die Erziehungsmethoden, die Roman Silberstein seinem Sohn – André Hellers Alter ego Paul (Valentin Hagg) – angedeihen ließ, sind nicht zur Nachahmung empfohlen. Als der Vater starb, waren alle erleichtert. "Immerhin hat sein Tod etwas Schönes bewirkt", sagt Karl Markovics.

Foto: ORF/Dor Film/Anjeza Cikopano

Valentin Hagg in der Rolle des fantasiebegabten Jünglings Paul Silberstein.

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Karl Markovics kennt André Heller schon lange – allerdings nur aus einer Fernbeziehung. Bei einer Schülervorstellung schaute und staunte der Oberstufen-Gymnasiast Markovics im Serapionstheater über Helmut Qualtinger und André Heller im Stück "Der Gaulschreck im Rosennetz" von Fritz Herzmanovsky-Orlando: "Komplett überwältigt" sei er gewesen, erinnert sich Markovics, dessen schauspielerische Laufbahn kurz darauf selbst im dortigen Etablissement ihren Anfang nahm ("Double & Paradise", 1982). Persönlich begegnet sind sich die beiden jedoch nie, erst für die Dreharbeiten zu "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" von Uli Brée (Drehbuch) und Rupert Henning (Regie). Der Film folgt Hellers Autobiografie, die Hauptrolle – André Hellers Alter Ego Paul Silberstein – spielt Valentin Hagg, Markovics spielt dessen exzentrischen Vater. Der Film hat am 2. Mai ORF-Premiere.

STANDARD: Roman Silberstein ist ein gesellschaftlich legitimierter Missetäter. Ihre Interpretation grenzt an eine Karikatur. Weil es gar nicht anders ging?

Markovics: Bei der Darstellung dieser Figur stand ich vor der Entscheidung, zu kapitulieren oder zu sagen, das wird eine absolute Fantasiearbeit. Für mich war klar, dass ich mich sicher nicht mit André Heller treffen und über seinen Vater sprechen würde. Das schien mir in dem Fall unnötig und im Gegenteil ungehörig. Ich versuchte die Fassade eines Menschen darzustellen, der sich in einer Art wütender Versteinerung befindet und sich mit seiner Fassade so geschützt hat, dass er fast ein zweidimensionales Wesen ist und nur in ganz wenigen Momenten so irgendwie eine Art von Verletzlichkeit in der Seele aufblitzen lässt.

STANDARD: Der Wahnsinn des Silberstein gipfelt in einem arg theatralischen Tod. Wie ist diese Szene entstanden?

Markovics: Ich habe im Detail mit Rupert Henning gar nicht über die Szene gesprochen, ich spreche grundsätzlich recht wenig mit Regisseuren über Details und habe am liebsten klare, direkte Anweisungen. Es ging darum, Roman Silbersteins Tod als eine große Operntragödie darzustellen. Das ist eine Rieseninszenierung, ein wahnsinniges Brimborium, wie sich eine Kreatur gegen ihre Auflösung stemmt, und – noch ärger – alle freuen sich.

STANDARD: Eine fürchterliche Vorstellung, wenn von einem selbst nichts anderes übrig bleibt als eine schlechte Erinnerung, nicht?

Markovics: Ja, man kann es natürlich auch als schönes Vermächtnis betrachten: Immerhin hat sein Tod etwas Schönes bewirkt.

STANDARD: André Heller ist ein interessantes Phänomen in seiner Wirkung auf die Menschen. Er entzweit ungemein: Es gibt Menschen, die ihn verehren oder total ablehnen. Kalt lässt er niemanden. Haben Sie eine Erklärung, warum das so ist?

Markovics: Wieso das so ist, weiß ich nicht. Ich kann es auf jeden Fall nachvollziehen. Es ging mir eine Zeitlang auch so. Ich glaube, es ist das Phänomen, dass er aus sich selbst eine Kunstfigur gemacht hat, die er im tiefsten Inneren ja nicht ist. Wie ein Hybrid aus sich selbst, herausgezüchtet und veredelt aus dem Stammgewächs die Kunstfigur André Heller mit seinem Impresariohaften, seinen Liedern, seinen Texten, seiner Selbstinszenierung, seinen schönen Gewändern, seiner unglaublich gestalteten Innenstadtwohnung und seinem Garten in Marrakesch. Der eigentliche Mensch-Mensch André Heller, der niemanden etwas angeht, könnte all das in Wirklichkeit von heute auf morgen auch weggeben. Er ist nicht abhängig davon, er braucht es nicht, aber er kann es, und deshalb bedient er sich all dessen. Weil er gerne spielt. Das bringt eine große Befremdung, weil man nie sicher ist: Wer ist er eigentlich? Das kann doch nicht sein, dass jemand wirklich so ist! Das ist auch nur eine Hypothese von mir, weil ich kenne André Heller ja auch überhaupt nicht. Aber wenn man sich in seiner Welt wohlfühlt, dann verehrt man ihn, hat man im Gegensatz dazu das Gefühl, dass das alles nur oberflächlich ist und dem Leben keine Tiefe gegenüberstellt, dann kann ich mir gut vorstellen, dass man den scheinbaren Menschen André Heller verachtet.

STANDARD: Ein sehr reales Drama spielt sich coronabedingt in Kunst und Kultur ab. Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger spricht vom drohenden Tod der Kultur. Besteht die Gefahr, dass die Kultur stirbt?

Markovics: Ich würde nicht so weit gehen. Die Kultur stirbt dann, wenn die Menschheit stirbt, aber es ist schon schlimm genug, wenn am Ende – und wir wissen noch nicht, wann halbwegs wieder eine Normalität eintritt – kulturelle Einrichtungen nicht mehr aufsperren werden können. Keiner von uns hat im Moment eine Vorstellung von dieser Situation. Im künstlerischen Bereich sind die Verhältnisse sowieso sehr oft prekär, viele haben kein regelmäßiges Einkommen, können also auf keine Reserven zurückgreifen, ein Kurzarbeitsmodell ist daher nicht möglich. Dann trifft es einen sehr schnell sehr hart.

STANDARD: Wie werden Sie persönlich beim Drehen mit dem Risiko der Ansteckung umgehen?

Markovics: Ich habe keine Ahnung. Das ist für mich kein akutes Problem, deshalb habe ich mir noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht. Ich glaube nicht, dass es vor einem halben Jahr so weit sein wird, dass wir so etwas wie normale Dreharbeiten haben werden. Ich habe jetzt einen Drehtag, der adaptiert wurde, und davor muss ich ins Labor und einen Corona-Test machen. Das wäre eine Szene gewesen mit 50 Komparsen in einem Veranstaltungsraum, jetzt werden wir nur zu zweit vor einem Greenscreen sein.

STANDARD: Können wir aus der Krise etwas lernen?

Markovics: Ja. Die Angebote, daraus zu lernen, sind vielfältig: was wir zum Beispiel imstande sind, auf die Beine zu stellen, wenn es hart auf hart geht. Seit Jahren hängt das Damoklesschwert der Erderwärmung über uns. Wir schieben es von einem Jahr aufs nächste, von einem Erdteil in den anderen. Wir könnten lernen, wie wir uns mehr einschränken könnten, wie wir mehr Bahn fahren und auf groteske Flugreisen verzichten. Und das betrifft nur die Umwelt.

STANDARD: Kann's besser werden?

Markovics: Ich würde es gern glauben, als Optimist glaube ich es auch, aber ich bin, wie alle Menschen, sehr ambivalent, und in dem Moment, in dem der Optimist aus mir gesprochen hat, sagt der Fatalist, es wird wie immer sein. (Doris Priesching, 28.4.2020)

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