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Die drei großen Stufen bis zu einer Impfung: Eine Vakzine finden, ihn an tausenden Menschen auf Sicherheit und Wirksamkeit prüfen und viele Millionen Dosen davon herstellen können, in jeder Phase kann es "zurück zum Start heißen".

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Die Geschichte des Erregers beginnt im Grunde genommen am 12. Jänner 2020, jenem Tag, an dem chinesische Wissenschafter die ersten Informationen zum neu entdeckten Coronavirus publizierten. Konkret veröffentlichten sie die RNA des neuen Virus, die Auskunft über die Zusammensetzung der Proteine von Sars-CoV-2 gibt. Für einen Biochemiker entscheidend sind die Eiweiße, die sich aus diesen Zahlenreihen herauslesen lassen und die Experten Auskunft darüber geben, wie sich dieses Virus verhält.

"Jedes Unternehmen, das sich irgendwie mit Impfungen beschäftigt, will die Immunantwort bei Sars-CoV-2 im Menschen verstehen", bringt es Rainer Henning, Geschäftsführer des österreichischen Unternehmens Viravaxx, auf den Punkt. Auch an der Med-Uni Wien laufen Projekte. "Weltweit wird an 79 Impfungen zur Bekämpfung von Covid-19 gearbeitet", so Claudia Wild, Leiterin des Austrian Institute for Health Technology Assessment, die sich einen Überblick über die globalen Projekte verschafft hat.

Antikörper haben

Zwar geht es beim Herstellen von Impfungen immer um das gleiche Ziel: Antikörper gegen den Krankheitserreger zu erzeugen – und zwar ohne dass Geimpfte dabei die Erkrankung durchmachen müssen. Doch das Problem dabei ist: Die RNA des eben neu entdeckten Virus enthält viele hunderte unterschiedliche Eiweiße. Momentan sitzen Legionen von Forschern in Laboren an ihren Computern, um zu verstehen, wie die natürliche Immunantwort bei Infizierten aussieht, wie nachhaltig sie ist und welche der hunderten Schaltstellen in der RNA von Sars-CoV-2 dafür verantwortlich sein könnten. Ingenieure, Physiker, Chemiker, Biologen, Biochemiker – die gesamte Naturwissenschaft und ihre geballte Expertise sind dabei gefordert.

Eines der vielen zentralen Themen: das Andocken des Coronavirus an jenen Zellen des Körpers, die über ACE-2-Rezeptoren verfügen. "Die Eigenschaften an der Oberfläche des Virus sind dafür entscheidend", sagt Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller. Bildlich gesprochen sei jede der hunderten Stacheln des Virus ein Art Knopf. "Es geht darum, herauszufinden, welche Knöpfe man drücken muss, um eine Immunantwort zu bekommen", sagt sie. Impfstoffforscher Rainer Henning präzisiert: "Aktuell arbeiten viele mit der gesamten Oberfläche des Virus, andere versuchen, die für die Impfreaktion bedeutenden Abschnitte vorab herauszufinden."

Das Immunsystem besteht aus vielen unterschiedlichen Zelltruppen, die es da zu berücksichtigen gilt. Und essenziell sei, dass eine Immunantwort weder zu schwach sein darf, weil sie dann eben nicht schützt, noch dürfe sie eine zu starke oder falsche Reaktion auslösen, umreißt Henning den Balanceakt. Eine der größten Sorgen aller Wissenschafter ist es, eine "antibody-enhanced disease" auszulösen, eine Reaktion, bei der die neu entstandenen Antikörper dem Erreger den Eintritt in die Zellen erleichtern und die Covid-19-Erkrankung dadurch verschlimmern würden. "Die ACE-2-Rezeptoren, an denen das Coronavirus andockt, haben auch etwas mit der Blutdruckregulation zu tun", nennt Henning eine Hürde, auf die es besonders zu achten gilt, weil es alle betrifft.

Virus simulieren

In der jetzigen Phase der Impfstoffentwicklung sind die Wissenschafter dabei, das Virus genauer kennenzulernen. Viele sitzen an Bildschirmen, auf denen bunte Spiralen als 3D-Darstellung verschoben werden, um zu erkunden, wo das Anheften zwischen Virus und Körperzelle klappen könnte. Gleichzeitig laufen Untersuchungsreihen mit dem Virus im Labor. Man analysiert, definiert, überprüft und versucht Erkenntnisse zu sichern, indem man sie reproduzierbar macht.

"Alle sind in der Anfangsphase", betont der Wiener Infektiologe Herwig Kollaritsch, der auch Mitglied im Beraterstab der Bundesregierung ist. Seine schlechte Nachricht: "Ein Drittel derer, die die natürliche Infektion durchgemacht haben, hat kaum Antikörper, zeigen die neuesten Studien." Zudem wisse man von anderen Coronaviren, dass sie im Körper nur eine Immunität von circa sechs Monaten bis drei Jahren hervorrufen. "Große Hürden für Impfstoffhersteller", sagt er und vermutet, dass man erst in der letzten Phase der klinischen Studien, in die sehr viele Menschen eingebunden sind, herausfinden wird, wie sich die unterschiedlichen Ansätze der Impfstoffhersteller bewähren. Zudem müsse man vor allem auch auf die Hochrisikogruppen, für die die Impfung schließlich am wichtigsten wäre, Rücksicht nehmen. "Eine Riesenherausforderung, es gibt viele Hürden, an denen Impfungen scheitern könnten", so Kollaritsch.

Seine guten Nachrichten: Mit Coronaviren hat die Forschung durch Sars und Mers bereits Erfahrung, auf denen man aufbauen kann, und das passiert auch gerade. Die ersten klinischen Studien laufen analog zu Mers-Viren. Zudem, so Kollaritsch, gebe es mit den brandneuen mRNA-Technologien vollkommen neuartige Impfentwicklungsansätze, mit denen sich, hat man erst einmal einen soliden, sicheren und wirksamen Kandidaten gefunden, vergleichsweise schnell auch große Mengen des Impfstoffes produzieren lassen. "Das Rennen ist vollkommen offen", so Kollaritsch, der mit einer Impfung allerfrühestens in 18 Monaten rechnet. "Wenig hilfreich wäre eine Impfung, die vor allem bei den Risikogruppen nicht hilft oder sogar krank macht", sagt er. Nachsatz: "Oder nur eine sehr kurz anhaltende Immunität erzeugt."

Produzieren können

Immunologischer Impfansatz, Wirkung und Herstellungsverfahren: In der Pandemie wird an vielen Fronten parallel gearbeitet. "Es wird vermutlich mehrere Hersteller geben", sagt Renée Gallo-Daniel – ein Hersteller allein könne den Bedarf der gesamten Welt ohnehin nicht decken. Europa habe in der Impfstoffentwicklung eine führende Rolle, 76 Prozent des gesamten Impfstoffbedarfs weltweit kommen aus der EU. Indes werden auch Forderungen der Impfallianz Gavi laut. Ihr Geschäftsführer Seth Berkley regte an, die zukünftige Impfung zum Gemeingut zu erklären. Vielleicht, so vermutet Kollaritsch, werde die Impfung neben den ebenfalls in Entwicklung befindlichen Medikamenten auch lediglich ein Baustein für eine sich langsam erweiternde Herdenimmunität sein. Auch das sei ein mögliches Szenario. Die Erkenntnisse an sämtlichen Fronten der Corona-Krise werden in den nächsten Monaten weichenstellend sein. Übrigens: Die Entwicklung einer Impfung dauerte vor der Corona-Krise acht bis 15 Jahre, die spannende Frage ist, um wie viel schneller dieser Prozess für das erst 2020 entdeckte Sars-CoV-2 sein wird. (Karin Pollack, 28.4.2020)