"2018 darf sich nicht wiederholen", sagte der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer im vergangenen Sommer. Scheuer beugte sich damals dem Druck aus der deutschen Wirtschaft und versprach einen Aktionsplan gegen das Niedrigwasser am Rhein. Aufgrund massiv ausfallenden Regens zwischen Juni und Dezember 2018 führte die Lebensader der Deutschen teils die niedrigsten Pegelstände seit Aufzeichnungsbeginn. Es solle deshalb bessere Pegelprognosen und dank der Umschiffung langwieriger Genehmigungsverfahren auch einen schnelleren Ausbau der Fahrrinnen geben. Die wenigsten rechneten damit, dass dies schon heuer nötig wäre. 2018 droht sich nämlich schon 2020 zu wiederholen, warnen einige Forscher aufgrund der ausgebliebenen Niederschläge der vergangenen Wochen.

Dem Rhein fehlt immer öfter Wasser für die Schifffahrt.
Foto: imago images/Kosecki

Lediglich rund fünf Prozent des durchschnittlichen April-Regens ergossen sich bisher über Deutschland. Es könnte der trockenste April seit 1881 werden. Wenn im Mai keine normalen Mengen an Regen kommen, müsse man sich auf eine ernste Trockenperiode einstellen, warnt etwa Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterservice im Gespräch mit "Bloomberg". Schon heute liegt der Pegel an der kritischsten Stelle des 1.233 Kilometer langen Stroms – im deutschen Kaub – mit 1,15 Meter nicht einmal mehr bei der Hälfte seiner durchschnittlichen Höhe. Ende Oktober 2018 fiel der Rhein dort einst auf lediglich 25 Zentimeter. "Da ging endgültig nichts mehr", erinnert sich ein deutscher Frachtunternehmer im Gespräch mit der "Zeit".

Faktor Klimaschutz

Noch ist man von derart desaströsen Pegelständen deutlich entfernt, doch der Sommer mit seinen heißen Monaten und der damit einhergehenden Verdampfung steht erst bevor. Damals verendeten viele Tiere und auch Pflanzen konnten den Wasserrückgang nicht verschmerzen. Außerdem hat der fortschreitende Klimawandel längst zu erschwerenden Folgen geführt. So haben die Temperaturen von über 25 Grad Celsius in den Schweizer Alpen im vergangenen Sommer etwa die Gletscher nachhaltig geschädigt, deren Schmelzwasser normalerweise den Zufluss zum Strom kontinuierlich speist. Auch die Schneereserven, die früher bis in die Hochsommermonate hielten, würden zusehends früher und abrupt abhandenkommen, was groteskerweise neben den drohenden Trockenperioden zu mehr Überschwemmungen führen könnte.

2018 war ein Negativrekord. Wiederholt sich die Geschichte schon zwei Jahre später?
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Neben Klimaschutzaktivisten sind es ausgerechnet die Vertreter der klimaschädlichen Schwerindustrie, die am meisten auf die Niedrigpegel aufmerksam machen. So leiden etwa der niederländische Ölgigant Shell, der deutsche Stahl- und Industriekonzern Thyssen Krupp oder der Chemieriese BASF unter den Folgen, weil der Fluss nicht länger manövrierbar ist und dadurch Lieferengpässe drohen. Wie schon 2018 droht dadurch etwa Tankstellenbenzin teurer zu werden, auch wenn der globale Preis für Öl gerade erst eingebrochen ist.

Lebensader

Elf Prozent aller deutschen Güter werden per Binnenschiff transportiert, zehn Prozent der Importe kommen über den Rhein nach Deutschland, und mehr als zwei Drittel der gesamten Menge an verschifften Gütern innerhalb der EU werden auf dem Rhein transportiert. Er ist die unumstrittene Lebensader der europäischen Binnenschifffahrt, 2018 war sie monatelang teils unterbrochen.

Die Frächter reagieren freilich auf den Umstand. Zu oft können sie nur einen Bruchteil ihrer normalen Tonnage verschiffen, was mit Vervielfachungen des Preises einhergeht. Denn auch die Durchfahrtskosten erhöhen sich bei niedrigen Pegelständen teils massiv. Kleinere Schiffe mit weniger Tiefgang erfreuen sich deshalb wieder größerer Beliebtheit. Sie sind teurer, aber krisensicherer. Und auch die Politik reagiert und investiert dreistellige Millionenbeträge in die komplexe künstliche Vertiefung der Flussbetten – schließlich gilt das Wasser zu manch anderen Alternativen immer noch als relativ umweltfreundliche sowie kostengünstige Option. Die Eingriffe in das Ökosysteme des Flusses sind aber komplex und bedürfen daher ausgeklügelter Simulationen. Teile des Rheins gelten zudem als Unesco-Welterbe und erschweren Eingriffe immens.

Ist 2020 aber eine zufällig auftretende, sich zu rasch wiederholende Ausnahmeerscheinung oder doch die Folge eines langwierigen Prozesses namens Klimaerhitzung? Die Beweislage, ob hinter dem ausbleibenden Regen tatsächlich der Klimawandel steht, ist (noch) weniger erdrückend, als im Falle des Temperaturanstiegs. Während einige Forscher höchstens von moderaten klimatischen Auswirkungen für das Rheintal in den nächsten fünf Jahrzehnten sprechen, sprechen andere aber längst von einer klaren Tendenz zu trockeneren Sommern. Die überwiegende Mehrheit geht mittlerweile jedenfalls davon aus, dass der Klimawandel direkt auch Folgen für den jährlichen Niederschlag hat und 2018 sich noch sehr oft wiederholen wird in den kommenden Jahrzehnten. (Fabian Sommavilla, 28.4.2020)