Ein Poproman aus einer nicht so coolen deutschen Stadt im Osten: Paula Irmschler schreibt über das Leben und Frausein in Chemnitz.

Foto: Paula Irmschler

Zu den deutschen Sehnsuchtsorten junger Menschen zählt die ehemalige Karl-Marx-Stadt, die sich heute wieder Chemnitz nennt, sicher nicht. Abgesehen von der klobigen Karl-Marx-Büste im Zentrum, Deutschlands angeblich höchstem Heizkraftwerkschornstein und grausigen Nazi-Ausschreitungen bietet die nach Leipzig und Dresden drittgrößte sächsische Metropole eigentlich nur Studienmöglichkeiten ohne Numerus clausus und billige Mieten.

Kurz – niemand, der seine sieben Zwetschken halbwegs beieinander hat, will dort freiwillig hinziehen. Es gibt ja nicht einmal eine ordentliche Clubkultur. Sprich, amtliche Ausschweifungen sind zwar möglich, muss ja. Sie sind aber von der Infrastruktur her nicht vorgesehen.

Ordentlich was wegkiffen und -saufen

Weil sich die Protagonistin, das Hartz-IV-Kind "Gisela", ein Studium und ein WG-Zimmer in coolen Städten wie Berlin oder Hamburg nicht leisten kann, zieht sie von ihrer Heimatstadt Dresden nach einem in jeder Hinsicht frustrierenden Zwischenstopp in der deutschen Hauptstadt ins Nirgendwo der urbanen Einöde. Dort gibt es nach dem Dunkelwerden zwar marodierende Glatzen, aber zur Beruhigung der Nerven nicht einmal die beim Lumpenproletariat speziell in Berlin so beliebten "Spätis". Das sind kleine Supermärkte, in denen man sich auch spätabends noch Alkohol, Zigaretten und schrottiges Fastfood kaufen kann. Dafür wird in Chemnitz ordentlich etwas weggekifft und -gesoffen und nächtens in Wohnungen mächtig viel weggelabert.

Die deutsche Autorin Paula Irmschler schickt den Leser in ihrem marketingtechnisch klug betitelten Debütroman Superbusen nicht nur auf Entdeckungsreise in eine Weltgegend, in der nicht einmal ein Schnellzug hält. Auch der alte Gegensatz zwischen Ost und West scheint nach mehr als drei Jahrzehnten noch längst nicht aufgehoben.

Durchwurschteln und Weitermachen

Paula Irmschlers autobiografisch möglicherweise kräftig angehauchtes Werk Superbusen setzt dabei nicht etwa auf die coole Nachbearbeitung einer alles andere als coolen Zeit als Twen und Vertreterin des Prekariats während der Zehnerjahre. Und auch das Scheitern von Lebensträumen an diversen äußeren Gegebenheiten wie finanzieller Misere, kombiniert mit einer starken Unlust, in dieser Not kreative Auswege zu suchen, ist schier übermächtig. Mit diesem als "Poproman 2.0" gehandelten, 320-seitigen Dokument eines Durchwurschtelns und Weitermachens haben wir die gut 20 Jahre alte deutsche Popliteratur männlicher Prägung aber wohl endlich ein Stück weit hinter uns gelassen.

Paula Irmschler, die nach einem erfolglosen Studium der Politikwissenschaften lange Zeit als Garderobiere in Clubs arbeitete, für deutsche Zeitschriften wie Jungle World, Musikexpress, Missy Magazine oder Neues Deutschland geschrieben hat und schreibt und nun als Redakteurin für Titanic tätig ist, ist es mit Superbusen gelungen, den Begriff "cool" so weit wie möglich aus ihrem Roman zu entfernen.

Schlechter Sex und dumme Typen

Im Gegensatz zu männlichen Kollegen, die die Vorstellung einer Coming-of-Age-Geschichte der eigenen Jugend und Jungmännerjahre meist "selbstironisch" anlegen, ohne dabei das Gesicht verlieren zu wollen und dafür lieber aktuell ihr Leben mit den Beatles oder Nick Cave erzählen, schreibt Irmschler in schöner, klarer und von unnötigen Modewörtern befreiter Sprache über schlechte Partys, Regelbeschwerden, schlechte Antifa-Demos, dumme Typen und schlechten Sex eines: Sie schreibt Klartext. Schlechter Sex, bei dem Männer einzig ihre Pornofilm-Skills durchexerzieren wollen, ist und bleibt zum Beispiel schlechter Sex. Aus dem lernt man gar nichts. Punkt.

Nutz meinen Freiraum, Baby

In der WG wird dann aus Jux und Tollerei und der Freude am reinen Dilettantismus die feministische Radauband Superbusen gegründet. Allerdings kommen dann wegen des tollen Namens auch nicht mehr Leute zu den Konzerten. Unter dem Eindruck der Jugendidole, der Berliner Band Ärzte, entstandene Songs wie Nutz meinen Freiraum, Baby erklären Superbusen aber zumindest zum moralischen Sieger.

Musik, auch das ist wichtig in diesem Roman für junge Leute von heute, besitzt tröstende und stärkende Kraft. Das müssen natürlich keine coolen Lieder sein. Irgendwas von Britney Spears, Ronan Keating oder den Backstreet Boys tut es auch. (28.4.2020)