Als der britische Premier Harold Macmillan (1894– 1986) einmal von einem jungen Politiker gefragt wurde, was denn das Schwierigste beim Regieren sei, antwortete er: "Die Events, my dear boy, die man auch mit der größten Mehrheit nicht voraussagen, und nicht kontrollieren kann." Dieser Satz gilt auch heute bei der Epidemie, deren Umfang länderspezifisch ebenso unterschiedlich eingeschätzt wird wie die Wirkung von Maßnahmen unter sich täglich ändernden Rahmenbedingungen.

Der Basler Historiker Jacob Burckhardt schrieb in seinen "Weltgeschichtlichen Betrachtungen": "Wenn zwei Krisen sich kreuzen, so frisst momentan die stärkere die schwächere auf." Für die Gratwanderung zwischen dem Umgang mit der Pandemie und der Gefahr des wirtschaftlichen Absturzes gibt es natürlich kein Rezept. Diktatoren wie Alexander Lukaschenko in Weißrussland oder Gurbanguly Berdimuhamedow, der Alleinherrscher Turkmenistans, leugnen überhaupt das Coronavirus. Andere Autokraten wie Wladimir Putin und Xi Jinping betreiben eine dosierte Informationspolitik durch ihre Staatsmedien.

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Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Foto: AP/Michael Kappeler

In den liberalen Demokratien mit Mehrparteiensystem und freien Medien geht es den Regierungen um die Kunst, in einer Atmosphäre der Angst und Unsicherheit der Bürger die jeweils richtige Balance zwischen dem Schutz der Gesundheit und der Rettung der Wirtschaft zu finden. In Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Spanien und erst recht die USA haben die verspäteten und widersprüchlichen Handlungen der Regierenden das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates erschüttert.

Dass Deutschland, wo noch vor einem halben Jahr 58 Prozent der Befragten die Koalitionsregierung als schwach empfunden haben, heute für viele als Musterbeispiel für ein bisher erfolgreiches Corona-Krisenmanagement gilt, beweist wieder einmal, wie wichtig der Mut und die Verantwortungsbereitschaft der handelnden Personen in einer außerordentlichen Situation sind. Der bedeutende deutsche Historiker Hans Mommsen prägte den Ausdruck vom "echten demokratischen Charisma", das sich nicht an die "niederen Instinkte und emotionalen Triebe der Massen" wendet, sondern "die positive Wertverwirklichung im Dienste der Gesamtheit zum Ziel setzt". In diesem Sinne kann man im fünfzehnten Jahr ihrer Kanzlerschaft von der (wiedergefundenen) Führungsstärke der Angela Merkel sprechen.

Mit dem Mut zu klaren Worten in ihren drei Reden während der Krise über "das zerbrechliche Zwischenergebnis", die "demokratische Zumutung" durch die Einschränkung der Grundrechte und die Bewegung auf "dünnstem Eis" trug sie entscheidend zur Wiedergewinnung des Vertrauens der Menschen in die politische Stabilität des Staates bei. Nach ihrer Aufgabe des CDU-Vorsitzes 2018 spottete der "Spiegel" über eine "Merkel-Müdigkeit". Laut dem letzten ZDF-Politbarometer sind 83 Prozent der Befragten mit der Bundeskanzlerin zufrieden und finden 90 Prozent die Arbeit der Koalitionsregierung gut. Die promovierte Physikerin steht für eine weltoffene Führungsstärke und kluge Vorsicht. Was nach Merkel kommt, ist völlig ungewiss. Auch wir werden sie vermissen. (Paul Lendvai, 28.4.2020)