Große Vereine wie der Alpenverein können ihre Mitgliederversammlung virtuell durchführen. Kleinere können sie auch auf 2021 verschieben.

Foto: Alpenverein / Norbert Lang

Je länger der derzeitige "Zustand" dauert und je absehbarer ist, dass ein Ende nicht absehbar ist, desto drängender stellen sich vielen Vereinen zwei wesentliche Fragen: Müssen wir, können wir, dürfen wir in diesem Jahr unsere Mitgliederversammlung abhalten, und müssen wir unseren Vorstand, dessen Funktionsperiode abläuft, neu wählen?

Das Justizministerium war in den vergangenen Wochen keineswegs untätig. Der erste Schritt war, auch jenen Vereinen, deren Statuten dies nicht vorsehen, die Möglichkeit zu eröffnen, Versammlungen von Vereinsorganen (sei dies nun die Mitgliederversammlung, das Leitungsorgan oder welches Organ auch immer) auf eine andere Art als in Form einer physischen Zusammenkunft stattfinden zu lassen – Voraussetzung: die Gleichwertigkeit dieser anderen Form mit einer physischen Versammlung beziehungsweise Willensbildung.

In weiterer Folge hat das Ministerium sehr detailliert dargestellt, wie es sich so eine Gleichwertigkeit vorstellt. (Diese Details findet man hier.) Ist die virtuelle Durchführung der Mitgliederversammlung nicht möglich oder zweckmäßig, kann man sich auch auf eine schriftliche Abstimmung beschränken, auch dafür gibt das Ministerium detaillierte Regelungen vor.

Hybrid-Versammlungen möglich

Solange darauf geachtet wird, dass diese anderen Formen der Willensbildung einer physischen Versammlung gleichwertig sind, sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Man kann auch mehrere Formen miteinander verbinden, das nennt man dann eine Hybrid-Versammlung, etwa so: Die ersten 50, die sich zur physischen Versammlung anmelden, dürfen (mit Mindestabstand und Masken) persönlich erscheinen, für die anderen steht eine Videokonferenz zur Verfügung, und andere wieder können sich an der Wahl per Brief beteiligen.

Es gibt genug Gründe, warum ein Verein trotz all dieser Möglichkeiten unter den gegebenen Umständen eine Mitgliederversammlung einfach nicht schafft. Auch kein Problem, steht doch am Dienstag auf der Tagesordnung des Nationalrats die Beschlussfassung des 8. Covid-19-Gesetzes, das unter anderem Folgendes normiert: "Abweichend von § 5 Abs. 2 erster Satz VerG kann eine Versammlung, an der mehr als 50 Personen teilnahmeberechtigt sind, bis zum Jahresende 2021 verschoben werden." (Das Vereinsgesetz verlangt in § 5 Abs 2, dass die Mitgliederversammlung zumindest alle fünf Jahre stattfinden muss. Nicht wenige Statuten sehen kürzere Intervalle vor.)

Mit anderen Worten: Größere Vereine brauchen sich keine Sorgen machen, sie dürfen selbst dann, wenn sie laut Statuten noch dieses Jahr eine Mitgliederversammlung abhalten müssten, diese auf 2021 verschieben. Der Gesetzgeber vollzieht also nach, dass Mitgliederversammlungen bei physischer Anwesenheit der Mitglieder derzeit nur schwer durchführbar sind. Abgesehen von der Frage der Anreise zum Versammlungsort kann die Abstandsregel ab einer gewissen Mitgliederanzahl in geschlossenen Räumen kaum eingehalten werden. Viele Vereine, die die Mitgliederversammlung sonst in ihren eigenen Räumlichkeiten oder in Gaststätten abhalten, wären zur Anmietung eines riesigen Saales (und aufgrund der Saalgröße auch gleich einer Tonanlage) gezwungen.

Damoklesschwert der Auflösung

Aber: All diese Sonderregelungen betreffen nicht den Ablauf der Funktionsperioden von Vereinsorganen. Geht die Funktionsperiode eines Vorstands zu Ende, so muss neu gewählt werden, sonst steht der Verein ohne Vorstand da. Und das fällt der Vereinsbehörde irgendwann auf, und sie wird – bei allem Verständnis für die schwierige Situation – den Verein auffordern, sich einen Vorstand zu wählen, da letztlich über einem Verein ohne Vorstand das Damoklesschwert der Auflösung schwebt. Sollte der Vorstand schon "abgelaufen" sein, so kann (und muss) er trotzdem noch die Neuwahl organisieren.

Eine Minderheit von zehn Prozent der Mitglieder hat bekanntlich das Recht, die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu verlangen. Auch an diesem Recht ändert die Sondergesetzgebung nichts. Der Vorstand wird in einem solchen Fall nicht auf die oben dargestellte Neuregelung verweisen können, sondern wird nur dann auf einer Verschiebung ins nächste Jahr beharren dürfen, wenn weder eine Präsenzversammlung noch eine virtuelle Versammlung (oder die Kombination beider) möglich sind, weil einerseits aus Platz- und Hygienegründen und andererseits mangels technischer Ausstattung (beziehungsweise entsprechender Fertigkeiten) eines Teils der Mitglieder nicht gewährleistet werden könnte, dass wirklich alle teilnehmen.

Die Möglichkeiten der Einforderung einer Mitgliederversammlung, die die Mitglieder haben, sind ohnedies – so die Statuten nichts Besseres vorsehen – äußerst beschränkt: Ein unzufriedenes Mitglied kann das Schiedsgericht anrufen, und dieses kann auch nur dem Vorstand auftragen, eine Mitgliederversammlung einzuberufen. Und da ihm dafür bis zu sechs Monate zur Verfügung stehen, landet man damit ohnehin schon im Jahr 2021. (Thomas Höhne, 28.4.2020)