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Normalerweise bezieht Horror seine Wirkung daraus, einen mehr oder weniger beschaulichen Alltag zu schildern, in den dann das Monströse eindringt. In Hunter Sheas "Die Kreatur" hingegen kommt es – zunächst! ZUNÄCHST! – fast wie eine Erleichterung, wenn dieses Monströse endlich in Erscheinung tritt, so entsetzlich ist bereits der Alltag.

Martyrium

Denn die Hauptfigur des Romans, Kate Woodson, ist unheilbar krank. Sie leidet an der Autoimmunerkrankung Lupus und dazu nach am seltenen Ehlers-Danlos-Syndrom, das immer wieder ihre Gelenke aus den Pfannen springen lässt. Mit einer Unzahl von Medikamenten muss Kate ihre ständigen Schmerzen bekämpfen, doch manchmal ist die Therapie fast so schlimm wie die Krankheit selbst. So bestand Kates jüngste Behandlung aus einer Reihe von Injektionen in die Wirbelsäule, die ihr das Gefühl geben, mit Mikrowellen gegrillt zu werden.

Von Kates Martyrium zu lesen, ist mitunter schwer erträglich. US-Autor Hunter Shea hat hier persönliche Erfahrungen eingebracht, was seinen Schilderungen auch – in jeder Beziehung – spürbare Authentizität verleiht. "Die Kreatur" ist meines Wissens Sheas erster ins Deutsche übersetzte Roman und geht auch eine Ebene tiefer als ein paar Romane mit eher konventionellen Monstern, die er davor schon geschrieben hatte.

Urlaubshorror ohne helfenden Ombudsmann

Um einmal noch zusammen eine schöne Zeit zu erleben, trotzt Kates Ehemann Andrew seiner Firma einen dreimonatigen Urlaub ab, den er mit Kate in einer Sommerhütte an einem abgelegenen See verbringen will. (In Stephen Kings Leib- und Magenstaat Maine übrigens, da schwant einem schon automatisch Übles ...) Die erhoffte Entspannung kehrt jedoch nicht ein: Kates Schmerzen gehen ungebremst weiter und verderben den beiden einen Plan nach dem anderen.

Und dann kommt noch etwas gänzlich Ungeahntes hinzu. Erst hört es sich nur wie ein Tier an, das nachts um die Hütte streift. Dann entdecken sie Krallenspuren, Andrews Auto wird vandalisiert und das Haus mit Steinen beworfen. Und ehe sich's die beiden versehen, finden sie sich in einem Belagerungszustand und mitten im Grauen wieder.

An der Grenze

Mit über 450 Seiten ist der Roman eigentlich ein ziemlicher Brocken für eine derart minimalistische Konstellation, wie sie hier vorliegt. Was aber keineswegs heißen soll, dass sich "Die Kreatur" überdehnt anfühlen würde. Wie einige King-Romane (etwa "Stark – The Dark Half") schleicht der Roman geschickt an der Grenze zwischen psychologischem Horror und dem explizit Monströsen entlang.

Denn das Verhältnis zwischen Kate und Andrew birgt einige Brisanz: Die beiden haben zwar einer Art Galgenhumor-Modus entwickelt, wie sie mit Kates Krankheit umgehen. Und Andrew kümmert sich aufopferungsvoll um seine Frau. Doch die extreme Belastung, unter der die beiden stehen, führt unweigerlich auch zu Aggressionen. Bei Andrew entladen sie sich vorwiegend an Fremden, aber unterschwellig wachsen sie auch gegenüber seiner innig geliebten Frau.

Damit ist Andrew auch einer der Kandidaten dafür, wer die monströse Kreatur des Titels sein könnte. Denn so klar ist das nicht. Es könnte damit ebenso gut die Krankheit gemeint sein – oder gar Kate selbst, die durch diese auf ein kaum noch menschliches Minimum an Lebenswürde zurückgeworfen wurde. Oder es ist eben doch ein waschechtes Monster mit Zähnen und Klauen – der Auflösung dieser Frage fiebert man im Verlauf der Seiten immer mehr entgegen.

Handle with care

Ein Blurb auf der Rückseite des Einbands spricht von einem grandios bösen Ende. So ganz passend scheint mir die Formulierung nicht, spielt sie doch auf das Vergnügen am Entsetzen an, wie man es vielleicht bei William Meikles "Operation Arktis" in der vergangenen Rundschau oder Moe Teratos' "Weltenbruch" in dieser empfinden mag. Ein Vergnügen ist "Die Kreatur" aber sicher nicht, sondern ein intensiver Trip ins Dunkel.