Vergangene Woche ging die Videobotschaft einer Mutter aus Israel viral. Eine Mutter, die genauso gut aus Österreich, Deutschland oder Frankreich kommen könnte. Sie hat vier Kinder, die zurzeit nicht in die Schule gehen können. Zusätzlich arbeitet sie von zu Hause aus. Die Kinder sind nicht motiviert. Umso mehr scheinen die Lehrerinnen und Lehrer motiviert zu sein. Es wird zu viel Stoff aufgegeben der auch noch die Fähigkeiten der Kinder übersteigt. Die meisten Kommentare zu dieser Botschaft bestätigen die, meines Erachtens, zu Recht verzweifelte Mutter.

Es folgten und folgen neue Beiträge zu dem Thema "allgemeine Überforderung". Ich selbst muss auch gestehen, dass ich zu Beginn Arbeitsblätter zusammengestellt habe, bei denen ich die Realität ausgeblendet habe. Aufgefallen ist mir das ziemlich schnell. Ich habe mich hingesetzt, die Aufgaben durchgerechnet und so zu Papier gebracht, wie das von den Schülerinnen und Schülern erwartet wird. Also, ordentlich, übersichtlich, bunt. Meine Konsequenz daraus? Reduzieren, kürzen, nochmals rechnen, nochmals kürzen. Ich nehme an, dass viele Kolleginnen und Kollegen ähnlich agieren.

Lehrerinnen und Lehrer unter Druck

Dazu kommt, dass sich in mir eine Übersättigung breit macht. Die Vielzahl der neuen Lernplattformen sprengt meine Aufnahmebereitschaft. Außerdem schwingt bei mir permanent der Gedanke mit, ob es ausschließlich die Vermittlung des Lernstoffs ist, das unsere Schülerinnen und Schüler zurzeit brauchen. Ich frage mich auch, warum wir Lehrkräfte so unter Strom stehen. Warum wir es nicht schaffen zwei Gänge zurückzuschalten? Woher kommt dieser Druck, allen beweisen zu müssen, dass wir gute Arbeit leisten?

Coronaferien

Mitte März, kurz vor dem Lockdown, hatte sich eine der Fast-Gratis- Zeitungen den Headliner "Coronaferien" ausgesucht. Der Begriff Ferien löst in die vielen Köpfen bestimmte Assoziationsketten aus. Ferien – Lehrkräfte – arbeiten wenig – verdienen zu viel. Dass zu diesem Zeitpunkt niemand in Ferienstimmung war, konnte ich dem Autor oder der Autorin der Schlagzeilen leider nicht mitteilen. Denn bevor ich dazukam, überschlugen sich in der Schule die Ereignisse.

Wenn wir jetzt, einmal abgesehen von den Journaldiensten, zuhause sitzen, dann stehen wir tatsächlich unter dem Beweiszwang der Welt zu zeigen, dass wir enorm viel arbeiten und keine Ferien machen. Keiner von uns Lehrerinnen und Lehrern hat nämlich Lust, in diesen trüben Zeiten an den Pranger gestellt zu werden. Denn es sind keine Ferien und wir machen auch keine Ferien.

Was ich gerne machen würde

Würde ich meinen Instinkten folgen, dann wäre ich vermutlich eine von diesen, die gar keine Aufgaben mehr an die Schülerinnen und Schüler verschickt. Deren Welt steht ohnehin, so wie unsere, Kopf. Niemand weiß, wie es weitergehen wird. Es ist auch egal, ob wir jetzt Anfang oder Ende Mai starten. Wir werden nicht sang- und klanglos dort weitermachen können, wo wir Mitte März aufgehört haben. Wir müssen damit rechnen, dass wir den Schülerinnen und Schülern helfen müssen, die letzten Wochen zu verdauen. Lernstoff, Prüfungen, Tests und Schularbeiten werden in diesem Zusammenhang zweitrangig sein.

Okay, ich ziehe das zurück. Klar will ich meinen Schülerinnen und Schülern ganz viel schicken und anbieten. In erster Linie Tanz-, Theater- oder andere Angebote. Ich möchte Videokonferenzen machen, in denen wir lachen und Spaß miteinander haben. Vielleicht würde ich ihnen sogar raten die Schulsachen in die Ecke zu legen und durchzuatmen.

Meine Ängste

Allerdings schwingt bei mir die Angst mit, dass sich Eltern oder Kolleginnen und Kollegen beschweren könnten. Zum Beispiel, dass ich zu wenig von den Schülerinnen und Schülern verlange und nicht arbeiten will. Dass ich die Klasse Ferien machen lasse. Dass ich kein Interesse an ihrem Fortkommen habe.

Dennoch trage ich seit Tagen den Gedanken herum, alle Ressentiments über Bord zu werfen und meine Ideen zu verwirklichen. Ich glaube nicht, dass ein Kind in den nächsten Wochen Rechnen oder Schreiben verlernt. Und sollte das der Fall sein, dann bringe ich es ihnen wieder bei. Denn das ist schließlich meine Aufgabe. (Monika H., 29.4.2020)

Monika H.* (Pseudonym, Name der Redaktion bekannt) ist 57 und unterrichtet an einer NMS in Wien.

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