In Wirklichkeit wollte ich diesmal eine ganz andere Geschichte erzählen. Eine über neue Laufschuhe – und über die Suche nach dem perfekten Schuh per se. (Den es, das nur kurz, in dieser Form nicht gibt, weil jeder Fuß und jeder Läufer und jede Läuferin anders ist.)

Aber diese Geschichte kann noch ein bisserl warten.

Denn ich will noch einmal in die gleiche Kerbe schlagen wie in den vergangenen Wochen. Weil es hier um Hoffnung geht. Ums Muthaben und Nichtaufgeben. Weder sich selbst noch den Glauben daran, dass das Leben immer schön sein kann und auch schön ist. Um den Fokus darauf, dass Verzweiflung und Resignation auch Einstellungssache sind und im eigenen Kopf beginnen.

Foto: Tom Rottenberg

Denn es geht darum, dass scheinbar blöde Sätze wie "Aufstehen, Krone zurechtrücken, weiterlaufen" auch nach innen funktionieren. Auch wenn es manchmal nicht danach aussieht. Wenn man in der physischen Beinahe-Einzelhaft mitten in einer Millionenstadt manchmal tagelang nur einen Gedanken hat: "Wann hört der Albtraum endlich auf?" Tut er nicht. Nicht wirklich und nicht ganz.

Aber ob man "Paint it Black" oder "Let the Sunshine in" in Dauerschleife spielt, macht eben einen Unterschied.

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Genau deshalb möchte ich über Herrn Lee erzählen. Weil der wieder da ist. Und das wichtig ist. Mir zumindest. Obwohl ich noch nie bei seinen Morgen-Tai-Chi-Übungen mitgemacht habe. Aber als ich letzte Woche auf meiner Morgenrunde durch den Volksgarten kam, war da das gewohnte Bild. Vor dem Theseustempel. So wie seit gefühlt immer, jeden Tag und bei jedem Wetter. Für alle, die eben auch da sind – und mitmachen wollen.

Das ist auf den ersten Blick vollkommen wurscht – aber eben nur auf den ersten. Denn Herr Lee (ich weiß nicht einmal, ob er wirklich so heißt) ist ein Symbol. Für Kontinuität. Für Verlässlichkeit. Für den Glauben daran und das Vertrauen darauf, sich und anderen etwas Gutes zu tun.

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Für mich zumindest – und unabhängig davon, ob das, was ich mir da zusammenreime, mit der Lee'schen Wirklichkeit übereinstimmt oder nicht: Jedes Mal, wenn ich Herrn Lee und seine Schüler sehe, laufe ich mehr als nur eine Nuance glücklicher weiter. Das war schon vor Corona so.

Foto: Tom Rottenberg

Vergangene Woche sah ich Herrn Lee und seine Schülerinnen und Schüler dann zum ersten Mal seit dem Lockdown wieder. Und auf den ersten Blick war alles so wie früher. Sicher: Die Abstände – die auch früher schon den Abstandsregeln entsprochen hätten – sind größer. Einige der Leute tragen Masken. Aber sonst: Business, also Tai Chi, as usual – und das "unter den Augen der Wächter" (© Janis Ritsos): Polizisten spazieren vorbei, die Eingänge des Volksgartens sind bewacht – und über die Beblockwartung des öffentlichen Raumes will ich mich hier nicht weiter auslassen.

Foto: Tom Rottenberg

Weil die Botschaft eine andere ist: Dass Mr. Lee wieder da ist, steht für etwas. Für mich. Und das macht mich glücklich.

Auch weil er längst nicht der Einzige ist, der den Mut hat, wieder zu tun, was ihm und so vielen anderen guttut: Natürlich funktionieren Online-Yoga, Youtube-Crossfit & Co. Aber in Wirklichkeit geht es doch auch darum, nicht allein zu sein. Dass dieses Leben in Parks, auf der Insel oder rund um Spielplätze wieder beginnt, ist gut. Gut und richtig. Natürlich könnte man daraus – wie aus allem – ein Problem machen.

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Aber wenn es erlaubt ist, mit Abstand zueinander im Gras zu liegen, ist schwer argumentierbar, wieso man sich bei gleichen Abständen auf der Isomatte (oder Picknickdecke oder im Gras) nicht bewegen darf: Die Ashtanga-Serie oder Sonnengrüße sind als Solo im Park ja nicht verboten. Zwei Meter Abstand und synchron dürfte da de iure keinen Unterschied machen.

Oder doch?

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Andererseits: Wieso ich als (Hobby)-Leichtathlet am LAC-Platz ab demnächst wieder (unter Auflagen) Kondition, Koordination oder Beweglichkeit trainieren darf, exakt die gleichen Übungen unter exakt der gleichen Anleitung Hobbykickern auf Fußballplätzen aber weiterhin verboten bleiben – und ich das im öffentlichen Raum und allein ohnehin die ganze Zeit hätte machen dürfen –, ist mit Logik auch nicht wirklich zu erklären.

Egal. Denn worum es geht, ist etwas anderes:

Das Leben beginnt wieder Leben zu werden.

Und das ist gut so. (Tom Rottenberg, 29.4.2020)

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