Kris Kristofferson auf dem Cover seines Debütalbums: ein Macho mit Herz, der in Nashville warme Milch bestellte. Weil er Lust darauf hatte.

Foto: Monument Records

Es ist so etwas wie der zentrale Satz seines Gesamtwerks: "He’s a walkin’ contradiction, partly truth and partly fiction" – er ist ein wandelnder Widerspruch, teils wahr, teils ausgedacht. Das sang Kris Kristofferson 1971 auf seinem zweiten Album. Der Song heißt The Pilgrim – Chapter 33, und die Lebendvorlage dafür war der Schauspieler Harry Dean Stanton. Gleichzeitig war es eine launige Selbstdiagnose seines Schöpfers. Der hatte 1970 sein Debütalbum veröffentlicht. Es hieß lapidar Kristofferson , erschien vor 50 Jahren und rührte nicht nur im Country-Genre gewaltig, aber gewaltfrei, um.

Sogar Willie Nelson trug damals noch kurze Haare, als plötzlich dieser Kris Kristofferson erschien und die Gegenkultur mit Country und Nashville vermählte. Es war ein endgültiger Vollzug, der sich mit Bob Dylans Album Nashville Skyline und ein paar anderen Hippies mit Lassokenntnissen zwar schon angekündigt hatte. Doch der Mann mit den stechend blauen Augen besiegelte diesen Bund zweier vermeintlicher Gegensätze unumkehrbar.

Der bärbeißige Texaner hatte eine Vergangenheit als Militär und Hubschrauberpilot für eine Ölfirma ebenso wie einen Abschluss in englischer Literatur. Er trug die Haare lang, die Jeans zerrissen und versuchte so, ausgerechnet in der konservativen Hochburg Nashville Karriere zu machen. Wider Erwarten gelang es ihm, genauso gut hätte er geteert und gefedert in einer Scheune enden können.

Im Garten von Johnny Cash gelandet

Kristofferson war damals Mitte 30 und lange der Inbegriff des American Boy gewesen. Eine Sportskanone an der Highschool, konservatives Elternhaus, eine Laufbahn beim Militär – bis er den Krempel hinschmiss, sich mit seiner Familie überwarf und alles daransetzte, Songwriter zu werden: Auf Ölplattformen im Golf von Louisiana, wo er beruflich den Hubschrauber hinflog, schrieb er Lieder, und mit dem Hubschrauber soll er sie Johnny Cash zugestellt haben, indem er in dessen Garten landete, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Cash war angetan und nahm eines der Lieder auf: Sunday Morning Coming Down wurde ein Hit, und Kristofferson war im Geschäft. Zumindest als Songwriter.

KKs erster Hit – für Johnny Cash.
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1970 debütierte er auch als Sänger, doch zuerst schien das Werk in Schönheit, aber ohne größeres Publikum zu sterben. Doch einer der auf der Ölplattform entstandenen Songs entwickelte ein Eigenleben: Die 1970 gestorbene Janis Joplin sang Kristoffersons Me And Bobby McGee und landete damit posthum einen Hit. Kristoffersons Debüt wurde deshalb 1971 unter diesem Titel erneut aufgelegt – und nun hörten es alle, das bescherte ihm den Durchbruch.

Lehrer und andere Nörgler

Das Album beginnt mit dem zynischen Blame It On The Stones, in dem er Eltern Lehrern und anderen Nörglern rät, ihren Zorn auf die Rolling Stones abzuwälzen. Die seien an allem schuld, was schlecht läuft in der Welt, lautet der ironische Subtext. Ein Anprangern des Reaktionären, in dessen Epizentrum Nashville, gespielt mit grimmiger Gitarre und hämischem Tonfall.

"Schiebt es den Stones in die Schuhe!" KKs Einstand.
NoRosesForMe

Es folgt das autobiografische und seinem Idol Johnny Cash und dessen Frau June Carter zugedachte To Beat The Devil: "My thirsty wanted whiskey", singt er aus den Schuhen eines armen Musikus heraus, "but my hunger needed beans." Das Lied war ein weiteres Indiz dafür, dass hier ein besonderer Storyteller angetreten war. Einer, der Country und linke Ideen liebte, den Frieden dem Vietnam- und anderen Kriegen vorzog und mit Willie Nelson am Tag mehr Gras verarbeitete als manch ein Gärtner.

Ein Song für Johnny und June.
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Es scheint, als sei das Bild von der harten Schale mit dem weichen Kern für ihn erdacht worden. Ein Macho mit Herz und Verstand, dessen Lieder aus der Underdog-Perspektive geschrieben sind und eine seltene Eloquenz besitzen. Sie waren so pointiert, dass sie sogar die Rednecks gut fanden, wiewohl sie ihn am liebsten mit der Schrotflinte im Anschlag zum Friseur geschliffen hätten.

Help Me Make It Through The Night ist ein anderer Klassiker dieses Albums, ebenso die waidwunde Trennungsballade For The Good Times sowie das erwähnte Trinkergeständnis Sunday Morning Coming Down. Alles Titel, die dutzende Male quer durch viele Genres gecovert worden sind.

Outlaw Country

Kristofferson, heute 83, ist mit Wegbegleitern wie Waylon Jennings, Willie Nelson, Guy Clark oder Cash zum Inbegriff des Outlaw-Country geworden, einer Reformkraft des tendenziell reaktionären Fachs. Bald schon wurde er Schauspieler und bestand in den harten Western Sam Peckinpahs ebenso wie in Hollywood-Schmonzetten. In allem zeigt er bis heute eine besondere Form von Integrität, die sich früh und zuerst in seiner Musik manifestierte.

Linksextremismus aus Nashville.
NoRosesForMe

Kristofferson wird selten genannt, wenn es um grandiose Debütalben geht, wahrscheinlich ein Irrtum – oder Unkenntnis. 50 Jahre nach seinem Erscheinen steht es immer noch da wie ein Monolith. Ein stimmiger Fremdkörper inmitten von Tradition und Gegenkultur; er zwinkert dahin und winkt dorthin, im Wissen, wie toll seine zwölf Titel sind.

Zeitlose Güte

Ihre zeitlose Güte beziehen sie aus der Gelassenheit, aus der Balance von schwarzem Humor und Lebenserfahrung. Man soll sich selbst nicht zu ernst nehmen, hat Kristofferson oft gesagt. So ist er geworden, was er ist. Eine fast schon überlebensgroße Pop-Figur. Ein Sir in Jeans, eine Altkleidersammlung bei der Oscar-Verleihung: ein ewiger Widerspruch. (Karl Fluch, 29.4.2020)