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Was bedeutet der Tod eines Artgenossen für Elefanten? Ihre Reaktionen geben weiterhin Rätsel auf.
Foto: AP/Alastair Nelson/Wildlife Conservation Society

Eines vorneweg: Der mythenumwobene Elefantenfriedhof ist tatsächlich nur ein Mythos. Es gibt bislang keine Belege für das in die Popkultur eingegangene Phänomen, dass sich alte Elefanten an denselben Ort zurückziehen würden, um dort zu sterben.

Die (vermutliche) Wahrheit hinter dem Mythos

Den Ursprung dieses Mythos sehen Forscher in Ansammlungen von Elefantenskeletten, auf die Menschen im Verlauf der Geschichte immer wieder gestoßen sind. Erklärungen dafür gibt es zweierlei: Zum einen könnten Gruppen von Elefanten demselben plötzlichen Ereignis – etwa einer Überschwemmung oder auch einer Jagd – zum Opfer gefallen sein. Oder das Sterben zog sich über einen längeren Zeitraum hin und hängt mit den örtlichen Bedingungen zusammen, genauer gesagt mit der Pflanzenwelt.

Bei Elefanten brechen nämlich die Backenzähne der Reihe nach im Verlauf von Jahrzehnten durch und ersetzen einander. Wenn schließlich das letzte Set abgenutzt ist, können die Tiere ihre Nahrung nicht mehr zermahlen und sterben so den Hungertod. Eine Zeitlang versuchen sie das Ende noch hinauszuzögern, indem sie weichere Nahrung zu sich nehmen, wie man aus Beobachtungen weiß. "Elefantenfriedhöfe" könnten also auch ganz einfach Orte sein, an denen entsprechende Pflanzen wachsen und die somit eine überdurchschnittlich hohe Zahl an alten Tieren anlocken – welche dann auch dort sterben.

Elefanten sind Mitglieder in einem exklusiven Club

Allerdings spielt noch eine andere Komponente in diese Legende hinein, denn die "Friedhöfe" haben Besucher: Elefanten gehören zu den wenigen Spezies, die tote Artgenossen gezielt aufsuchen und mit ihnen interagieren. Sie zeigen dabei ein breites Verhaltensspektrum, und frisch verstorbene Elefanten faszinieren sie ebenso wie längst von der Sonne ausgebleichte Gebeine. Die Knochen anderer großer Tiere wie etwa Giraffen scheinen sie hingegen nicht zu interessieren.

Ob das bedeutet, dass Elefanten eine Vorstellung vom Tod haben und um verstorbene Verwandte trauern, wie gerne behauptet wird, steht auf einem anderen Blatt. Dass das Elefanten überhaupt zugetraut wird, liegt daran, dass sie äußerst soziale Tiere sind – und zudem eine der Spitzen auf der Skala tierischer Intelligenz bilden. Es gibt sogar den Fall einer Asiatischen Elefantenkuh, die den sogenannten Spiegeltest bestand, sich also in ihrem Spiegelbild wiedererkannte. Dazu sind nur sehr, sehr wenige Tierarten fähig, vor allem Menschenaffen und Delfine.

Versuch einer Systematisierung

Das Wissen zum angeblichen Trauerverhalten von Elefanten stützt sich bislang aber fast ausschließlich auf anekdotische Evidenz, also auf Einzelbeobachtungen, von denen man nicht weiß, wie verallgemeinerbar sie sind. Ein Team um Shifra Goldenberg vom San Diego Zoo und George Wittemyer von der Colorado State University hat versucht, in diesen Einzelbeobachtungen ein Muster zu finden. Für ihre Analyse gingen die Forscher 32 wissenschaftlich dokumentierte Fälle aus verschiedenen afrikanischen Regionen durch, in denen Elefanten mit toten Artgenossen interagierten.

Die festgestellte Bandbreite des Verhaltens war groß: Es gab Fälle, in denen Elefanten versuchten, einem kürzlich gestorbenen Artgenossen auf die Beine zu helfen. Und auch mindestens einen Fall, in dem ein Kadaver bewacht und gegen Raubtiere verteidigt wurde. Allerdings wurde auch ein Trio junger Bullen beobachtet, das erst versuchte, eine tote Kuh wieder aufzurichten ... um sie schließlich zu besteigen. All das sind ganz normale Verhaltensweisen, die Elefanten gegenüber lebenden Artgenossen zeigen, die anscheinend aber auch auf Tote ausgedehnt werden können.

Laufende Society-Updates

Das gilt auch für die mit Abstand am häufigsten gezeigte Verhaltensweise: ausgedehntes Beschnüffeln und Befühlen eines Kadavers mit dem Rüssel. Genau das tun Elefanten auch, wenn sie alte Bekannte wiedertreffen. Afrikanische Elefanten leben in eng verbundenen Familiengruppen, doch können sich mehrere solcher Gruppen vorübergehend zu losen Herden zusammenschließen, die danach wieder für längere Zeit auseinandergehen. Daraus ergibt sich ein hochkomplexes soziales Netz, in dem Elefanten eine große Zahl von Individuen voneinander unterscheiden und in ihrer jeweiligen Bedeutung einstufen können müssen.

Durch langes Betasten und Beschnüffeln bringen sich Elefanten auf den aktuellen Informationsstand, was Gesundheit, Reproduktionsstatus und sozialen Rang ihrer Artgenossen anbelangt. Und solche Updates holen sie offensichtlich auch bezüglich der Verstorbenen ein. Was genau sich dabei in ihrem Gehirn abspielt, ist laut den Forschern ungeklärt und wohl auch unklärbar. Wittemyer verweist auf den exzellenten Geruchssinn von Elefanten: Die grauen Riesen hätten "Geruchslandkarten" im Kopf, die wir uns schlicht und einfach nicht vorstellen könnten.

Emotionale Reaktion

Eine interessante Folgerung aus der Analyse war auch, dass das "Elefantentum" an sich der entscheidende Faktor zu sein scheint, nicht die verwandtschaftliche Nähe zum Toten. Elefanten untersuchen ihnen fremde Artgenossen genauso interessiert wie enge Angehörige. Die Reaktion kann dann aber unterschiedlich ausfallen. So wurde eine junge Kuh beobachtet, die längere Zeit bei ihrer toten Mutter blieb. Als sie sie dann endlich verließ, strömte Temporinflüssigkeit aus ihren Schläfendrüsen – ein typisches Symptom für Stress respektive einen inneren Erregungszustand. Ob man dies als Trauer bezeichnen kann, sei dahingestellt. Aber eine starke emotionale Reaktion scheint der Verlust eines Angehörigen bei Elefanten doch auslösen zu können. (jdo, 3. 5. 2020)