Zustand 1: Schönwetter. Die Schirme bilden ein angenehmes Sonnendach.
Illustration: Mauricio Loyola

Eine große und eine vergleichsweise kleine Herausforderung warten in Zeiten von Klimawandel und steigendem Meeresspiegel auf Küstengemeinden. Die große: Wie schützt man sich gegen die steigende Flutgefahr? Und die kleine: Wie schafft man es, dass einstmals idyllische Strandpromenaden nicht hinter Flutmauern verschwinden und sich plötzlich wie Gefängnisinnenhöfe anfühlen?

Die Antwort auf beide Fragen könnte ein zumindest originelles Konzept liefern, das Forscher der Princeton University im "Journal of Structural Engineering" vorgestellt haben. Es handelt sich um Reihen massiver, aber dennoch nicht klobig wirkender Sonnenschirme aus Beton, die sich so schwenken lassen, dass sie im Gefahrenfall eine Flutmauer bilden. Zu diesem Zweck sind die säulenartigen Ständer am oberen Ende mit einem Gelenk ausgestattet.

Verwendung in der Architektur

Der eigentliche Schirm ist eine zehn Zentimeter dicke Schale aus Beton in Form eines hyperbolischen Paraboloids, eine sogenannte Hyparschale. Diese Form entspricht anschaulich ausgedrückt der eines Sattels oder eines Pringles und ist besonders stabil. Seit den 1930er Jahren werden solche Hyparschalen für Dachkonstruktionen eingesetzt, sowohl runde als auch eckige. Die Sonnenschirme der Princeton-Forscher wären Letzteres.

Zu den Pionieren dieser Bauweise gehörten der Deutsche Herbert Müller und der spanisch-mexikanische Architekt Félix Candela. Princeton-Forscherin Maria Garlock ist eine Candela-Expertin und hat sich mit Kollegen aus der Ingenieursschule ihrer Universität zusammengetan, als diese erste Pläne für Multifunktionsschirme ausarbeiteten. Das Team um Shengzhe Wang hatte sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, ob auf Säulen ruhende Hyparschalen Regenwasser auffangen oder mit Sonnenkollektoren bestückt werden könnten. Daraus wurde dann die Idee, sie schwenkbar zu machen und sie so einem ganz neuen Zweck zuzuführen.

Zustand 2: Ein Sturm zieht auf. Und die Schirme bilden einen Wall gegen das Meer.
Illustration: Mauricio Loyola

Die Grundidee: An – ohnehin immer heißer werdenden – Sonnentagen bilden lange Reihen dieser Schirme ein durchgängiges Sonnendach, unter dem sich im Schatten schön dahinschlendern lässt. Die rechteckigen Schirme haben eine Seitenlänge von acht Metern, decken also eine große Fläche ab. Und die Sicht aufs Meer bleibt unverstellt.

Naht eine Flut, kippt das Gelenk am oberen Ende jeder Säule den Schirm wie die Schaufel eines Baggers um, und es entsteht ein ebenso lückenloser Wall gegen die Wassermassen. Die Säulen wären drei Meter hoch – gut, um darunter spazierenzugehen, aber auch ein ausreichender Schutz gegen möglichen Vandalismus an den Gelenken. Wobei es ein eigentlich trauriges Zeichen der Zeit ist, dass die mutwillige Zerstörung eines nützlichen und potenziell lebensrettenden Objekts schon vorab in Planungen miteinbezogen wird.

Tests an Modellen

Erste Berechnungen haben laut den Forschern ergeben, dass ein solcher Wall Wassermassen abhalten würde, die sich bis zu drei Viertel der Schalenhöhe türmen. Die Schalen sehen so dünn aus, dass man ihnen das nicht zutrauen würde, sagt Wang. Doch die Hyparform würde ihnen eine Extraportion Stabilität verleihen.

Bevor die ersten Küstenorte ihre Hypar-Alleen erhalten, gilt es aber noch zu testen, testen, testen. Mit Fördergeldern der Initiative Project X, die innovative Technologien unterstützt, haben die Forscher eine erste Miniaturversion ihres Konzepts verwirklicht. Im Wind- und Wasserkanal müssen sich 15 Zentimeter kleine Modelle der Schirme den Kräften von Miniaturhurrikans und -sturmfluten entgegenstemmen, um ihre Stabilität zu überprüfen. (red, 10. 5. 2020)