Allergieforschung ist akribische Laborarbeit. Um zu verstehen, wie Sars-CoV-2 funktioniert, muss man es Schritt für Schritt im Labor analysieren.

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Weltweit wird an 79 Impfungen zur Bekämpfung von Covid-19 gearbeitet, zeigt eine Übersicht des Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA). Ein großes Forschungsprojekt läuft auch an der Med-Uni in Wien. Der Immunologe Rudolf Valenta ist derzeit fast Tag und Nacht im Labor. Zusammen mit dem Unternehmen Viravaxx will man eine Impfung entwickeln, die der Immunisierung gegen Gräserpollen gleicht.

STANDARD: Die Med-Uni Wien hat unlängst Probandinnen für eine Studie gesucht. Haben sich Leute gemeldet?

Valenta: Ja, wir waren sehr positiv überrascht. Wir untersuchen in dieser Studie, welche Spuren Sars-Cov-2 im Immunsystem hinterlässt, also welche Antikörper gegen das Virus gebildet werden und wie sehr diese Antikörper vor einer Neuinfektion schützen. Darüber wissen wir noch zu wenig. Es gibt viele Menschen, die sich bereiterklärt haben mitzumachen. Unsere Kontrollgruppe von 200 Personen ist bereits komplett.

STANDARD: Wer genau ist die Kontrollgruppe?

Valenta: Menschen, die diesen Winter keine schwere Erkältungserkrankung und insofern auch keine Anzeichen einer Sars-CoV-2-Infektion hatten. An dieser Gruppe ermitteln wir den allgemeinen Immunstatus. Den vergleichen wir dann mit jenem von Covid-19-Genesenen. In dieser Gruppe haben wir bereits 100 Studienteilnehmende. Voraussetzung ist ein positiver PCR-Test.

STANDARD: Da fehlen noch welche?

Valenta: Um an der Studie teilzunehmen, muss die Infektion zehn Wochen zurückliegen. Und erinnern Sie sich: Anfang Februar waren noch nicht sehr viele infiziert. Der Peak war erst im März. Dementsprechend hoffen wir, dass sich die Probandinnengruppe im Mai füllen wird. Wir sind zuversichtlich und bitten Covid-19-Genesene, sich bei uns zu melden. Wir arbeiten aber bereits mit dem Material, das wir jetzt schon zur Verfügung haben.

STANDARD: Warum müssen zehn Wochen vergangen sein?

Valenta: Wir wissen von anderen Viren, die die Atmungsorgane befallen, wie lange es dauern kann, bis sich Antikörper bilden. Zehn Wochen ist ein sicherer Zeitrahmen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass es sehr viele unterschiedliche Antikörper gegen ein und denselben Erreger geben kann.

STANDARD: Was bedeutet das?

Valenta: Dass wir als Forschende erst einmal all diese unterschiedlichen Antikörper kennen müssen, um dann herauszufinden, welche einen Impfschutz bewirken. Wir wollen ja diejenigen finden, deren Funktion es ist, eine erneute Ansteckung zu verhindern. Nur dann ist man auch immun gegen das Virus.

STANDARD: Sie erstellen also eine Landkarte der Antikörper, die nach einer Sars-CoV-2-Infektion entstehen?

Valenta: Genau, wir nennen es eine Feinkartierung der Antikörperantwort. Ziel ist es herauszufinden, welche Art der Antikörperantwort eine Sars-CoV-2-Infektion auslöst. Da gibt es grob drei Möglichkeiten. Es entstehen nur nutzlose Antikörper, also solche, die nicht schützen. Oder es entsteht eine gemischte Antwort, bestehend aus nützlichen und nutzlosen Antikörpern. Die dritte Möglichkeit: Es entstehen nur blockierende Antikörper. Das wäre ideal. Und um die geht es uns.

STANDARD: Warum?

Valenta: Wenn ein Covid-19-Genesener blockierende Antikörper im Blut hat, dann kann er sich nicht mehr anstecken, und das ist ja das Ziel einer Impfung. Ist das der Fall, dann verhindern diese Antikörper, dass Sars-CoV-2 an die Rezeptoren im Körper andockt und uns erneut krank macht. Es gibt viele Viren, zum Beispiel Rhinoviren, die Schnupfen auslösen, die keine schützende Immunantwort hinterlassen. Da werden eben keine blockierenden Antikörper gebildet, deshalb bekommt man ja immer wieder Schnupfen. Es könnte sein, dass es bei Sars-CoV-2 ähnlich ist. Genau die Art und Stärke der Immunantwort versuchen wir in unserer Studie zu ermitteln.

STANDARD: Können Sie nicht Rückschlüsse von anderen Coronaviren ziehen?

Valenta: Sie legen die Vermutung nahe, dass die Immunantwort des Menschen auf Coronaviren eher schwach ist, sich manchmal keine blockierenden Antikörper bilden und man erneut erkranken kann. Das ist aber noch nicht klar. Deshalb kommt man um eine exakte Messung auch nicht herum.

STANDARD: Was genau machen Sie da?

Valenta: Uns geht es um die Virushülle und die Frage, welche Eiweiße des Virus für das Eindringen in die menschlichen Zellen verantwortlich sind. Wir zerlegen also die Virushülle in ihre Bestandteile und ahmen dann eine Infektion nach. Und Schritt um Schritt werden wir dann herausfinden, welche Bausteine des Virus eine zentrale Rolle bei der Infektion und der Bildung von Antikörpern spielen. Das werden unsere Impfkandidaten sein.

STANDARD: Ihr Institut beschäftigt sich eigentlich mit Allergien und nicht mit Infektionen. Was verbindet diese beiden Fachbereiche?

Valenta: Das Immunsystem von Allergikern ist insofern ein gutes Beispiel, als es krankmachende IgE-Antikörper gegen die Allergene bildet. Dem Immunsystem von Allergikern fehlen schützenden IgG-Antiköper, die die IgE-Bindung an die Allergene aus Gräsern, Birke, Milben und Ragweed blockieren. In Wahrheit ist es so, dass sich diese IgG-Antikörper bei Allergikern nicht an den richtigen Stellen des Allergens binden und sie deshalb nicht geschützt sind. Deshalb haben diese Leute zum Beispiel jeden Sommer wieder Heuschnupfen. Das Immunsystem eines Allergikers erkennt ein Allergen als Fremdkörper und reagiert mit einem massiven Schnupfen darauf. Und es lernt auch nichts dazu. Dafür wären die IgG-Antikörper zuständig.

STANDARD: Und was ist die Lösung?

Valenta: Genau wie bei Impfungen gegen Infektionserkrankungen haben wir Impfstoffe entwickelt, die eine schützende IgG-Antwort gegen Allergene aufbauen. Wir verwenden Allergenteile, die an ein Trägereiweiß aus Viren gebunden haben. Dadurch erhalten wir schützende IgG-Antikörper gegen das Allergen und gegen das Virus. Allergiker haben keinen Heuschnupfen mehr und sind bei unserem Impfstoff auch gegen Hepatitis B geschützt.

STANDARD: Ein anderes Virus?

Valenta: Genau, ein für den Menschen wichtiges Virus, das eine Art Träger für die fehlende Information der Immunantwort ist. Es ist das PreS-Eiweiß auf Hepatitis B. Das kann man sich wie eine Art Huckepack vorstellen. Diese Art der Immunisierung haben wir hier an der Med-Uni entwickelt, und sie funktioniert. Es ist unsere Plattform. Mit dieser PreS-Technologie wollen wir arbeiten.

STANDARD: Aber Allergene sind doch keine Viren.

Valenta: Es geht darum, dass sich mit dem Impfstoff die IgG-Antikörper gegen die Stelle am Sars-CoV-2 richten, um das Andocken des Virus an einen bestimmten Zelltyp im Körper zu verhindern. Auch dafür eignet sich die Plattform. Wenn ich das Andocken verhindern kann, erkranke ich nicht. So ein Virus ist ja nichts Intelligentes. Wenn es nicht in die Zellen reinkommt, kann es sich nicht vermehren. Das gilt für alle Viren. Was Viren voneinander unterscheidet, sind ihre unterschiedlichen Oberflächen und die dortigen Rezeptoren, damit auch ihre Andockstelle in den Körperzellen und auch das Krankheitsbild.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Valenta: Es geht darum, Viren zu verstehen. HIV-Viren zum Beispiel docken an Immunzellen über die CD-4-Struktur an Zellen und an T-Lymphozellen an. Damit zerstören sie die Abwehrzellen und schwächen mit der Zeit das Immunsystem. Ein anderes Beispiel: Rhinovieren docken an den Epithelzellen in der Nase und in der Lunge an und machen Schnupfen und andere respiratorische Symptome. Sars-Cov-2-Viren haben sich die ACE-2-Rezeptoren ausgesucht. Sie sind überall im Körper, insbesondere aber in den Lungen. Wir sind uns sicher, dass man das Andocken verhindern kann.

STANDARD: Man hört immer wieder auch von infektionsverstärkenden Antikörpern, die der Körper bilden kann. Wie sehen Sie die Gefahr dieses "antibody-dependent enhancement"?

Valenta: Das ist ein Risiko, das es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Deshalb muss die Impfstoffentwicklung sehr überlegt erfolgen. Konkret geht es um die IgG-Antikörper, die sich ihrerseits in vier Subklassen aufteilen. IgG1–3 verstärken die Immunantwort und können Entzündungen verstärken. Genau diese könnten heftigere Symptome bewirken. Das soll nicht passieren. Wir wollen mit unserer Impfung deshalb gezielt vor allem IgG4-Antikörper induzieren, weil sie die gewünschte neutralisierende Wirkung haben und kaum Entzündungen auslösen. Damit wäre die Impfung effektiv und sicher zugleich.

STANDARD: Was sind also konkrete Schritte?

Valenta: Wenn wir verstanden haben, wie die Bindung funktioniert, und ich diese auch nachahmen kann, können wir mit der Entwicklung des Impfstoffs beginnen. Die Impfstoffkandidaten werden dann in Testserien untersucht, ob sie die gewünschten blockierenden Antikörper induzieren. Ich habe vor, mich auch selber damit zu immunisieren.

STANDARD: Ein Selbstversuch?

Valenta: Klar, das habe ich auch bei anderen Entwicklungen aus meinem Labor so gemacht, wenn ich vom Wirkprinzip überzeugt war. Ich bin schon gegen Allergene, Rhinoviren und Hepatitis B immun. Und klar, aus so einem Ein-Mann-Versuch lässt sich nichts ableiten, dafür brauchen wir dann die klinischen Studien, die teuer sind.

STANDARD: Und dann?

Valenta: Wenn sich alles so entwickelt, wie wir uns das vorstellen, haben wir in etwa sechs Monaten Impfstoffkandidaten und könnten in einem weiteren Jahr die Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Studien testen, vorausgesetzt, dass wir die Mittel dazu bekommen. Für die Entwicklung und klinische Testung der Impfung muss man mit etwa zehn Millionen Euro rechnen.

STANDARD: Lässt sich der Weg bis Herbst skizzieren?

Valenta: Im Moment vermessen wir noch die Immunantwort, parallel klären wir die Bindung zwischen Virusrezeptor und Körperzelle, um dann einen Weg zu finden, diesen mit Antikörpern unserer Impfstoffkandidaten zu blockieren bzw. eine sehr gezielte Immunantwort zu erwirken. Ob dieser Impfstoff grundsätzlich funktioniert, werden wir im Herbst wissen. Und dann kommt die klinische Prüfung, die, wenn alles perfekt läuft, ein Jahr dauern wird. Vieles läuft parallel, und wir werden sicher jede Abkürzung nehmen, die sich uns bietet, auch um für die Gefahr einer neuen Covid-19-Welle gerüstet zu sein.

STANDARD: Worin sehen Sie die größte Hürde?

Valenta: Es geht unbedingt darum, eine schützende Immunantwort zu bekommen, ohne dabei gesundheitliche Risiken einzugehen. Es wird also mindestens 18 Monaten dauern. Allein schon, weil die klinischen Studien Zeit in Anspruch nehmen und wir derzeit keine Mittel haben, um eine klinische Prüfung durchzuführen.

STANDARD: Weil derzeit alle spekulieren: Wie wird sich die Pandemie aus Ihrer Sicht entwickeln?

Valenta: Unsere Erfahrung mit anderen Viren zeigt uns, dass es ein Sommerloch bei vielen Infektionen der Atemwege gibt. Viren mögen Wärme nicht besonders, und deshalb glaube ich, dass wir auch das Coronavirus ein bisschen los sein werden. Ich fürchte aber, dass es im Herbst zurückkommen wird. Deshalb arbeiten meine Leute rund um die Uhr. (Karin Pollack, 5.5.2020)