Wenn das Arbeitsmarktservice (AMS) am Montag die Zahlen für den April veröffentlicht, wäre alles andere als ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit eine Überraschung. Die schrittweise Öffnung der Wirtschaft hat gerade erst begonnen. Allein in der zweiten Märzhälfte verloren rund 195.000 Menschen ihren Job. In welche Höhen die Arbeitslosenquote im Verlauf des Jahres schießen wird, darüber trauen sich jedoch die wenigsten Experten eine Prognose zu. Zu viele Fragen sind offen: Wird es etwa eine zweite Welle samt Lockdown geben? Wie schnell erholt sich die Konsumlaune der Österreicher? Worin sich Ökonomen jedoch einig sind: Die Krise wird am heimischen Arbeitsmarkt Narben hinterlassen.
Im März wurden junge und ausländische Arbeitskräfte wegen der Corona-Krise häufiger arbeitslos. Ebenso Menschen ohne akademischen Grad sowie geringfügig Beschäftigte. Viele dieser neuen Arbeitslosen haben es schwer, bald wieder Arbeit zu finden.
Langsame Erholung
Denn so schnell wird sich der Arbeitsmarkt nicht erholen. Der wochenlange Lockdown hat Unternehmen wie Private viel Geld gekostet. All diese Verluste seien nicht einfach rückgängig zu machen, sagt Michael Landesmann, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Für mehr als eine Million Arbeitsplätze wurde bereits Kurzarbeit angemeldet. Sobald die Regierung die Kurzarbeit auslaufen lässt, würden viele Unternehmen den Rotstift ansetzen müssen und auch bei den Angestellten sparen.
Erwischen könnte es nach dem Motto "Last in, first out" vielfach Berufseinsteiger. Den Rückgang bei den Neueinstellungen könnten laut Experten auch Menschen mit Migrationshintergrund und ältere Personen spüren. Diese Gruppen hatten es bereits vor der Krise schwerer als andere Gruppen, einen Job zu finden. Fehlen die Angebote, wird die Arbeitssuche für sie nochmals herausfordernder.
Digitalisierung als Gefahr
Dazu kommt: Vielen Betrieben blieb während des Lockdown nichts anderes übrig, als die Digitalisierung voranzutreiben. Viele Arbeitnehmer übersiedelten ins Homeoffice. Betriebe haben dabei auch gelernt, mit weniger Personal auszukommen, wie Landesmann erklärt.
Digitalisierung könnte aber nicht nur Arbeitsplätze in Branchen, in denen kein persönlicher Kundenkontakt notwendig ist, vernichten. Sie kann auch diskriminieren, wie Gernot Mitter, Arbeitsmarktexperte bei der Arbeiterkammer (AK), erklärt: "Homeoffice braucht eine gute Internetverbindung, ein leistungsfähiges Gerät und im Idealfall einen privaten Arbeitsbereich, in den man sich zurückziehen kann." Wer sozial schwach ist oder in der schlecht vernetzten Peripherie lebt, ist strukturell im Nachteil. Benachteiligt ist auch, wer digitale Geräte nicht einwandfrei bedienen kann – häufig ältere Arbeitnehmer.
Was die Politik tun könnte
Die Politik könnte durchaus etwas gegen Arbeitslosigkeit tun. Und benachteiligten Gruppen helfen. DER STANDARD hat sich unter Experten umgehört und Vorschläge gesammelt:
Schulpflicht verlängern Arbeitslosigkeit heißt: Es gibt zu viele Menschen, die einen Job suchen, und zu wenige offene Stellen. Eine Möglichkeit wäre, die Zahl an Arbeitssuchenden zu verringern. Ein Beispiel wäre, die Schulpflicht um ein Jahr zu verlängern. Das würde einerseits Menschen ohne Arbeitserfahrung vom Markt nehmen – Berufseinsteiger haben es in Krisenzeiten ohnehin schwer auf dem Jobmarkt. Und die Jüngsten könnten das durch Corona verlorene Halbjahr an Schulbildung nachholen. Die Maßnahme sei als Ausgleich für jene Semester sinnvoll, die wegen der Corona-Krise ausfallen, sagt Landesmann.
- Arbeitszeit verkürzen Gernot Mitter von der AK schlägt vor, angesichts drohender Massenarbeitslosigkeit über eine Verkürzung der Arbeitszeit pro Woche nachzudenken. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass trotzdem wenig neu eingestellt würde, widerspricht Landesmann. Tendenziell würden Mitarbeiter dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit erledigen. Landesmann könne sich aber einen Anspruch auf einen "geteilten Job" vorstellen. Also ein Recht darauf, sich zu zweit für einen Job zu bewerben und sich diesen zu teilen.
- Frühpensionen Eine weitere Möglichkeit, eine strukturell benachteiligte Gruppe vom Markt zu nehmen, wären Frühpensionen. Dagegen sprechen schon allein die Kosten der Maßnahme, so Experten des liberalen Thinktank Agenda Austria. Auch Mitters Forderung, den Zugang zur Invaliditätspension zeitweise zu erleichtern, sieht die Agenda Austria skeptisch.
- Aktive Arbeitsmarktpolitik Wer den Kontakt mit dem Arbeitsmarkt verliert, scheidet womöglich ganz aus dem Erwerbsleben aus. Das gelte es zu verhindern, sagen Experten. Aktive Arbeitsmarktpolitik, wie sie das AMS ohnehin bereits macht, sei in Krisenzeiten besonders wichtig, Schulungen, Nebenjobs, aktive Vermittlung erhöhen die Chancen auf eine Anstellung.
- Grundeinkommen Experten sehen noch keine Dringlichkeit in Österreich Aber wenn die Arbeitslosigkeit stark ansteige, müsse man auch über ein Grundeinkommen nachdenken, sagt Landesmann. Es gehe schon allein darum, die Nachfrage zu stützen. Es sei schlichtweg zu teuer, so die Agenda-Austria-Ökonomen. Effizienter sei es, gezielt Hilfe zu leisten.
- Anreize für Arbeitgeber Die Agenda Austria empfiehlt, bei den Arbeitgebern anzusetzen. Der Staat könne Betrieben Anreize geben, Leute einzustellen: durch Strukturreformen und steuerliche Anreize. Das Angebot an Arbeitskraft zu kürzen, sei der falsche Ansatz, so die Experten des Thinktanks. Ohne bei den Arbeitgebern Anreize zu setzen, sei Massenarbeitslosigkeit kaum zu vermeiden. Pro Prozentpunkt Wachstum seien in den vergangenen Jahren rund 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr geschaffen worden. Wie stark die Wirtschaft in den kommenden Quartalen wachsen wird, liegt jedoch nicht allein in österreichischer Hand, sagt Landesmann. Wenn die Wirtschaft von wichtigen Handelspartnern wie Deutschland eine härtere Bremsung hinlegen sollte, als bisher angenommen, wirkt sich das auch auf die heimische Wirtschaft aus. Samt Arbeitsmarkt, so der Ökonom. Durch die Finanzkrise sei Deutschland damals recht gut gekommen, weil man vermehrt nach China exportiert hat. Angesichts jüngster Deglobalisierungstendenzen sei offen, ob man den Nachfrage-Schock diesmal auch so abfedern kann. (Aloysius Widmann, 30.4.2020)