VR und XR mit der Brille? Das wird künftig auch mal von gestern sein.

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Liebliche Wohlfühlatmosphäre: So könnte man meinen Arbeitsplatz beschreiben. Sogar die Vertical-Greening-Experten haben an der Außenfassade ganze Arbeit geleistet, ich sitze quasi im Dschungel – eine Oase, hätte man früher gesagt, als die Hundstage noch im Hochsommer waren und nicht im März. Mein Service-Robi sitzt links von mir, stellt mir alles ergonomisch ein, rollt mein Tablet aus, schaltet alle Verbindungen frei.

Das geht ruckzuck – ich habe mich letztlich doch chippen lassen. Auch meine Buchhaltung sitzt nun zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, knapp unter der Haut.Lange wollte ich das Chippen nicht, aber es ist nun einmal praktischer. So geht auch die Sprachsteuerung fehlerfreier, ich habe die höchsten Freigaben, und diese Firma lässt mich sofort wissen, wenn ich bei meiner Arbeit müde werde, oder wenn ich zu ärgerlich oder zu langsam bin. Das brauche ich, sonst sinkt meine Entlohnung.Ich bestelle Früchte und schwarzen Kaffee. Das mache ich in diesem Job immer so. In einem anderen rufe ich zuerst mein liebstes Hologramm auf – eine beruhigende Weide mit Kühen. Dort sitze ich auch nicht und passe dem so hübsch geschwungenen Loungetisch meinen Bildschirm an. Lustig, wenn ich das biegsame Handy, ein bisschen wie bei Salvador Dalí, über die Tischkante lege. Das ist aber nur meine Nostalgie, in meiner Wolke ist alles überall verfügbar. Ich brauchte diese Geräte nicht mehr. Mein Arbeitsplatz ist in mir.

Heute bin ich eben in diesem Unternehmen, eines von sieben, für die ich arbeite. Ja, es ist fünf Uhr früh, ich bin ein Early Bird. Vor zehn Jahren rief diese totale Entgrenzung von Zeit und Raum im Homeoffice noch große Aufregung hervor, aber das ist lange her. Meine Kollegin drüben arbeitet noch immer mit der XR-Brille auf der Nase, die Extended Reality ist auch ein bisschen nostalgisch. Sie geht aber gern bei der Arbeit spazieren, sagt sie. Sie macht Übersetzungen in Echtzeit – 25 Sprachen, alles im Livestream. Google Translate? Das war einmal. Ja klar, die totale Entgrenzung ist schon anstrengend. Aber andererseits ist der Profit hoch – für solche wie mich, die zu den systemrelevanten, kritisch benötigten Arbeitenden gehören. Und wirklich tief fällt niemand mehr, denn es klappt recht gut mit dem Grundeinkommen. Das brauche ich auch, wenn ich ein Jahr nicht arbeite. Heuer, im Jahr 2032, arbeite ich viel, natürlich auch am 1. Mai. (Karin Bauer, 1.5.2020)