Für einen ORF-Drehtag durfte Marcos Nader schon Rocky mimen. Die Macher des nur zwei Jahre lang ausgestrahlten Vorabendmagazins 25 ließen den frischgebackenen Bronzemedaillengewinner der U15-Europameisterschaft 2004 in einer Halle des ehemaligen Wiener Großschlachthofs St. Marx auf Schweinehälften eindreschen, schickten den motivierten Burschen zu einem Trainingslauf über den Naschmarkt und schließlich die Stiegen hinauf zur Wiener Hauptbibliothek.

JohnVexer

Im verlangten Jubel hoch über dem Verkehrsgetöse des Gürtels den Gesichtsausdruck Sylvester Stallones zu imitieren fiel Nader, dem boxerischen Supertalent, schwer. "Slys" Mimik ist schließlich so einzigartig wie die Erfolgsgeschichte des Erstlings einer bisher acht Filme umfassend Serie. Ein neunter Streich soll bereits in Planung sein.

1976, Marcos Nader war noch nicht einmal ein sündiger Gedanke seiner Eltern, war Rocky – Die Chance seines Lebens ein völlig unerwarteter Kassenschlager. Sylvester Stallone, ein eher verzweifelter als guter Schauspieler und bis dahin erfolgloser Drehbuchautor, hatte sich, inspiriert von einem Kampf des Giganten Muhammad Ali gegen einen unstandesgemäßen Herausforderer namens Chuck Wepner, die Rolle seines Lebens auf den eignen Leib geschrieben. Im Gegensatz zu Wepner, der trotz seiner beschränkten Mittel Ali erst in der 15. und letzten Runde durch K. o. unterlag, sollte Rocky schon im zweiten Filmteil gegen den begnadeten schwarzen Champion namens Apollo Creed (Carl Weathers) Schwergewichtsweltmeister werden.

Rocky, noch nicht schwer gezeichnet, mit Trainer Mickey Goldmill (rechts).
Foto: Imago / United Archives

Nachhaltig beeindruckt

Der 30-jährige Mittelgewichtler Marcos Nader, gegenwärtig International Champion der IBF (International Boxing Federation) in Corona-bedingter Zwangspause, hat Rocky schon als "sechs-, siebenjähriger Bub gesehen" und war wenig überraschend nachhaltig beeindruckt. "Wenn ich das Wort Schauspieler hörte, hatte ich automatisch Rocky, also Sylvester Stallone, vor Augen." Der mit drei Oscars ausgezeichnete Film über den Underdog aus Philadelphia ist für den Boxer "wirklich Hollywood. Eine gute Geschichte, mit sehr viel Fantasie top gemacht. Mit echtem Boxen hat das wenig zu tun."

Die späteren Filme der Reihe haben den Sieger von 22 seiner bisher 24 Profikämpfen sportspezifisch deutlich mehr überzeugt. "Es wurde von Teil zu Teil besser. Schließlich haben dann auch echte, gute Boxer mitgespielt." Einer von ihnen, Tommy Morrison, Rockys boxerischer Ziehsohn im fünften Teil der Saga, war sogar Schwergewichtsweltmeister.

Nachgestellt

Immer noch gültig ist für Nader die in Rocky erzählte Geschichte vom nicht sonderlich talentierten Außenseiter, der eine goldene Chance erhält und alles gibt, um sie auch zu nützen. In Naders Boxklub Bounce ist sie Stoff vieler Träume.

Marcos Nader, Boxprofi und -trainer, hat Zwangspause.
Foto: APA/EXPA/THOMAS HAUMER

Für den kleinen Nader war es nicht schwer, immer wieder inhalierte ikonische Szenen nachzustellen. Den Rocky Balboa zu geben, der wie einst Joe Frazier im Schlachthof arbeitet und an Rinderhälften trainiert, unter mehr und mehr Anfeuerungsrufen durch sein Viertel joggt und schließlich die 72 Stufen hinauf zum Philadelphia Museum of Art jagt, um oben zu jubeln.

Heute ziert eine lebensgroße Rocky-Statue den Park vor der berühmtesten Filmtreppe der Geschichte. Rocky-Touren sind der Renner in der Stadt am Delaware. Am Laurel Hill Cemetery in Nord Philly ist noch immer das fiktive Grab von Adrian Balboa zu finden, der von Talia Shire gespielten Ehefrau von Rocky. Die Liebesgeschichte der beiden, in Teil eins nicht nur Nebensache, hat Marcos, den Bub, der vom Boxen träumte, wohl weniger interessiert. (Sigi Lützow, 30.4.2020)