Hubble sorgte für die bislang schärfste Aufnahme eines zerbrechenden Kometen.
Foto: NASA, ESA, D. Jewitt (UCLA), Q. Ye (University of Maryland)

Ein Komet, der erst im vergangenen Dezember entdeckt wurde, ist bereits wieder Geschichte: Obwohl der Schweifstern mit der Bezeichnung C/2019 Y4 (Atlas) den sonnennächsten Punkt noch gar nicht erreicht hatte, ja noch nicht einmal die Erdbahn passiert hat, zerfiel er in mindestens 25 Bruchstücke, wie nun Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops vom 20. und 23. April zeigen. Die Wolke aus Kometenfragmenten befindet sich weiterhin auf dem Weg ins innere Sonnensystem.

"Das Aussehen dieses Clusters veränderte sich zwischen den beiden Tagen dramatisch. Es fällt ziemlich schwer, die beiden Aufnahmen miteinander in Einklang zu bringen", sagte der Astronom David Jewitt von der University of California in Los Angeles. "Ich weiß nicht, ob dies daran liegt, dass die einzelnen Bruchstücke zwischendurch kein Sonnenlicht reflektieren und somit vorübergehend unsichtbar werden, oder dass an verschiedenen Tagen unterschiedliche Fragmente erkennbar sind."

Die Bilder entstanden in einem Abstand von drei Tagen. Die Unterschiede sind deutlich zu erkennen.
Foto: NASA, ESA, D. Jewitt (UCLA), Q. Ye (University of Maryland)

Nur ein- bis zweimal pro Jahrhundert

Der Zerfall von C/2019 Y4 (Atlas), der ursprünglich einen Durchmesser von etwa 200 Metern besaß, hat die Hoffnungen zunichtegemacht, dass der Komet auch bei Tageslicht mit bloßem Auge von der Erde aus zu erkennen sein wird. Obwohl es häufig vorkommt, dass Kometen in der Nähe der Sonne auseinanderbrechen, ist es dagegen recht selten, dieses Ereignis in so spektakulären Detailreichtum gleichsam in flagranti festzuhalten. "Bei den meisten Kometen sind die Fragmente zu dunkel, um sie beobachten zu können", sagte Quanzhi Ye, Astronom an der University of Maryland. "Ereignisse dieser Größenordnung finden nur ein- oder zweimal im Jahrzehnt statt."

Mit Hubble ist es den Wissenschaftern jedoch gelungen, aus einer Entfernung von 145 Millionen Kilometern einzelne Bruchstücke des Kometen zu fotografieren, die nur etwa die Ausmaße eines Einfamilienhauses haben. Diese Fragmente könnten Hinweise auf den Mechanismus liefern, der hinter dem Zerfall der Wanderer aus Eis und Gestein steckt – ein Prozess, der immer noch nicht vollständig verstanden ist.

C/2019 Y4 (Atlas) vor seinem Zerfall, aufgenommen am 14. März 2020.
Foto: Martin Gembec

Rotation in Sonnennähe

Wissenschafter gehen davon aus, dass der Vorgang mit der Sublimation von Eis zu tun haben könnte, wenn sich der Komet der Sonne nähert und von ihr erwärmt wird. Die dabei stattfindende Ausgasung erzeugt den klassischen Kometenhalo und Kometenschweif. Wenn sich diese Gase in den Weltraum verflüchtigen, können sie einen Rückstoß verursachen, der den Kometen in Rotation versetzt. Ist die Drehung schnell genug, können die Zentripetalkräfte den Kern auseinanderfliegen lassen – so weit zumindest die Theorie.

"Genauere Analysen der Hubble-Daten könnten zeigen, ob dieser Mechanismus tatsächlich für die Kometenfragmentierung verantwortlich ist", meint Jewitt. Außerdem besteht noch Zeit genug für weitere Untersuchungen an der Bruchstück-Wolke, denn C/2019 Y4 (Atlas) befindet sich nach wie vor auf dem Weg ins innere Sonnensystem. Derzeit kreuzt er die Umlaufbahn des Mars, bei seiner aktuellen Geschwindigkeit wird er am 23. Mai die Erdbahn in einer Entfernung von 115 Millionen Kilometern passieren.

Video: Die Bahn von C/2019 Y4 (Atlas)
HubbleESA

Nächster Besuch in 6.000 Jahren

Von dort aus geht es weiter in Richtung Sonne: Am 31. Mai erreicht C/2019 Y4 (Atlas) den sonnennächsten Punkt seiner Umlaufbahn. Dieser liegt etwa 37 Millionen Kilometer von unserem Zentralgestirn entfernt, also weit innerhalb der durchschnittlichen Umlaufbahn des Merkur (die sich in 57,9 Millionen Kilometern von der Sonne entfernt befindet). Danach wird sich die Kometenwolke wieder in ferne Gefilde des Sonnensystems aufmachen. Das nächste Mal wird C/2019 Y4 (Atlas) erst wieder in rund 6.000 Jahren das innere Sonnensystem besuchen. (tberg, 30.4.2020)