Verschwörungstheorien florieren in Zeiten von Corona.

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Es fing mit einer Nachricht auf Whatsapp an. "5G-Apokalypse – Das Ausrottungsereignis" stand da plötzlich auf meinem Display, Absender war mein Onkel. Ich wunderte mich, was diese Mitteilung soll. Er hatte nie den Eindruck gemacht, dass er solchen Verschwörungstheorien Glauben schenkt. Man sah sich ab und zu, plauderte beim gemeinsamen Essen und half sich da und dort, wo man konnte. Was sollte diese Nachricht mit dem fast einstündigen Video nun? Ich öffnete den Link und wurde innerhalb kürzester Zeit mit den wildesten Theorien zu der Mobilfunktechnologie eingedeckt. Nach ein paar Minuten war es mir zu viel.

Von "gekauften" Journalisten

Um den wilden Thesen entgegenzuwirken, schickte ich meinem Onkel einen Artikel. Darin waren etliche Gerüchte zu 5G aufgezählt und erläutert, was tatsächlich dahintersteckt. Ich schickte ihm den Bericht genauso wortlos zurück, wie er mir zuvor das Video geschickt hatte. Vielleicht überdenkt er alles und setzt sich eventuell doch mit den Fakten auseinander. Nach wenigen Minuten blinkte das Display meines Smartphones auf. Erneut eine Nachricht meines Onkels. Zurück kam ein weiteres Video, in dem der deutsche Publizist Udo Ulfkotte über "gekaufte Journalisten" spricht.

Wie reagiert man auf so was?

Diese Nachricht traf mich. Er sah mich aufwachsen, älter werden und im Journalismus Fuß fassen. Dass er mir nun indirekt nachsagte, dass ich "gekauft" sei und "lüge", beschäftigte mich tagelang. Anfangs wollte ich ihm im Scherz zurückschreiben, dass er doch eh wisse, wie wenig Geld ich habe. Wäre ich tatsächlich gekauft, würde ich doch ganz anders leben. Allerdings hatte ich vorerst genug. Ich löschte die Konversation, versuchte das Erlebnis zu verdrängen und dachte nach wenigen Tagen auch nicht mehr darüber nach.

Ein Geschenk zu Weihnachten

Erst als wir uns ein paar Monate später zu Weihnachten wiedersahen, wurde ich an die Nachricht erinnert. Wie gewohnt, begrüßten wir uns nett und plauderten miteinander. Ich dachte, dass das vielleicht nur ein "Ausrutscher" gewesen ist, bis es zur Bescherung kam. Er kam auf mich zu und sagte, dass er etwas für mich habe – ich aber versprechen sollte, dass ich das Geschenk nicht entsorge. Ich wurde nervös und an die frühere Konversation erinnert. In der Hand hielt er ein Printmedium, das laut Politikwissenschaftern "rechtsextreme Tendenzen" aufweise.

Die Theorien breiten sich aus

Widerwillig bedankte ich mich für das Geschenk und legte es auf die Seite. Als mein anwesender Vater das sah, kommentierte er dies mit den Worten "Schau doch mal rein, da stehen wirklich interessante Dinge drinnen, die man sonst nirgends liest". Mein Onkel hatte für seine Theorien also eine weitere Person gefunden – in meiner eigenen Familie. Sollte ich nun eine Diskussion anfangen und im Grunde den "Weihnachtsfrieden" zerstören? Ich verkniff es mir und redete unter vier Augen mit meinem Vater über das Geschenk.

Die "Klimawandel-Hysterie"

Ich machte ihm klar, dass er diese Zeitung gerne lesen könne, aber zugleich auch einordnen solle. In dem Heft wurde etwa der menschgemachte Klimawandel geleugnet. Es sei alles nur eine große Hysterie, stand dort geschrieben. Ich sagte meinem Vater, dass es bei kaum einem anderen Thema einen derart großen Konsens unter Wissenschaftern gibt, dass wir eben schon einen Anteil daran haben. Während des Gesprächs hatte ich aber immer wieder das Gefühl, dass meine Worte auf taube Ohren stoßen. Nachdem ich durch das Heft geblättert hatte, gab ich meinem Onkel das Geschenk wieder mit.

Eine weitere Person infiziert

Monate vergingen. Erst als ich meine Cousine zufällig traf, wurde ich wieder an alles erinnert. Man unterhielt sich über Corona und ihr Wohlbefinden. Irgendwann kamen wir dann auch auf die Pharmaindustrie zu sprechen. "Die wollen doch eh nur, dass wir krank bleiben. Sonst würden sie kein Geld verdienen. So wie bei Aids, da gibt es doch längst auch schon ein Heilmittel", sagte sie. Erneut war ich baff. Woher sie diese Info habe, fragte ich. Wie zu erwarten, fiel der Name meines Onkels.

Eine Bewährungsprobe für die Familie

Immer wieder frage ich mich, wie das passieren konnte. Ich hätte meinen Onkel nie so eingeschätzt, dass er offen für derartige Theorien sei. Über Politik wurde bei uns nie viel gesprochen, da und dort blitzten nur konservative Ansichten auf. Ich habe auch kein Problem mit Menschen, die eine konträre politische Weltanschauung haben. Gerne diskutiere ich auch. Gerade durch Diskussionen mit Menschen, die eine andere Meinung teilen, lernt man etwas. Bei Verschwörungstheorien mache ich aber nicht mit. Ich habe meinen Onkel wohl verloren. (Gabriel Sommer*, 3.5.2020)