Knapp fünf Jahre nach Beginn des Dieselskandals müssen sich Autobauer auf eine Schlappe vor dem Europäischen Gerichtshof gefasst machen.

Foto: APA/AFP/RONNY HARTMANN

Luxemburg/Wolfsburg – Knapp fünf Jahre nach Beginn des Dieselskandals müssen sich Autobauer auf eine Schlappe vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gefasst machen. Die zuständige EuGH-Gutachterin vertrat am Donnerstag die Ansicht, eine zur Senkung von Abgaswerten bei Labortests eingesetzte Software sei eine "Abschalteinrichtung" und damit nach EU-Recht verboten. Das Urteil dürfte in einigen Wochen erfolgen.

Vorgeschichte

Im September 2015 flog auf, dass Volkswagen mit spezieller Software Abgaswerte bei Zulassungstests manipuliert hatte. Die Folge waren Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe und eine Klagewelle, die immer noch läuft. Vor dem EuGH geht es ebenfalls um solche Manipulationen auf dem Prüfstand, in diesem Fall in Frankreich. Dort wird gegen einen Hersteller von Dieselfahrzeugen – im Verfahren nur mit X bezeichnet – wegen arglistiger Täuschung ermittelt.

Eine spezielle Software in seinen Fahrzeugen hatte erkannt, ob der Wagen für Zulassungstests im Labor geprüft wurde. Während der Tests lief dann mit voller Stärke die sogenannte Abgasrückführung, die den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide drosselte. So wurden im Labor die entsprechenden Euro-Grenzwerte eingehalten. Im Normalbetrieb wurde die Abgasrückführung dann aber gedrosselt. Der Effekt war mehr Motorleistung, aber eben auch ein höherer Stickoxid-Wert.

Heißersehntes Gutachten

In der EU-Verordnung zur Typgenehmigung für Fahrzeuge nach den Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 sind sogenannte Abschalteinrichtungen grundsätzlich verboten. Aber handelt es sich bei der eingesetzten Software um eine solche verbotene Abschalteinrichtung? Der französische Hersteller bestreitet das, sodass die französischen Ermittlungsrichter den EuGH um Auslegung des EU-Rechts baten.

Generalanwältin Eleanor Sharpston sagt in ihrem Gutachten eindeutig: ja. Doch kommt sie zu dem Schluss erst nach einer komplexen technischen und juristischen Prüfung – ihr Gutachten sollte bereits vor Monaten vorliegen, wurde aber mehrfach hinausgezögert.

Streitfragen

So ging es einerseits darum, ob die mit der Software beeinflusste Abgasrückführung zu dem in der Verordnung genannten "Emissionskontrollsystem" gehört oder nicht. Der in Frankreich verfolgte Hersteller argumentierte, das umstrittene Programm sei in der Verordnung nicht gemeint. Doch Sharpston widersprach.

Die andere Streitfrage lautete: Könnte eine Drosselung des Reinigungssystems zulässig sein, weil damit der Motor geschont wird? In dem französischen Verfahren hatte ein technischer Gutachter erklärt, wenn die Abgasrückführung auch beim normalen Fahren auf der Straße voll liefe, würde der Motor schneller verschmutzen und die Wartung wäre teurer. Aus Sicht der EuGH-Generalanwältin reicht das aber nicht als Rechtfertigung für eine Ausnahme von dem Verbot.

"VW-Argumentation zerbröselt"

"Damit zerbröselt die Argumentation etwa von VW und anderen Dieselfahrzeugherstellern, dass in Europa solche Abschalteinrichtungen nach EU-Recht zulässig seien," sagte Peter Kolba, Obmann des österreichischen Verbraucherschutzvereines (VSV), in einer Reaktion. "Der EuGH folgt in 80 Prozent seiner Urteile der Stellungnahme der Generalanwälte."

Der VSV bietet allen betroffenen Dieselfahrern von VW, Seat, Škoda, Audi, und Daimler kosten- und risikofreie individuelle Klagen vor deutschen Gerichten an.

Für deutsche VW-Kunden ist am Donnerstag die Frist zu Ende gegangen, sich dem Vergleich des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) mit VW anzuschließen, von dem Ausländer ausgeschlossen sind.

VW teilte mit, dass rund 235.000 VW-Kunden dem vom VZBV ausgehandelten Vergleich mit VW im Dieselskandal zugestimmt hätten. VW zahlt ihnen insgesamt rund 750 Millionen Euro. Weitere 17.000 Fälle seien noch in der Prüfung.

VW und VZBV hatten sich Ende Februar auf einen Vergleich für gut 262.000 vom Abgasskandal betroffene Dieselfahrer geeinigt. Insgesamt sollen die Kunden 830 Millionen Euro erhalten. Am Donnerstag war nach einer Fristverlängerung der letztmögliche Termin, sich bei VW zu registrieren und damit Anspruch auf eine Vergleichszahlung anzumelden.

Vorgeschichte II

Volkswagen hatte im September 2015 zugegeben, in weltweit elf Millionen Fahrzeugen eine illegale Software eingesetzt zu haben. In Deutschland betroffen waren mehr als zwei Millionen Kunden. Der Konzern verweigerte lange Entschädigungszahlungen.

Ende 2018 wurde dann die Musterfeststellungsklage als neues Klageinstrument eingeführt. Sie soll, auch mit Blick auf den Dieselskandal, Verbraucher im Kräftemessen mit Konzernen stärken und verhindern, dass sie auf einklagbare Rechte verzichten. Der VZBV zog im Herbst 2019 stellvertretend für betroffene VW-Kunden vor Gericht. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig schlug schnell Vergleichsverhandlungen vor – Ende Februar wurde der Vergleich geschlossen. Das OLG erklärte den Prozess am Donnerstag für beendet. Der VZBV habe seine Musterfeststellungsklage gegen VW "am heutigen 30. April" zurückgenommen. (APA, dpa, 30.4.2020)