Eduard hat alles getan, um wie ein archetypischer, traditioneller Österreicher auszusehen.

Foto: Bonyhady

Ich kannte meinen Großvater Eduard kaum. Nachdem sich meine Eltern 1963 getrennt hatten, als ich fünf war, und meine Mutter mit meinem älteren Bruder und mir von Sydney nach Melbourne übersiedelt war, kann ich mich nicht daran erinnern, ihn bis zu seinem Tod 1967 gesehen zu haben.

Mein Bruder glaubt, dass wir ihn auf einem unserer Besuche in Sydney getroffen haben. Obwohl Eduard in meiner Familiengeschichte Wohllebengasse vorkommt und ich einen eigenen Text über seine Haft im KZ Dachau nach dem Novemberpogrom 1938 verfasst habe, bleibt er für mich in vielerlei Hinsicht ein Rätsel.

Eine Sache weiß ich über Eduard, der 1888 in Bruck an der Mur geboren wurde: Er liebte die Alpen. Das eine Fotoalbum, das noch existiert, dokumentiert seine größte Besteigung, wahrscheinlich kurz nach dem Ersten Weltkrieg – von Hallstatt über die Simonyhütte auf den Hohen Dachstein. Auf einem Gipfelfoto mit ihm und seinen Kameraden hat er stolz die Seehöhe des Dachsteins notiert. Ich habe von ihm alle Ausgaben der Zeitschriften des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins geerbt.

Erschütternder Brief

Wenn ich mehr über Eduard herausfinden möchte, so dachte ich mir, müsste ich selbst suchen. Aber vor nicht allzu langer Zeit erhielt ich in Canberra, wo ich wohne, eine E-Mail des Graz-Museums, der Stadt, in der Eduard aufwuchs und arbeitete.

Die E-Mail enthielt einen Brief, den er im März 1920 an die Zentrale des Alpenvereins in Wien geschrieben hatte. Darin erhob er Einspruch gegen die Entscheidung der Grazer Sektion, seine Mitgliedschaft nicht zu erneuern, weil er Jude sei.

Ich wusste natürlich, dass Eduard schon lange vor dem "Anschluss" 1938 Antisemitismus erfahren hatte, aber ich wusste nichts von seinem Ausschluss aus dem Alpenverein. Sein Protestbrief macht diesen Antisemitismus anschaulich – ein kleines Beispiel, in dem eine allgemeine Erfahrung konkret wird.

Der Brief erschütterte mich, auch wegen des Zeitpunkts. Als Folge eines Glücksgriffs der Historiker, die in der Grazer Sektion des Alpenvereins forschen, wurde der Brief im Frühjahr 2020, genau ein Jahrhundert nach seinem Entstehen, gefunden und mir zugesandt.

Sobald ich konnte, fuhr ich nach Sydney und zeigte den Brief meinem Vater Eric, der als 15-Jähriger im Jahr 1939 den ersten Pessachabend in Graz mit seinen Großeltern väterlicherseits, seinen Eltern und seinem Bruder Frederick gefeiert hatte. Dank der Visa, die sie ergattert hatten, flohen seine Eltern kurz später mit Eric und Fred nach Australien.

Ich wusste, dass mein Vater, nunmehr 96, gern etwas über Ereignisse vor seiner Geburt erfahren würde. Ich freute mich darauf, die unerwartete Erkenntnis mit ihm zu teilen, aber mir war bewusst, dass es ihn aufregen würde.

Brief an den Alpenverein

Das Graz-Museum hatte mich kontaktiert, weil sie nach der Entdeckung von Eduards Brief ein Foto vom ihm für ihre Ausstellung Stadt sucht Berg, die sich mit der Grazer Sektion des Alpenvereins beschäftigte, suchten. Statt des Fotos von Eduard und seinen Kameraden auf dem Dachstein wählten sie ein kleines schwarz-weißes Studioporträt aus, das sich leicht einfärben ließ.

Mit seinem grünen Hut, der grauen Jacke mit dem grünen Rand, dem grünen Mantel, schwarzer Lederhose und Halbstiefeln hat Eduard alles getan, um wie ein archetypischer traditioneller Österreicher auszusehen.

Das Foto wurde in Klagenfurt aufgenommen. Dort arbeitete Eduard für seinen Onkel Max Stössl, der mehr als 40 Jahre lang die lokale jüdische Gemeinde leitete und wie viele in der Familie meines Vaters im Lederhandel tätig war. Eduard arbeitete für eine kleine Filiale in der slowenischen Gemeinde Celje, die damals zum Habsburgerreich dazugehörte.

Am Ersten Weltkrieg nahm er als Unteroffizier teil. Im März 1920, als er gegen seinen Ausschluss aus dem Alpenverein protestierte, war er zurück in Graz im Ledergeschäft seines Vaters Salomon, ebenfalls ein prominentes Mitglied in der dortigen jüdischen Gemeinde. Mit 32 wohnte er wieder bei seinen Eltern, plante aber im Laufe des Jahres zu heiraten.

Ausschluss der Juden

Sein Protestbrief an den Alpenverein war eine Reaktion auf die Einführung des Arierparagrafen in der Grazer Sektion. Damit wurde in vielen österreichischen und deutschen Organisationen, vor allem im Studenten-, Sport- und Alpinbereich, die Mitgliedschaft auf "Deutsche arischer Abstammung" beschränkt.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten vier Alpenvereinssektionen mit dieser Klausel Juden ausgeschlossen. Nach dem Krieg nahm der Antisemitismus im Alpenverein zu. Graz war ein Vorreiter, aber die meisten anderen Sektionen folgten bald. Als Antwort gründeten Nichtjuden, die den Antisemitismus ablehnten, eine eigene Sektion Donau, die wiederum 1924 vom Alpenverein ausgeschlossen wurde.

Eduard war in Graz kein prominenter Bürger, aber selbstbewusst focht er seinen Ausschluss in einem festen, knappen und höflichen Stil an und verbarg dabei den Zorn und die persönliche Verletzung, die er sicherlich verspürt hatte. Er schrieb an die zentrale Sektion von "unseren Alpen" und signalisierte damit, dass diese genauso seine waren wie ihre.

Er beschrieb seine Entscheidung zum Beitritt als Pflicht, damit er zum Bau von Berghütten und Wegen beitragen könne. Um seine Loyalität zum Vaterland zu betonen, fügte Eduard hinzu, dass er während seiner Militärzeit 1918 beigetreten war. Er erklärte es für "unrichtig", dass die Sektion zwischen Religionen diskriminiert.

Dachstein-Besteigung: Auf einem Gipfelfoto mit ihm und seinen Kameraden hat Eduard stolz die Seehöhe des Dachsteins notiert.
Foto: Bonyhady

Als Staatsbürger von Deutsch-Österreich, der in Bruck geboren war und nun zu Graz gehörte, sei es sein "gutes Recht, gegen eine Ausscheidung durch konfessionelle Gründe zu protestieren". Eduard zeigte sich im Brief zuversichtlich, dass der "verehrliche Haupt-Ausschuss" in Wien seine Position "unbedingt" teilen und die "kleinlichen und unwürdigen Anschauungen" der Grazer Sektion verwerfen werde. Er unterschrieb "mit vorzüglicher Hochachtung".

Die Antwort drei Wochen später war knapp. Die Wiener Organisation wies Eduard dar auf hin, dass die Grazer Sektion autonom sei und das Thema bis Ende Mai lösen würde. Während sie ihre Antwort an die Grazer "mit alpinem Gruß" weiterleitete, verzichtete sie im Schreiben an Eduard auf diese Formel.

Waldheim in Australien

Eines der Dinge, die mich an Eduards Brief überraschten, war die Tatsache, dass ich von ihm die gesammelten Alpenvereinszeitschriften von 1909 bis 1924 geerbt hatte, es fehlte nur der Jahrgang 1915. Ich dachte, dies sei Zeichen einer langjährigen Mitgliedschaft. Im Lichte des Briefs änderte sich die Bedeutung. Die Ausgaben von 1909 bis 1917 lassen sich damit erklären, dass Eduard so viel Interesse am Alpenverein hatte, dass er fast ein Jahrzehnt ältere Ausgaben erwarb.

Aber warum die Jahrgänge 1921 bis 1923? Vielleicht hat die Grazer Sektion die Juden nicht alle auf einmal ausgeschlossen und Eduard blieb noch drei Jahre lang Mitglied. Oder er trat der Sektion Donau bei. Was immer es war: Im Jahr 1924, als die Antisemiten sich durchsetzten, war Eduard nicht mehr Teil des Alpenvereins.

Eduard gab seine große Liebe zu den Bergen an meinen Vater weiter, und der brachte sie nach Australien mit. Meine Eltern waren besonders erfreut, als sie bei ihrem ersten Besuch in Tasmanien Anfang 1949 das "Waldheim" entdeckten, das der Österreicher Gustav Weindorfer am Cradle Mountain errichtet hatte.

Während meine Mutter sich öfter enttäuscht über die australischen Berge äußerte, die nicht an die Größe der Alpen heranreichten, war sie vom Waldheim, das nach Weindorfers Tod 1932 für Touristen geöffnet wurde, stets begeistert.

Nie wieder eine Alpenvereinshütte betreten

In einem Brief an eine Kindheitsfreundin schrieb meine Mutter, dass ihr Aufenthalt im Waldheim und die Besteigung des Cradle Mountain "der schönste Teil unseres Urlaubs" waren. Ihr einziger Wunsch sei, bald wiederzukommen.

Während meine Mutter als junges Mädchen Alpenvereinshütten besucht hatte, vor allem die Loserhütte oberhalb von Altaussee, wo ihre Familie eine Villa besaß, und eine Nacht in der Heidelberger Hütte verbracht hatte, war mein Vater in keiner Hütte des Vereins, bevor er mit 15 aus Österreich flüchten musste. Selbst wenn das möglich gewesen wäre, denke ich mir, dass Eduard nach seinem Ausschluss entschieden hat, nie wieder eine Alpenvereinshütte zu betreten.

In meiner Korrespondenz mit dem Graz-Museum bat ich um mehr Material über den Antisemitismus im Alpenverein. Sie schickten mir einen Essay des Innsbrucker Historikers Martin Achrainer aus dem Jahr 2009 über die Liebe der österreichischen Juden zu den Alpen.

In Sydney gab ich meinem Vater zuerst diesen Beitrag. Nach dem Abendessen begann er ihn zu lesen. Es war ein langer Text, und obwohl Eric nur gelegentlich auf Deutsch las, war er am nächsten Vormittag damit fertig. Danach lasen wir Eduards Brief – das wollte ich mit ihm gemeinsam tun.

Ich spürte seine Trauer und Schmerzen über das, was seinem Vater widerfahren war. "Stell dir vor, du musst so leben", sagte er, obwohl er Ähnliches unter schlimmeren Bedingungen erlebt hatte. Eric war besonders erzürnt, als er in Achrainers Essay erfuhr, dass die Alpenvereinshütten Schilder mit der Aufschrift "Juden und Mitglieder der Sektion Donau sind nicht willkommen" angebracht hatten.

Bevor ich Sydney verließ, fragte ich ihn, ob er Achrainers Artikel behalten möchte, damit er ihn noch einmal lesen kann. "Ich habe darüber nachgedacht", sagte Eric und schüttelte dann den Kopf. "Er ist für mich erschütternd." (Tim Bonyhady, Übersetzung Eric Frey, 2.5.2020)