Es ist ein in zweifacher Hinsicht ungewohntes Bild, das sich auf dem Rathausplatz bietet: Flaggen wehen, Stimmen rufen nach einer antikapitalistischen Gesellschaft, Leute debattieren oder trinken Dosenbier, dazu die Internationale. Demos waren während des Lockdowns kein Teil von Wien. Seit dem 1. Mai laufen sie wieder an, gleich 15 waren für diesen Freitag angemeldet.

Am Praterstern versammelten sich laut Schätzungen einige hundert Personen zur Mayday-Demo.
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Ungewöhnlich ist der Anblick aber auch, weil an jedem anderem Tag der Arbeit die SPÖ den Rathausplatz für sich hatte; letztes Jahr fanden sich – je nach Zählweise – 12.000 oder 120.000 Genossen ein. Heuer ist da nicht die SPÖ, sondern "Links Wien", eine junge Partei, die gegen die SPÖ bei der Wien-Wahl im Oktober antreten wird. Die Teilnehmeranzahl liegt bei einem Bruchteil – egal, bei welcher Zählweise.

FPÖ Wien

Sterne, Punkte und Herzen markieren, wo sich die Teilnehmer hinstellen sollen, damit der Sicherheitsabstand eingehalten wird. Der Großteil der Symbole bleibt frei. Die Demo Mayday zieht währenddessen mit kapitalismuskritischer Agenda Richtung Rathausplatz, die Polizei spricht immerhin von mehreren hundert Teilnehmern.

Und die Wiener FPÖ bietet eine One-Man-Show. Parteichef Dominik Nepp hat auf dem Platz ein Video drehen lassen, um seine Schadenfreude zu zeigen, dass sich "sozialistische Bonzen" nicht mehr "abfeiern" lassen können.

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Plakate und Pappnelken

Die Angesprochenen sind vor Ort mit großen "Freundschaft"-Plakaten präsent, die von überdimensionalen Pappnelken flankiert sind. Alle anderen Mai-Aktivitäten hatte die SPÖ in die virtuelle Welt verlegt: Reden gab es nur per Video zu sehen.

Geht es nach Pamela Rendi-Wagner, dann müsse die Corona-Krise nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt der Politik verändern. Die Pandemie habe die marktversessene Ideologie der Konservativen und Neoliberalen "in die Mottenkiste" befördert, befindet die SPÖ-Chefin und sieht den Beweis erbracht, dass der Sozialstaat und das öffentliche Gesundheitssystem alternativlos seien. Neben höherem Arbeitslosengeld und Vermögensteuern fordert sie auch eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden.

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Weniger ideologisch gingen es die Koalitionsparteien an. Türkise und grüne Regierungsmitglieder statteten Werktätigen Besuche ab, die trotz Feiertag arbeiteten. Bedankt haben sich die Politiker etwa bei Mitarbeitern der Lebensmittel- oder Stromversorgung, in Verkehrsbetrieben und der Justizwache, bei Polizisten, Richtern, Pflegerinnen und Tierbetreuern.

Der heurige 1. Mai muss ohne Aufmärsche, ohne Transparente und ohne Sprechchöre aufgrund der Coronakrise stattfinden. Als Bühne dient diesmal das Internet, SPÖ-Anhänger sitzen vor Fernsehern oder Computern – jedenfalls sind die meisten zu Hause.
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Die FPÖ hat hingegen um etwas gebeten, und zwar um Unterschriften für ihre Petition gegen die Anti-Corona-Maßnahmen. Die Blauen wollte zurück in die "normale Normalität", hieß es bei der fürs Internet gestarteten Aktion. Die Neos beschworen die der Krise innewohnende "enorme Chance", besser zu werden – vor allem in der Bildung. (Gabriele Scherndl, Gerald John, 2.5.2020)