Silvia Rozas und Marco Zambon beliefern in Venedig Krankenhausmitarbeiter mit gutem Essen.

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Gastronomen aus Italien, Spanien, Ghana, Brasilien, den USA, England und der Türkei erzählen im Rahmen einer Videokonferenz, wie Covid-19 ihr Land, ihre Branche, ihre Lieben, ihr Leben trifft. Und welche Maßnahmen sie ergreifen, um dem entgegenzutreten. 1.000 Journalisten von allen Kontinenten hörten zu.

Brasilien – "Ein Lockdown in den Favelas ist nicht möglich"

David Hertz ist Mitbegründer der NGO Gastromotiva. Die Non-Profit-Organisation ermöglicht jungen Menschen aus armen Gegenden eine Ausbildung in der Gastronomie und hilft ihnen dabei, eine Arbeit zu finden. In Zusammenarbeit mit Massimo Bottura in Italien und der brasilianischen Journalistin Ale Forbes hat er Refettorio Gastromotiva gegründet, ein Projekt, im Rahmen dessen gekocht und gegessen wird – mit dem Ziel, Lebensmittelverschwendung und Mangelernährung entgegenzuwirken und soziale Randgruppen zu integrieren.

Covid-19, sagt Hertz, addiert sich in Brasilien zur ökonomischen und sozialen Krise, die ohnehin schon bestehe. "In den Favelas ist alles geöffnet. Gehen die Menschen nicht raus, verhungern sie. Sie haben mehr Angst davor als vor dem Virus."

"Soziale Gastronomie war niemals sinnvoller", sagt David Hertz, der während der Pandemie Konvente bei der Ausspeisung unterstützt. Als Vermittler zwischen Unternehmen, Staat und NGOs sammelt er Spendengelder, die zu Essen verkocht werden.
Foto: Basque Culinary Center

Während der Krise hilft Hertz mit Gastromotiva Kirchen und Konventen beim Kochen und dem Verteilen von Speisen. Die Köche, die die Gerichte zubereiten, sind in den verschiedensten Restaurants angestellt. Somit ist das zudem für die Restaurantbesitzer eine Hilfe, ihre Mitarbeiter zu halten.

Was er aus dieser Zeit mitnimmt: "Momentan schaffen wir 80.000 Menüs pro Monat. Mein Ziel ist, eine Million Menüs pro Monat zu kochen. Diese werden wir auch nach der Krise brauchen. Und ich weiß, dass wir das schaffen können. Natürlich nur alle gemeinsam, aber es geht. Das zeigt mir diese Zeit."


Spanien – "Wir dachten, wir wären ein fortgeschrittenes Land"

Eneko Atxa betreibt ein Drei-Sterne-Restaurant namens Azurmendi im Baskenland und zwei Dependancen in England und Japan. Nach dem ersten Schock und der Erkenntnis, dass Spanien und seine Gastronomie nicht so krisenfest und fortgeschritten seien wie gedacht, gelte es nun durchzuhalten und als Branche Teil der Lösung zu werden.

Atxa: "Wir sind als Köche, wenn man so will, Experten für Essen, somit auch für Wohlbefinden – und zwar körperlicher wie seelischer Art. Dieses Wissen jetzt einzusetzen ist wichtiger denn je."

Zustellung kommt für die Köche im Baskenland nicht infrage – es scheitert an der Auslieferungslogistik, die in diesem Teil Spaniens nicht in der Form ausgebaut ist, als dass ein Lieferservice funktionieren würde. Atxa investiert seine Zeit in ein Forschungsprojekt in Kooperation mit der Universität Stanford. Es geht darum, die nachhaltigsten Lebensmittel der Welt zu finden und Techniken, die es ermöglichen, sogar Minus-CO2-Werte zu erreichen.

Koch Diego Guerrero und sein Team des Restaurants DStage in Madrid haben sich in der Krise der Organisation World Central Kitchen angeschlossen und kochen Menüs für Helfer und Bedürftige in Madrid.

Diego Guerrero ist Chefkoch und Inhaber des Restaurant DStage in Madrid. Er und sein Team haben sich in der Krise der Organisation World Central Kitchen von Koch Jose Andrés angeschlossen. Die NGO des in den USA lebenden Spaniers Andrés bereitete vor der Krise Millionen von Essen in Afrika zu. In der Krise hat Andrés einen Teil seines Teams in sein Heimatland Spanien entsandt.

Guerrero in Madrid warnt: "Jetzt aufzumachen kann uns mehr kosten, als geschlossen zu halten. Vorsicht vor all denen, die so rasch wie möglich öffnen wollen. Sie könnten die Ersten sein, die wieder schließen. Das ist keine Zeit für Alleingänge. Diese Krise überstehen wir nur gemeinsam."


Ghana und Türkei – "Die Angst, vor Hunger zu sterben, ist größer als die vor Covid-19"

Der 29-jährige Elijah Amoo Addo ist Gründer und CEO der Organisation Food for All Africa. Es ist der erste Food Community Service in Westafrika. Das Ziel ist, effiziente und nachhaltige Wege zu finden, um bedürftige Familien zu ernähren. Durch das Begleitprojekt Chefs on Wheals haben bereits 200 Jugendliche eine Ausbildung in der Hotellerie abgeschlossen.

Der 29-jährige Elijah Amoo Addo ist Gründer und CEO des ersten Food Community Service in Westafrika.
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Amoo Addo: "Eine der am härtesten getroffenen Gruppen sind jene, die in der Hotellerie arbeiten. Das sind immerhin 40 Prozent der arbeitenden Menschen in Ghana." Nun sind es sie, die mit warmem Essen versorgt werden müssen. Es sei sehr schwer, das Virus in Ghana einzuschränken. "Die Menschen sterben lieber an dem Virus als an dem Hunger, der sie schon jahrzehntelang prägt."

Seife aus der Türkei von syrischen Flüchtlingsfrauen

Die Köchin Ebru Baybara Demir hat in der türkischen Provinz Mardin, nahe der syrischen Grenze, das Projekt From Soil to Plate ins Leben gerufen. Es ermöglicht syrischen Flüchtlingsfrauen eine Ausbildung zur Köchin. Im Rahmen des Projekts bauen die Frauen zudem auf 1.400 Hektar Weizen an. Im letzten Jahr ergab das 800 Tonnen Weizen.

Mit Covid-19 sind die Frauen dazu übergegangen, Seife aus natürlichen und regionalen Materialien zu fertigen. Der Vertrieb der bis zu 25.000 Stück Seife erfolgt ausschließlich über die sozialen Medien. Der Erlös geht ebenso wie jener aus dem Agrarprojekt zu hundert Prozent an die syrischen Frauen.

Syrische Flüchtlingsfrauen in der Türkei fertigten bisher 25.000 Seifen, die Produktion geht weiter. Der Verkauf erfolgt ausschließlich über soziale Medien. Der Erlös geht zu 100 Prozent an die Frauen.

Großbritannien und USA – "Das ist definitiv nicht die letzte Katastrophe"

Douglas McMaster ist Koch und Inhaber des ersten Zero-Waste-Restaurants der Welt. Die ersten Jahre betrieb er das Lokal Silo in Brighton, nun ist er in London. Mit Covid-19 sei die Versorgung durch kleine, hochwertig arbeitende Produzenten mit einem Schlag so gut wie weggebrochen. Sein Restaurant Silo beispielsweise beziehe ausschließlich Produkte von solchen Bauern. Der kleine Produzent kann nicht für einen Bruchteil der Bestellungen ins Ballungszentrum fahren, wenn Restaurants wie seine nicht beziehen. Die Krise hätte zum einen gezeigt, wie sehr das Gros der Menschheit von der Industrie abhängt. Und wie schlecht wir für Krisen wie diese gewappnet sind.

Douglas McMaster, Koch und Inhaber des Zero-Waste-Restaurants Silo in London, arbeitet an der Umsetzung von Zero-Waste-Konzepten für alle.
Foto: Basque Culinary Center

McMaster: "Diese große Unsicherheit, der wir uns gerade gegenübersehen, gibt uns die Möglichkeit zu denken. Es ist eine weit größere Katastrophe im Anmarsch. Sie heißt Klimawandel. Die Verbesserungsrate ist viel zu klein." McMaster arbeitet an einer Online-Lernplattform, die Zero Waste zu einer Mainstream-Idee macht, sodass jeder Zero Waste für sich leben kann. Zudem ist er sich sicher: "Erfolgt keine Dezentralisierung der Lebensmittelversorgung, also der Unterstützung von kleinen, lokalen Produzenten, stehen wir bei der nächsten Krise wieder genauso oder schlimmer da."

Don't panic – compost

Anthony Myint, aktueller Preisträger des Basque Culinary World Price für Innovation in der Gastronomie, hat in den USA ein Zero-Foodprint-Projekt initiiert. Teilnehmende Restaurants weltweit integrieren in ihren Menüpreis eine "Foodprint Fee", einen Betrag, der an die Produzenten, die das Restaurant beliefern, geht. Diese verpflichten sich im Rahmen des Projekts dazu, das Geld dafür zu nutzen, ihre Arbeit nachhaltiger zu gestalten.

Für Myint zeigt die Pandemie, dass unser Lebensmittelsystem durchgängig marode ist. Das aktuell vorherrschende ökonomische System führe dazu, dass Arbeiter im Lebensmittelbereich besonders angreifbar seien. Bedingt durch schlechte Bezahlung und billige und damit umweltschädigende Produktions- und Erntemethoden. Die Pandemie sei eine Chance, das in Zukunft zu ändern.

Italien – Osterjause per Boot

Marco Zambon und Silvia Rozas waren für ihre Abschlussarbeit am Basque Culinary Center im spanischen San Sebastián in ihre Heimat Venedig zurückgekehrt. Dann passierte Covid-19. Sie mutierten ihre Abschlussarbeit in ein Hilfsprojekt im Rahmen der #foodforheroes-Initiative. Sie versorgten Krankenhausmitarbeiter, insbesondere zu Ostern, mit Essen. Rozas: "Ostern ist in Italien normalerweise ein riesiges Fest, das wir mit der Familie feiern. Wir wollten, dass es wenigstens etwas Feines zum Essen gibt, auch wenn das Fest ausfällt."

Silvia Rozas bei der Vorbereitung der Menüs für die Krankenhaus-Angestellten im Giovanni-e-Paolo-Krankenhaus in Venedig.
Foto: Birraria La Corte

Zudem unterstützen sie kleine Produzenten in ihrem Überlebenskampf. Zum einen bereiten sie Gerichte aus ihren Lebensmitteln zu und liefern diese aus. Zum anderen machen sie diese für den späteren Gebrauch haltbar und haben ein Netzwerk aufgebaut, das den Bauern die Verteilung ihrer Produkte erleichtern soll.

Die internationale Zoom-Konferenz wurde vom Basque Culinary Center im spanischen San Sebastián organisiert. Das Institut vergibt jährlich einen mit 100.000 Euro dotierten Preis, den Basque Culinary World Price. Dieser zeichnet Gastronomen aus, die sich mittels auf der Branche basierenden Innovationen für eine bessere Welt engagieren. (Nina Wessely, 5.5.2020)