Die Truppe an der Radieschenwaschmaschine ist bunt gemischt. Ein Lufthansa-Stewart legt die Bündel aufs Fließband, Arbeiter der Glockengießerei Grassmayr kontrollieren, ob alle Radieschen sauber sind, ein anerkannter Flüchtling schlichtet die Bündel in Kisten. Bauer Stefan Müßigang ist froh über diese freiwilligen, nicht unentgeltlichen Helfer in seiner Produktionshalle am ehemaligen Straub-Kasernengelände in Hall in Tirol. Doch er weiß, dass er nicht mehr lange auf sie zählen kann: "Im Mai, wenn die Corona-Beschränkungen auslaufen, werden die meisten in ihre Berufe zurückkehren."
Zur selben Zeit beginnt an den Höfen der Tiroler Gemüsebauern die Erntehochsaison. Hier im Westen bestellen rund 60 Landwirte auf insgesamt 1500 Hektar Österreichs zweitgrößtes Gemüseanbaugebiet. Pro Hektar benötigt ein Bauer rund 1,5 Arbeitskräfte, so der Schlüssel. Im Moment sind etwa zwei Drittel dieser benötigten Helfer im Einsatz. Viele davon haben sich über Frewilligenplattformen gemeldet, aber auch private Arbeitskräfteüberlasser haben die Nachfrage erkannt und versuchen die Notlage von Arbeitssuchenden und Bauern mit zum Teil dubiosen Angeboten auszunutzen. Daher fordern die Landwirte, dass man ihren Erntehelfern, die großteils aus Osteuropa stammen, die Einreise erlaubt. 122 von ihnen kamen bereits in einem eigens gecharteten Flieger vor zwei Wochen aus Rumänien.
"Das sind unsere Schlüsselarbeitskräfte, ohne die geht es nicht", erklärt Andreas Norz, einer der bekannten lokalen Gemüsebauern. Die Arbeit auf dem Feld sei nicht so trivial, wie viele sich das vorstellen. "Allein beim Porree gibt es drei Sorten, die unterschiedlich tief gesetzt werden müssen", sagt Norz. Auch die Ernte der Gemüsesorten erfordere Fachkenntnis und vor allem Ausdauer.
Bauern als Millionäre
Die Gemüsebauern stehen immer wieder in der Kritik. Sie würden nur jammern, ihre Arbeitskräfte ausbeuten und seien in Wahrheit Millionäre, die sich längst nicht mehr selbst die Hände schmutzig machen. Müßigangs grobe, dreckige Pranken widersprechen diesem Bild. Er sieht abgekämpft aus. "Soll ich dir meinen Schuldenstand zeigen? Von wegen Millionär ...", kontert er der Kritik. Er jammere nicht, er mag seinen Beruf. Seine Familie arbeite das ganze Jahr über hart im Betrieb. Und zu seinen Erntehelfern, die teilweise seit 25 Jahren kommen, pflege er ein gutes Verhältnis: "Blöd wär ich, wenn nicht! Ich bin ja auf sie angewiesen."
Doch der schlechte Ruf der Branche kommt nicht von ungefähr. Die letzten Skandale um illegale Beschäftigungspraktiken auf den Tiroler Feldern liegen erst wenige Jahre zurück. "Jahrzehntelang herrschte eine Gutsherrenmentalität in der Landwirtschaft", weiß Gewerkschafter Bernhard Höfler. Zwar habe er immer noch mit "einzelnen schwarzen Schafen" zu kämpfen, aber der Großteil der Bauern habe sich geändert. "Weil sie wissen, dass wir ihnen genau auf die Finger schauen", ist der Sekretär der Poduktions-Gewerkschaft (Proge), überzeugt. Höfler weiß, dass auch die Bauern mit Problemen kämpfen: "Sie stehen unter großem Druck."
Im Zuge der Corona-Krise werden Missstände deutlich, die Ergebnis einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung sind. Man hat den Lebensmittelsektor dem Markt und den Spekulanten überlassen. Die Folge ist ein ungleicher Wettbewerb, der fast nur Verlierer hervorbringt. Tirols Bauern stehen in direkter Konkurrenz zu den Deutschen und Polen. Doch die produzieren ungleich günstiger – die Erntehelfer-Stunde kostet in Tirol 16 Euro, in Deutschland nur zehn, in Polen überhaupt nur 2,70 Euro. Der Handel nutzt das und drückt die Preise.
Gewerkschafter Höfler fordert daher eine staatliche Regulierung des Lebensmittelmarktes: "Die Politik muss den Handel an die Kandare nehmen. Denn der Markt allein regelt gar nichts." Zugleich seien die Bauern selbst gefordert: "Sie haben eine starke politische Lobby. Die ÖVP ist an der Macht und könnte etwas verändern." Doch in Wahrheit interessiere sich weder die Bundes- noch die Landespolitik für diese Problematik. 2015, erzählt Höfler, wollten Gewerkschaft und Thaurer Bauern freiwillige Flüchtlinge in der Landwirtschaft einsetzen. Im Zuge der damaligen Migrationspolitikkrise wurde ein Modell erarbeitet, das Flüchtlingen Integration durch Arbeit geboten hätte. Im Dorf hätte man Unterkünfte, Deutschkurse und Kinderbetreuung organisiert. Doch die politischen Ebenen – rot-schwarz im Bund und schwarz-grün im Land – erteilten dem Projekt eine Absage.
Zwangsverpflichtung sinnlos
Dass nun im Zuge der Corona-Krise über Zwangsverpflichtung von Arbeitslosen nachgedacht wird, halten Bauern wie Gewerkschaft für sinnlos. Niemand könne zu dieser Arbeit gezwungen werden. Auf dem Feld von Bauer Norz ist ein Trupp Erntehelfer mit dem Setzen von Vogerlsalat beschäftigt. Einer von ihnen ist Daniel, Medizinstudent. Er hat sich über die Plattform des Ministeriums als Freiwilliger gemeldet. "Weil ich Zeit habe, einen Job brauchte und helfen wollte", erklärt er seine Motivation. Der Job sei "extrem hart" und "extrem schlecht bezahlt". 20 Stunden à 6,50 Euro die Woche steht und kniet er auf dem Feld: "Ich hatte schon Putzjobs für zwölf Euro die Stunde, die weniger anstrengend waren." Gemüse sei bei uns zu billig, glaubt Daniel, der schwitzend hinter dem Traktor nacharbeitet und die Setzlinge kontrolliert. Es brauche mehr Bewusstsein für den Wert dieser Arbeit und der Produkte, sagt er.
Wie sehr dieses Bewusstsein verlorengegangen ist, erklärt Bauer Müßigang anhand des Tiroler Paradegemüses: "Radieschen haben je zwei Keimblätter, die zuerst austreiben und gelb werden, wenn das Gemüse erntereif ist." Doch der Handel akzeptiert diese gelben Blätter nicht, weil sie für die Konsumenten unansehnlich wirken. Sie müssen daher bei jedem einzelnen Bund von Hand ausgezupft werden. (Steffen Arora, 2.5.2020)