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Und jetzt war alles nur ein Missverständnis – es gab überhaupt keine Ausgangssperre, und die Bevölkerung, zum Gehorsam durch Angst bestens abgerichtet, hat sie in vorauseilendem falschem Vertrauen einfach befolgt! Die Ausgangssperre, die keine war, verhöhnte der "Kurier" die Opfer der Quarantäne. Sie sind der Regierung hereingefallen, denn die kommunizierte schärfer, als es die Verordnung hergab. Aber nicht aus bösem Willen, offenbar hat sie ihre Verordnung selber nicht ganz verstanden. Es kann aber auch sein, dass sie die Österreicherinnen und Österreicher, wenn schon nicht auf das Coronavirus, so wenigstens auf ihre juristische Sattelfestigkeit testen wollte.

Legistisch notleidend

Dabei stellte sich heraus, dass zum Glück für die Regierung unter dem Volk juristische Feinspitze eher selten gesät sind.Da quälten sich die Menschen wochenlang in engen Wohnungen, um dann vernehmen zu müssen, die formal verhängte Ausgangssperre hat es so ohnehin nie gegeben. Sie sei nämlich durch die entsprechende Verordnung des Gesundheitsministeriums gar nicht gedeckt. So stellte einer der juristischen Feinspitze, Bernd-Christian Funk, klar: "Die Verordnung zur Ausgangsbeschränkung ist legistisch notleidend und schrecklich verunglückt."

Leider ließ er einen Schluss folgen, der an Aufforderung zum zivilen Ungehorsam grenzt, zum Glück zu spät. Wenn eine Verordnung derart unklar sei, könne man weder von der Polizei noch von den Bürgern verlangen zu wissen, was nun rechtens ist. Es hätte auf den Straßen zu verfassungsrechtlichen Diskussionen zwischen Bürgern und Polizisten kommen können, womöglich zu Festnahmen wegen öffentlicher Spitzfindigkeit, mit allen Gefahren der wechselseitigen Ansteckung, die die Regierung mit ihrer Verordnung gerade unterbinden wollte.

Hochgeschummelt

Die "Kronen Zeitung" brachte es unter dem Titel Hochgeschummelt auf den Punkt. Was Juristen schon lange behaupten, hat nun auch die Regierung klargestellt, und manch einer wird sich jetzt wohl verhöhnt vorkommen: Es war in den letzten Wochen de jure nie verboten, Verwandte, Nachbarn oder sonst wen zu treffen. Obwohl Türkis-Grün das mantraartig beschworen hatte. Das sonst dem Kanzler ergebene Blatt vermutete bewusste Strategie dahinter.Wenn man sich schon nicht auf strenge Ausgangssperren einigen kann, dann tut man eben in Pressekonferenzen und einer verwirrend formulierten Verordnung so, als gäbe es sie.

Das führt zu der Frage: Warum überhaupt eine Verordnung, wenn es ohnehin Pressekonferenzen gibt, an denen sich selbst juristische Feinspitze die Zähne ausbeißen könnten? Das ist nicht unproblematisch, meinte die "Krone". Denn abgesehen davon, dass mündigen Bürgern stets klar die Wahrheit zugemutet werden muss, stiftet das in einer dafür denkbarungünstigen Phase Misstrauen in Politiker-Aussagen –und das will sich die "Krone" phasenunabhängig selber vorbehalten. Was bliebe dem Boulevard und der Opposition zu tun übrig, wenn die Regierung Misstrauen gegen sich selbst stiftet, und das auch noch auf dem Verordnungsweg? Hauptsache dabei ist, dass die Verordnung längst ausgelaufen ist, ehe sie von spitzfindigen Feinspitzen am Verfassungsgerichtshof geprüft werden kann.

Die Mündigkeit der Bürger

Die Maxime der "Kronen Zeitung", dass mündigen Bürgern stets klar die Wahrheit zugemutet werden muss, ist natürlich nicht leicht zu befolgen, wenn man, wie der Bundeskanzler das gelegentlich tut, schärfer kommuniziert, als es die Fakten hergeben. So damals Mitte März, als er versprach: "Jeder wird wen kennen, der an Corona verstorben ist." Die Mündigkeit der Bürger hat er mit dieser Prophezeiung nicht allzu ernst genommen, doch was verschlägt’s, wenn die Umfragewerte steigen.

Aus Anlass des 75-Jahr-Jubiläums der Republik ließ er gleich wieder eine Prophezeiung vom Stapel – ein "Comeback für Österreich", das unter anderem darin bestehen soll, dass, "wer hart arbeitet, künftig mehr zum Leben haben soll". Da werden sich die rumänischen Pflegerinnen, denen er das Kindergeld zusammengestrichen hat, freuen.

Entwicklung in Form eines L oder U

Leicht wird das alles nicht, machte doch Antonella Mei-Pochtler, Krisenmanagerin des Bundeskanzlers, im "Trend" klar: Ich habe schon am Anfang der Krise gesagt, dass ich nicht an eine Entwicklung in der Form eines V oder U glaube, sondern eher ein L oder ein U mit einem sehr langen Querbalken sehe.

Das hätte Kurz nicht schärfer kommunizieren können. (Günter Traxler, 2.5.2020)