Genießt SP-Obfrau Rendi-Wagner genug Rückhalt von Wiens Stadtchef Michael Ludwig?

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Die 1.-Mai-Quarantäne hat für die SPÖ auch ihr Gutes. Weil Videoauftritte keinen Widerspruch dulden, brauchte Pamela Rendi-Wagner Protest nicht fürchten. Ein Pfeifkonzert wie einst bei Werner Faymann hätte sie wohl nicht erwartet – Opportunismus und Ignoranz, wie sie dem Vorvorgänger vorgeworfen wurden, wiegen als Sünden schwerer als die Überforderung, die sich die amtierende Parteichefin nachsagen lassen muss. Doch einige Genossen hätten ihrem Unmut schon Luft gemacht.

Dabei bietet die Performance in der Corona-Krise noch den geringsten Grund dafür. Man kann darüber streiten, ob die SPÖ die eine oder andere Gelegenheit verpasst hat, etwa als sie ihre Stimmen für diverse Corona-Gesetze ohne harte Gegenleistungen hergab. Im Grunde aber war in den letzten Wochen für eine Oppositionspartei gegen die nicht allzu fehleranfällige und auf allen Medienkanälen dominante Regierung wenig drin. Rendi-Wagners Kritiker nennen mitunter die reaktionsschnellere und angriffigere Beate Meinl-Reisinger als Vorbild. In den Umfragen jedoch stehen die Neos um keinen Deut besser da.

Chancenreichere Zeiten

Nun kündigen sich allerdings chancenreichere Zeiten an. Während die akute Notsituation die Bürger zum Schulterschluss animinierte, wird die Bewältigung der Krisenfolgen Verteilungskämpfe anstacheln – "koste es, was es wolle" spielt es nicht ewig. Kommt die Hilfe bei jenen an, die sie am nötigsten brauchen? Werden versteckt Lobbys bedient? Sind Vermögende beim Mitzahlen einmal mehr außen vor? Rendi-Wagner tat gut daran, dass sie zum 1. Mai genau diese Themen anriss. Ein spritziges Video einiger Abgeordneter pro Arbeitszeitverkürzung macht Mut, dass die SPÖ das Kampagnisieren nicht ganz verlernt hat – wenn da nicht noch ein Problem zu lösen wäre: Die Sozialdemokraten werden keine Schlagkraft entwickeln, solange in ihren Reihen permanent eine Führungsdebatte schwelt.

Wer in die Partei hineinhört, gewinnt den Eindruck, dass die Mehrheit der Funktionäre den Glauben an Rendi-Wagner verloren hat. Wenn dem so ist, dann müssen die Wortführer – die drei Landeshauptleute, die Vorsitzenden der großen Landesparteien – endlich die Konsequenzen ziehen und die Ablöse durchziehen. Potenziellen Nachfolgern und anderen Bedenkenträgern mögen zwar dutzende oberschlaue Gründe – Corona-Krise! Wien-Wahl! – einfallen, warum der Wechsel taktisch jetzt gerade schlecht wäre; letztlich aber ist jede Alternative besser als ein schleichender Niedergang mit der falschen Chefin.

Problem Obfrau?

Täuscht der Schein aber und Rendi-Wagner genießt noch genug Rückhalt, dann braucht es ebenso ein Machtwort: eine Klarstellung, dass die Obfrau nicht das Problem ist, sondern die beste verfügbare Wahl, die jede Unterstützung verdient. Zur Lähmung führt hingegen das ständige Lavieren und Aufschieben. Ist die SPÖ einmal zur Kleinpartei geschrumpft, wird nicht nur Rendi-Wagners Fehlerlastigkeit daran schuld sein, sondern auch die Führungsschwäche der vermeintlich starken Männer der Partei. (Gerald John, 1.5.2020)