Flüchtlinge auf einem Pier des Hafens von Khoms, 120 Kilometer von Tripolis entfernt, Im Hintergrund ein Schiff der libyschen Küstenwache
Foto: Mahmud TURKIA / AFP

Verstößt die mit EU-Geldern finanzierte Aufrüstung der sogenannten Libyschen Küstenwache gegen EU-Recht und das Völkerrecht? Das zumindest legt eine beim Europäischen Rechnungshof eingereichte Beschwerde gegen ein Grenzkontrollprojekt in Libyen nahe. Konkret geht es dabei um ein seit 2017 mit rund 90 Millionen Euro gefördertes Programm zum Ausbau von "Integriertem Grenzmanagement" (IBM) in dem Land. Im Rahmen des aus Mitteln des EU-Treuhandfonds für Afrika (EUTF) finanzierten Projekts wird die Küstenwache mit Trainings unterstützt und mit Booten beliefert.

Die Küstenwache ist ein zentraler Akteur der EU-Grenzabschottung im Mittelmeer und wird dafür eingespannt, vor Gewalt und Elend in Libyen Flüchtende am Übersetzen nach Europa zu hindern. Ihr wird vorgeworfen, entgegen internationalem Recht auf See gerettete Menschen nach Libyen zurückzubringen und diese hier unter desaströsen Bedingungen in teilweise informellen Haftanstalten internieren zu lassen. Erpressung und Folter sind in diesen die Regel.

Eingereicht wurde die Beschwerde vom Global Legal Action Network und den italienischen NGOs ASGI und ARCI, die neben der Überprüfung des Projektes auch verlangen, es vorerst auf Eis zu legen. Dessen Weiterführung soll an Bedingungen geknüpft werden, unter anderem die umgehende Freilassung aller inhaftierter Geflüchteter. Die EU müsse die Finanzierung von Maßnahmen zugunsten der Küstenwache davon abhängig machen, ob diese die Menschenrechte achte.

Zweckentfremdung von Geldmitteln?

Angesichts "umfassend dokumentierter und systematischer" Menschenrechtsverstöße libyscher Behörden machten sich die EU und ihre Mitgliedstaaten durch das Projekt an solchen "mitschuldig", heißt es in der Beschwerdeschrift, die sich auf ein Rechtsgutachten stützt. Das Projekt habe zu ernsthaften Verletzungen von EU-Haushalts- und Verfassungsrecht geführt, unter anderem der UN-Grundrechtecharta.

Die Beschwerde wirft der EU Zweckentfremdung von Steuermitteln vor. Für die Armutsreduktion vorgesehene Entwicklungshilfegelder seien schließlich für nicht entwicklungsrelevante Ziele wie Grenzkontrolle eingesetzt worden.

Die Umleitung von Mitteln für Zwecke, die nicht vom EU-Parlament genehmigt wurden, sei "nicht einfach eine technische Frage", sondern verletze das Haushaltsrecht des EU-Parlaments und stelle damit "demokratische Prinzipien innerhalb der EU-Verfassungsordnung" infrage, so das Gutachten.

Ursprünglich für die Umsetzung des Projekts vorgesehen war neben Italiens Regierung auch das in Wien ansässige International Center for Migration Policy Development (ICMPD), das in EUTF-Dokumenten noch als Projektpartner ausgewiesen wird. Auf Anfrage erklärte das ICMPD jedoch, man führe "derzeit keine Projekte im Bereich Grenzmanagement in Libyen" durch und sei "nicht mit Arbeiten im Rahmen von IBM Libya beauftragt".

Grundsätzliche Fragen

Sollte der Beschwerde in Sachen Zweckentfremdung von Entwicklungshilfemitteln stattgegeben werden, dürften jedoch andere Projekte, an denen das ICMPD beteiligt ist, betroffen sein. Denn die Beschwerde stelle grundsätzlich infrage, das EUTF-Mittel für Grenzkontrolle genutzt werden, nicht nur in Libyen, sagt Sara Prestianni von EuroMed Rights. Das ICMPD ist auch an von EUTF-Mitteln finanzierten Grenzmanagementprojekten in Tunesien und Marokko beteiligt. (Sofian Philip Naceur, 1.5.2020)