Reinhold Gütebier, Chef von Kika und Leiner, ist für den Neustart bereit. An den Toren zu den 42 Möbelhäusern regeln Mitarbeiter den Einlass. Desinfektionsmittel ist allerorts positioniert. Auf den Böden weisen Markierungen auf gebotene Abstände hin. Sicherheitspapier schafft Distanz beim Probewohnen. Die Kassen sind mit Plexiglas abgeschirmt.
Thomas Zehetner, Geschäftsführer von Thalia, verkleinerte zusätzlich die Eingänge seiner Buchhandlungen und zählt Besucher. Exakt zehn Kunden auf 100 Quadratmetern sind erlaubt, die Zahl der verfügbaren Einkaufskörbe dient als Richtwert. Gerald Zimmermann, der die Schuhkette CCC führt, organisierte Schutzmasken mit Firmenlogo. Marcus Wild, Vorstand der 29 Einkaufscenter der Spar-Tochter SES, verspricht doppelte Putzintervalle und 100 Prozent Frischluft.
Massive Verluste
Der 2. Mai geht in die Annalen der österreichischen Handelsgeschichte ein. Sieben Wochen lang hielt die Corona-Krise die Branche in Atem. Ohne Vorwarnung mussten Mitte März tausende Betriebe quer durch alle Sparten quasi über Nacht zusperren. Vor zwei Wochen wurden die Auflagen für kleine Händler gelockert. Nun ziehen große Unternehmen nach.
Dazwischen spielten sich wirtschaftliche Dramen ab. Ware verdarb oder verlor massiv an Wert. Liquidität schmolz wie Eis in der Sonne. Mitarbeiter wurden gekündigt, und Milliarden Euro verbrannten. Rund um die Sonderstellung der Lebensmittelketten und Baumärkte entzündete sich ein wahres Feuerwerk an Konflikten. Auch an der Differenzierung der Händler nach Größe und am Verbot des Rampenverkaufs werden Anwälte noch lange nach Corona gut verdienen.
Seit Samstag dürfen Konsumenten Geschäften neues Leben einhauchen. Ihr Wunsch nach Rückkehr in alte Konsumgewohnheiten soll den Handel aus dem Koma holen. Dass sich die verlorenen Umsätze wettmachen lassen, glaubt in der Branche jedoch niemand. Die Chance auf gute Erträge ist noch geringer: Erste Rabattschlachten sind bereits voll im Gange, gelten Rabatte doch als das schlagkräftigste In strument, um Kunden aus der Reserve zu locken. Im besten Falle, so lautet der einhellige Tenor, verbucht der Handel heuer die Hälfte jenes Geschäfts, das er ohne Ausbruch von Covid-19 erzielt hätte.
Bei null beginnen
Gütebier holte 3500 Mitarbeiter zurück aus der Kurzarbeit, auch jene, die in Supermärkten ausgeholfen hatten. "Meine Mannschaft ist in der Krise zusammengerückt", meint der Manager, der sich gern als Kapitän eines Ozeanriesen auf schwerer See inszeniert. Als Möbelhändler erhofft er sich Startvorteile, da die Bedeutung von Haus und Heim in turbulenten Zeiten steige. Das habe schon die Finanzkrise 2008 gezeigt. Leiner und Kika würden daher weder Standorte schließen noch von Investitionen abrücken, versichert Gütebier. " Alle beginnen wieder bei null, alle haben die gleichen Chancen."
Das sieht Zimmermann anders. Von Chancengleichheit könne keine Rede sein, wenn Konkurrenten wie Deichmann um Wochen früher aufsperren durften, nur weil ihre Verkaufsfläche um wenige Quadratmeter kleiner sei, ärgert sich der Schuhhändler. Er hat wie berichtet Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht und ist damit im Handel nicht allein.
"Wir werden Corona wirtschaftlich bewältigen", sagt Zimmermann. Doch mit seiner Enttäuschung über die Regierung hält er nicht hinterm Berg. Jedem werde rasch geholfen, habe es aus der Politik getönt. "Tatsächlich sind die bürokratischen Hürden enorm." Die Mittel für Kurzarbeit würden erst Ende Juni oder Juli fließen. Zuvor sei das Urlaubsgeld zu stemmen. Dass gut gemeinte Unterstützung in der Realität so nicht ankomme, sei für ihn ernüchternd und lehrreich.
Ein Fest für Anwälte
Auch Thalia hätte Filialen gern verkleinert, durfte es aber nicht. Rampenverkauf war ebenso verboten. Die Buchhandelskette bot ihren Kunden dennoch an, bestellte Bücher vor einzelnen Standorten selbst abzuholen, zumal sich das Volumen an Bestellungen via Internet und Telefon verdoppelte bis verdreifachte. "Es gab ein Betretungsverbot, aber kein Verkaufsverbot", legt Zehetner seine Rechtsauffassung dar, die sich nicht mit jener des Gesundheitsministeriums deckt.
Über den Handel sei einfach drübergefahren worden, er habe sich viel zu wenig Gehör verschaffen können, sagt Einkaufscenter-Betreiber Wild. Da seien Entscheidungen von umfassender Tragweite getroffen worden, "ich hoffe nur, dass sie aus gesundheitlicher Sicht auch tatsächlich gerechtfertigt waren". Die Österreicher erlebe er als äußerst diszipliniert, behördliche Anweisungen würden strikt befolgt und kaum hinterfragt. Die Wahl eines Zwickeltags als Termin für die Wiederauferstehung des Handels hält er im Übrigen für unglücklich.
Kammer im Kreuzfeuer der Kritik
Peter Buchmüller, Handelsobmann in der Wirtschaftskammer, macht keinen Hehl aus den Problemen rund um Regelungen, die in der Hektik der Krise getroffen wurden. "Sie glauben nicht, wie mich die Leute dafür beschimpft haben. Aber das muss man aushalten. Einer muss eine Entscheidung treffen, auch wenn sie immer für jemanden falsch ist." Schützenhilfe bekommt er von Peter Voithofer, Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts Economica. "Wenn es brennt, wird die Feuerwehr gerufen. Aber egal, ob sie nach fünf oder nach 15 Minuten kommt – für einige ist es immer zu spät."
Eine tiefere Bedeutung habe die umstrittene Grenze von 400 Quadratmetern, ab der größere Einzelhändler das Nachsehen hatten, jedenfalls nicht gehabt, räumt Buchmüller ein: "Sie waren ein Kompromiss, der es 80 Prozent der Händler ermöglichte, zu öffnen." Was die kommenden Monate betrifft, so erwartet er keinen Kundenansturm, aber zumindest gewisse Aufbruchsstimmung – vor allem wenn ab Mitte Mai neues Leben in die Gastronomie zurückkehrt. "Essen gehört zum Einkaufserlebnis einfach dazu." Marktforscher Voithofer ist skeptischer. "Die Konsumlaune ist weg, und zwar nachhaltig." Mehr als eine Million Menschen sei in Kurzarbeit oder arbeitslos, viele könnten die Folgen der Krise auf ihr Leben noch gar nicht absehen.
Der gesamte stationäre Handel habe seit Mitte März jede Woche eine Milliarde Euro brutto an Umsatz verloren, rechnet Rainer Will, Chef des Handelsverbands, vor. Zwei Drittel gelten als unwiederbringlich verloren. Vermehrte Onlinegeschäfte in Höhe von 50 Millionen Euro wöchentlich waren ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Verhalten vieler Kunden habe sich geändert, sagt Will. Sie kauften weniger häufig ein, und wenn doch, dann in größeren Mengen.
Kein einziger Kunde am Tag
Ein Drittel aller Geschäfte sieht sich von der Schließung bedroht, geht aus Umfragen des Verbands hervor. Sieben Prozent haben bereits aufgegeben, und ein Viertel fürchtet, in einem Monat zahlungsunfähig zu sein. Unterm Strich reüssierten Händler in Bezirksstädten besser als in Einkaufsstraßen, in denen ohne große Zugpferde und Touristen wenig läuft: Im ersten Wiener Bezirk etwa mit seinen hohen Mieten sei der Handel quasi tot gewesen. Händler rund um den Kohlmarkt erzählen von Tagen, in denen kein einziger Kunde den Weg in ihr Geschäft fand.
Barbara Teiber, Chefin der Gewerkschaft GPA-djp, plädiert dafür, die Mietkosten im Handel zu überdenken. Viele Mieten seien in den vergangenen Jahren horrend gestiegen. Es gehe auch um den Erhalt eines Stadtbildes.
Lehren aus der Krise
Teiber hebt die Leistung der Mitarbeiter hervor, die die Grundversorgung im Shutdown sicherstellten. Teilzeitbeschäftigte, vor allem Frauen, leisteten vielfach das Doppelte bis Dreifache ihres üblichen Arbeitspensums. Die Auszahlung der Mehrarbeitszuschläge sei jedoch nach wie vor offen, klagt die Gewerkschafterin. Sie fordert zudem eine Corona-Prämie für Handelsangestellte: Wie in der Sozialwirtschaft brauche es auch im Handel eine faire Branchenlösung.
Was lehrt einen die Krise? Die für ihn interessanteste Beobachtung und Erkenntnis sei, wie man unter Druck agiere, sinniert Zimmermann. Er lerne Eigenschaften von Menschen intensiver kennen und diese somit mehr oder weniger schätzen. Jede Planbarkeit ist weg, sagt Zehetner. Man bewältige Herausforderungen, die einen Tag zuvor unmöglich erschienen. "Hätte mir jemand vor ein paar Wochen gesagt, dass bald die ganze Welt wirtschaftlich darniederliegen wird, ich hätte es nicht geglaubt", sagt Gütebier. "Das Wort ‚nie‘ gibt es nicht mehr." (Verena Kainrath, 2.5.2020)