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Ein Roboter misst den Puls eines Covid-Patienten auf der Intensivstation des Ospedale di Circolo in Varese, Italien.

Foto: AP/Luca Bruno

In einem optimistischen Szenario ist diese Pandemie vorerst ein einmaliges Ereignis, das uns in eine globale Wirtschaftskrise schlittern lässt, von der wir uns rasch erholen und genauso weitermachen werden wie bisher. Doch einiges deutet darauf hin, dass die Corona-Krise und die Gegenmaßnahmen unser Leben nachhaltiger verändern werden.

Der eigene, seit Wochen verspannte Nacken ist Zeuge einer ersten augenscheinlichen Veränderung: Das flächendeckend eingeführte Homeoffice und die beschleunigte Digitalisierung zahlreicher Arbeitsprozesse sind nicht mehr aufzuhalten. Derzeit arbeiten viele von uns noch in unbequemen Provisorien. Doch die Arbeitgeber werden die Entwicklung der Infrastruktur bald ausbauen, die zur Unterstützung unserer Online-Arbeit benötigt wird.

Mehr Einsatzfelder für KI

Auch dort, wo Maschinen oder KI-Systeme bisher sehr kontrovers diskutiert wurden, befördert die Pandemie ihren Einsatz. Roboter reinigen nicht nur die Krankenhausgänge, sie messen auch Fieber und Puls der Patienten auf Intensivstationen oder werden in Labors bei der Auswertung der Tests eingesetzt. In der gesamten Arbeitswelt nach Corona wird es für viele Unternehmen attraktiver, statt auf menschliche Arbeitskraft verstärkt nur mehr auf Automatisierung und KI zu setzen. Computer und Roboter werden nicht krank, können einander nicht anstecken.

Nicht nur in der Arbeitswelt, auch und gerade in der Privatheit hat während des Corona-Lockdowns das Digitale die Oberhand gewonnen. Sogar Skeptiker und gar bisherige Verweigerer ziehen Kommunikation über diverse Messenger- und Videocall-Dienste der totalen sozialen Isolation vor. Wir skypen, zoomen und streamen, was das Breitband hält. Und wir bestellen und lassen liefern. Die Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes geraten angesichts der pandemischen Schocks ins Hintertreffen.

Schon lange warnen Expertinnen und Experten davor, dass uns die rasante Entwicklung der digitalen Technologien, der netzbasierten Kommunikation und des Einsatzes von KI-unterstützen Systemen entgleitet. Unsere demokratischen Mittel zur Regulierung wie auch die ethische Auseinandersetzung hinken hinterher.

Mündiger Umgang mit digitalen Services

Wenn kluge Köpfe wie die emeritierte Harvard-Professorin Shoshana Zuboff vor dem Überwachungskapitalismus warnen, dann rufen sie die Demokratie mit ihren politischen Mitteln an: regulieren und verbieten. Nur so könne verhindert werden, dass sich der Kapitalismus in einem nächsten, besorgniserregenden Schritt zu einem System entwickelt, das unser menschliches Verhalten nicht nur aufgrund unserer Online-Interaktion voraussagt, sondern es auch "hinsichtlich der kommerziellen Ziele modifiziert". Daten, Daten, Daten, dieses System wird nie satt, sagt die Wirtschaftswissenschafterin und wischt damit den fatalistischen Einwand "Das Internet wisse ohnehin bereits alles über alle" beiseite. Auch die KI-Ethikerin und WU-Professorin Sarah Spiekermann fordert ein Umdenken: Wir brauchen dringend einen mündigen Umgang mit den digitalen Services, aber vor allem neue ethische Parameter für ihre Entwicklung.

Der Corona-bedingte Digitalisierungsschub macht die Forderungen und Appelle der Expertinnen noch dringlicher. Wenn der rasante digitale Fortschritt zum Wohle der Menschen passieren soll, dann müssen wir wissen, was das Menschsein in einer digitalisierten Zukunft bedeutet. Eine globale Pandemie erscheint nur auf den ersten Blick als ungünstigster Moment für diese Debatte. Doch die Corona-Krise schränkt uns gerade in dem ein, was uns als Menschen zu einem guten Teil ausmacht: im persönlichen Kontakt mit anderen Menschen. Sie wirft uns in die kühlen Arme der rettenden Online-Services. Das ist der perfekte Augenblick, um nachzuspüren, wie wohl wir uns dort fühlen. (Olivera Stajić, 4.5.2020)